PiD - Psychotherapie im Dialog 2011; 12(1): 95-96
DOI: 10.1055/s-0030-1266050
Im Dialog
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„Achieving Clinical Excellence”

Bericht über eine internationale Konferenz in Kansas City am 21. / 22.10.2010Arndt  Linsenhoff
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Publication Date:
14 March 2011 (online)

Seit der Untersuchung von Luborsky et al. (1985) ist empirisch gesichert, dass sich PsychotherapeutInnen eines therapeutischen Verfahrens sehr deutlich in ihrer Wirksamkeit voneinander unterscheiden. Neben klinischen Studien belegen mittlerweile auch naturalistische Studien und Outcome-Daten von Health Maintenance-Organisationen dieses Ergebnis für die therapeutische Alltagwelt mit ihrem multimorbiden Klientel.

Das von Scott D. Miller gegründete „Center for Clinical Excellence” hat auf diesem Hintergrund die internationale Konferenz „Achieving Clinical Excellence” organisiert, um den Blick auf folgende Fragen zu richten: Was machen die „Supershrinks”, also die hochwirksamen PsychotherapeutInnen, anders als die weniger wirksamen? Wie lässt sich das lehren und lernen? Und welche Hürden gibt es in diesem Prozess?

Die wichtigste Antwort auf die letzte Frage liegt bereits vor: PsychotherapeutInnen halten sich alle für überdurchschnittlich wirksam und sehen deshalb gar keine Veranlassung dafür, um ein Erhöhen ihrer Effektivität zu ringen! Die Antworten auf die anderen Fragen sind schwieriger zu finden.

Den ersten Hauptvortrag hielt K. Anders Ericsson, Psychologie-Professor in Florida und Herausgeber des „Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance”. Seine umfangreichen Untersuchungen zu den verschiedensten Feldern (aber noch nicht zur Psychotherapie) zeigen immer wieder: Nach der jeweiligen Ausbildung wird relativ schnell ein Plateau erreicht, das nicht mehr weiter ansteigt, häufig sogar allmählich absinkt. Exzellent in ihrem Feld werden ausschließlich diejenigen, die sich konsequent über Jahre in „deliberate practice” üben: also nicht nur Erfahrung sammeln, sondern ständig konzentriert nach Fehlern suchen und diese dann bearbeiten. Ist dieser Prozess in manchen Feldern (wie z. B. bei Schachspielern) noch leicht steuerbar (weil diese stets eine sofortige Fehler-Rückmeldung bekommen), so sind die Rückmeldezeiten z. B. für Ärztinnen über die Korrektheit ihrer Auswertung von Mammografiebildern oder für Chirurgen über die Komplettheit der Prostatakrebsoperation sehr viel länger und deshalb nicht unmittelbar lernfördernd. Für solche Felder braucht es daher aufwendigere Gestaltungen von „deliberate practice”, die schnellere Feedback-Schleifen erlauben.

Im zweiten Hauptvortrag zog Scott Miller aus den Ergebnissen der Psychotherapieforschung Schlüsse für das Entwickeln von Exzellenz. Ausgehend davon, dass seit der ersten Metastudie von Smith und Glass (1977) die Effektstärken von Psychotherapie nicht zugenommen haben (während in sehr vielen anderen Bereichen die menschliche Leistungsfähigkeit massiv gestiegen ist), kam er zu folgendem programmatischen Entwurf: Jeder Psychotherapeut / jede Psychotherapeutin wertet seine / ihre nächsten 30 Therapien auf die eigene Effektstärke hin aus und erfährt dadurch seine / ihre „baseline effectiveness”. Dann macht er / sie sich an einen TAR(think-act-reflect)-Verbesserungsprozess. Nach einiger Zeit wird erneut ausgewertet, wie sich die eigene Effektstärke entwickelt hat, und damit überprüft, ob der eigene Verbesserungsprozess zielführend gewesen ist usf. Als Modell zeigte Miller das Video von „Wendy” – einer in den Untersuchungen als hochwirksam identifizierten Psychotherapeutin: bescheiden, sich selbst für mittelmäßig wirksam haltend, sehr wach gegenüber ihren KlientInnen, ständig auf der Suche nach KlientInnen-Feedback darüber, wie sie im Umgang hilfreicher sein kann.

Workshops und weitere Vorträge behandelten die Implementation von CDOI(= Client-Directed Outcome Informed)-Prozessen: anhand sehr kurzer KlientInnen-Bögen (am Anfang jeder Sitzung über das Befinden in der letzten Woche, am Ende über die Wahrnehmung der Sitzung) den Therapieprozess zu steuern und zu korrigieren. Michael Franczak beschrieb, wie er in diesem Sinne als Verantwortlicher die Prozesse aller staatlich geförderten Mental Health-Institutionen in Arizona umstrukturiert hat: Alle PsychotherapeutInnen konnten ihren Verfahren treu bleiben, aber sie mussten diese Bögen aktiv verwenden.

Exzellenz außerhalb der Psychotherapie war u. a. durch den Meisterzauberer Michael Ammar und ein Konzert von David Helfgott präsent – ergänzt durch Interviews über ihre Entwicklung. Besonders berührt hat mich der Bericht von Ah Lee Robinson, der 1995 den „Kansas City Boy Choir” gründete mit 30 farbigen Jungen aus schwierigsten sozialen Verhältnissen. Seine Konsequenz und Leidenschaft im Chor, sein Wirken in deren Schulen und Familien hinein zeigen, wie viel Halt er gibt, wie viel Charakter er „bildet” und welche Erfolge dadurch für diese Jungen nach deren Chor- und Schulzeit möglich werden.

Diese Tagung führt an den Ursprung zurück, warum die meisten von uns in den Beruf gegangen sind: Wir wollten helfen. Um dies zu erreichen, mussten wir (ein) Verfahren lernen; darüber ist die Frage der eigenen Wirksamkeitsentwicklung etwas in den Hintergrund geraten. Diese Themen sind herausfordernd, aber unter unseren Strukturnedingungen mit sehr viel weniger Angst angehbar als unter den bedrohlichen Gegebenheiten der USA: eine deutlich zu hohe PsychotherapeutInnenzahl (800 000!) und privatwirtschaftlich organisierte Versicherungen, die ständig nach dem „Billigeren” suchen.

Literatur

  • 1 Luborsky L et al. Therapist success and its determinants.  Archives of General Psychiatry. 1985;  42 602-611
  • 2 Smith M L, Glass G V. Meta-analysis of psychotherapy outcome studies.  American psychologist. 1977;  32 752-760

Dipl.-Psych. Arndt Linsenhoff

Pro Familia Heidelberg

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Email: arndt.linsenhoff@profamilia.de

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