B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2011; 27(2): 54-56
DOI: 10.1055/s-0031-1271405
WISSENSCHAFT

© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Glossar: Vitalitätskonzept und ICF

D. Pöthig1
  • 1Europäische Vereinigung für Vitalität und Aktives Altern (eVAA e. V.), Berlin / Leipzig
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Publication Date:
04 May 2011 (online)

Dieses Themenheft ist auf ein Zukunfts­thema unserer Gesellschaft ausgerichtet. Für viele Leser dieser Zeitschrift mögen diese Blickrichtung und der Lösungsansatz neu sein. Er bedarf deshalb der Erklärung. 

Die Autoren dieser Ausgabe entstammen sehr unterschiedlichen Professionen, beispielweise der Gerontologie und Geriatrie, der Rehabilitations- bzw. Sportmedizin; sie arbeiten als Mathematiker, Neurologen und Psychologen, Internisten, Biologen, Wissenschaftler, Kliniker etc. 

All diese Fachdisziplinen benötigen ein gemeinsames Framing and Wording: eine unmissverständliche, ein-eindeutige Fachsprache, eine Lingua franca. Das ist umso wichtiger, weil sie in Zukunft mit Vertretern aus Sport- und Gesundheitswissenschaften, Wirtschaft und Politik, Theorie und Praxis ein gemeinsames und tieferes Verständnis für das Handlungsfeld „Demografie + Gesundheitsressourcen“ erarbeiten müssen. 

Dieses kurze Glossar soll dafür Impulse geben. Wir freuen uns über Ihre Anregungen und Hinweise. 

Funktionsfähigkeit / Functioning: In der ICF-Sprache ist Funktionsfähigkeit ein operationalisierbarer Oberbegriff für die Komponenten Körperfunktionen und -struk­turen, Aktivitäten und soziale Teilhabe. Wenn diese gestört sind, spricht man von Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit / Disability. 

Funktionale Gesundheit (nach Schuntermann / Ewert / Stucki et al.): Dieser Begriff bezeichnet die biopsychosoziale Integrität der Funktionsfähigkeit eines Menschen in einem gegebenen person- und umweltbezogenen Kontext. Die Funktionale Gesundheit als komplexe dynamische Zustandsvariable ist operationalisierbar als Biopsychosozialer Status bzw. Biofunktionaler Status (siehe unten). Wenn dieser gestört ist, spricht man von der Beeinträchtigung der Funktionalen Gesundheit / Disability. 

Vitalität (nach Beier / Pöthig et al.): Sie ist ein wesentlicher Aspekt der Funktionalen Gesundheit eines Menschen: die geschlechts- und alterstypische Funktionale Gesundheit. Vitalität ist eine dynamische Zustandsvariable. Sie weist ein konkretes biopsychosoziales Befundmuster auf: das Vitalitätsprofil. 

Vitalitätsprofil: Es stellt einen gesundheitsbezogenen, wichtigen Ausschnitt des Biopsychosozialen Status bzw. Biofunktionalen Status eines Menschen dar. Es basiert auf einem definierten Diagnostikmodell (Prämissen, Methodik, Referenzpopulation). Das Vitalitätsprofil zeigt eine für das Lebensalter des Menschen typische phänomenologische Ausprägung. Diese wiederum unterliegt ontogenetischen und epigenetischen Einflüssen. 

Funktionales Alter FA (nach Pöthig): Es weist einen operationalisierten Zugang zur Beurteilung der Vitalität. Es wird durch den sog. Functional Age Index (FAI) charakterisiert und ist ein integrativer Summenwert der gemessenen Vitalität. Das verwendete gerontologische Assessment, die sog. Vital-Expertise, ist modellspezifisch adjustiert (Prämissen, Diagnostikportfolio, Referenzkollektiv). Der FAI besitzt als Maßeinheit das sog. Jahresäquivalent. 

Biofunktionales Alter BFA (nach Pöthig / Simm / Viol et al.): Es ergibt sich aus der Erwei­terung der in der ICF auf die Organ- und Körperebene begrenzten Komponenten Körperstrukturen und -funktionen. Aus gerontologischer Sicht ist hier eine Vertiefung der biologischen Komponente um die genomische (Genom) und epige­no­mische (Transkriptom, Proteom, Metabolom) sowie die gesamtorganismische Regulations- und Abstimmungsfähigkeit (vegetativ, hormonell, immunologisch) möglich und notwendig. 

Das BFA beschreibt unter diesen Voraussetzungen, verglichen mit einem definierten Normalkollektiv, den alters- und geschlechtstypischen biopsychosozialen Status eines Menschen. Dieser umfasst dessen biologische Strukturen und Funktionen, aber auch dessen Befinden, Aktivitäten, ­soziale Teilhabe sowie personenbezogene Kontextfaktoren. 

Das Biofunktionale Alter ist wie das Funktionale Alter modellspezifisch adjustiert (Prämissen, Diagnostikportfolio, Referenzkollektiv) und lässt sich durch einen Index charakterisieren (Biofunctional Age Index BFAI). Seine Maßeinheit ist ebenfalls das Jahresäquivalent. 

Biopsychosozialer Status bzw. Biofunktionaler Status: Sie werden als komplexe Konstrukte gleichsinnig verwendet und stellen die Grundgesamtheit aller die Funktionale Gesundheit charakterisierenden Merkmale dar. 

Gerontologie und Geriatrie: Sie befassen sich mit 2 völlig verschiedenen Sujets. Während die Gerontologie die Wissenschaft und Lehre vom Älterwerden des Menschen – von der Konzeption bis zum Tode – in Gesundheit wie in Krankheit ist (Lebenswandlungskunde), versteht sich die Geriatrie als Heilkunde für den alten und kranken – meist multimorbiden – Menschen (Altersheilkunde). 

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