PiD - Psychotherapie im Dialog 2011; 12(1): 80-81
DOI: 10.1055/s-0030-1266044
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychokardiologie: ein sich stark entwickelndes Feld, von dem viele spannende Ergebnisse zu erwarten sind

Michael  Böhm im Gespräch mit Volker  Köllner
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Publication Date:
14 March 2011 (online)

PiD: Lieber Herr Böhm, Ihre Klinik ist ein weltweit führendes Zentrum bei der Entwicklung der renalen Denervierung, einem minimalinvasiven Verfahren zur Behandlung von Patienten mit schwerer, bisher therapieresistenter arterieller Hypertonie. Bei der Hypertonie galten bisher neben Medikamenten verhaltensmedizinische Interventionen als Mittel der Wahl. Wird die interventionelle Kardiologie in Zukunft so erfolgreich in Pathomechanismen eingreifen können, dass die Berücksichtigung psychosozialer Faktoren und Verhaltensänderungen überflüssig werden wird?

Michael Böhm: Es wird sicherlich nicht so sein, dass psychosoziale Interventionen überflüssig werden. Bei den Verhaltensänderungen ist das größte Problem, dass sie von Patienten häufig nicht ausreichend umgesetzt werden. Eine dauerhafte Verhaltensänderung ist offensichtlich schwieriger, als nebenwirkungsbelastete Medikamente einzunehmen – wobei gerade im Bereich des Bluthochdrucks auch hier viele Möglichkeiten unzureichend genutzt werden. Möglicherweise ist aber die interventionelle Sympathektomie ein Verfahren, das vonseiten seines Mechanismus große Überlappungen mit verhaltensmedizinischen Interventionen hat. Die Patienten werden ruhiger, schlafen besser und könnten deshalb leichter ihre Lebensumstände ändern. Die Abnahme dieser „Stressreaktionen” wird hier interventionell erreicht, sie können aber eine positive Interaktion mit psychosozialen Therapieformen haben.

Wo sehen Sie längerfristig den Stellenwert psychosozialer Themen in der Kardiologie?

In großen Studien hat sich mittlerweile herausgestellt, dass Depressionen und auch Angststörungen signifikant mit Herzinfarkten und kardiovaskulären Komplikationen assoziiert sind. Es ist wohl nicht nur so, dass eine Herzerkrankung eine Depression oder eine Angststörung verursacht. Umgekehrt ist es auch so, dass Depressionen und Angststörungen die Prognose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschlechtern können. Insofern entwickelt sich zurzeit gerade das Fach der Psychokardiologie, das auch von internationalen Fachgesellschaften und natürlich von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie aktiv aufgegriffen wird. In Deutschland laufen Studien, die zeigen sollen, dass die Behandlung von Depressionen die Prognose der Herzinsuffizienz verbessert. Insgesamt ist es ein sich stark entwickelndes Feld, von dem viele spannende Ergebnisse zu erwarten sind.

Wo genügen die jetzigen Versorgungsstrukturen, um psychosoziale Aspekte bei der Prävention, Therapie und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einzubeziehen und wo sehen Sie Verbesserungsbedarf? Halten Sie es für sinnvoll, die psychosomatische Grundversorgung in die Facharztausbildung Kardiologie zu integrieren – ähnlich wie dies bereits z. B. in der Allgemeinmedizin und der Frauenheilkunde der Fall ist?

Ich denke, man kann nicht davon sprechen, dass psychosoziale Versorgungsstrukturen „genügend” in der kardiovaskulären Medizin etabliert sind. Besonders in kardiologischen Akutkliniken hat das Feld noch nicht den Stellenwert, den es aufgrund der zu erwartenden Effekte verdient. Eine positive Ausnahme sind die Rehabilitationskliniken. Insbesondere Fortbildungen und die studentischen Ausbildungen sollten das Bewusstsein für die Möglichkeiten von psychosozialen Interventionen schärfen. Erst wenn die Kenntnisse und Fachfähigkeiten ausreichen, kann man in diesem Bereich der kardiovaskulären Medizin diese Versorgungsstrukturen fest etablieren. Eine feste Integration in Form einer Rotationszeit in die Facharztausbildung sollte aufgrund der Faktenfülle, die dort schon verankert ist, nicht vorgenommen werden. Psychokardiologische Inhalte sollten aber auf jeden Fall in den Ausbildungskatalog für Kardiologie aufgenommen werden.

Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit eigenen Emotionen im Zusammenhang mit invasiven Eingriffen, Diagnosemitteilung sowie mit Gesprächen mit „schwierigen Patienten”? Welche Strategien haben Sie entwickelt, um belastende Situationen zu bewältigen?

Es ist in der Tat so, dass bei für den Patienten bedrohlichen Befunden nach invasiven diagnostischen Eingriffen oder aber auch bei Hochrisikoeingriffen mit möglicherweise auftretenden Komplikationen das Gespräch mit Angehörigen und den Patienten schwierig sein kann. Ich denke, dass in gut funktionierenden Abteilungen das Gespräch zwischen ärztlichen Kollegen innerhalb der Kardiologie oder in den angrenzenden Gebieten der Inneren Medizin und Psychosomatik sinnvoll sind. Auch hole ich mir dort Rat und berate mich mit meinen Kollegen. Die Gesprächsführung mit schwierigen Patienten muss sorgfältig erlernt werden und ich hoffe, dass eine Ausbildung auch in diesem Bereich in unserer Klinik umgesetzt wird. Defizite in der Gesprächsführung mit Patienten und Angehörigen sind häufig auf Zeitmangel und Arbeitszeitgesetz und andere Äußerlichkeiten zurückzuführen. Ich bemühe mich stetig daran zu erinnern, dass ein „gutes Gespräch” nicht länger dauert als ein „schlechtes Gespräch”. Wir sind auf jeden Fall im intensiven Austausch untereinander bemüht, uns in diesem Bereich stetig weiterzuentwickeln.

Danke fürs Gespräch!

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