manuelletherapie 2011; 15(5): 185-186
DOI: 10.1055/s-0031-1281915
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ oder: Darf ich meine Bachelor-Arbeit veröffentlichen?

C. Beyerlein1
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Publication Date:
19 December 2011 (online)

Was für eine Frage, werden Sie vielleicht denken, oder? Ganz so abwegig ist diese Frage nicht, denn immerhin hat sie uns in der letzten Herausgebersitzung beschäftigt – übrigens auch mit kontroversen Ansichten.

Mag sein, dass nicht jede Bachelor-Arbeit publizierbar ist. Manch einer wird froh sein, das Studium hinter sich gebracht zu haben und freut sich bereits auf den wohlverdienten Urlaub oder steigt gleich ins Berufsleben ein. Trotzdem bin ich mir sicher: einige Arbeiten verstauben regelrecht in der Schublade, ohne dass sie je ein Leser zu Gesicht bekommen hat. Vielleicht ist diese Arbeit aber richtig gut.

Wie kann es sein, dass Fachhochschulen junge Physiotherapeuten mit Bachelor- und Master-Abschluss „produzieren“, aber nicht deutlich mehr Abschlussarbeiten auf dem Markt sind? Hier besteht eine Diskrepanz – Ursachenforschung ist gefragt.

Um zur Eingangsfrage zurückzukommen: Darf ich meine Bachelor-Arbeit veröffentlichen? Aus meiner Sicht ein deutliches Ja. Nicht jeder Student möchte das, aber grundsätzlich sollte jeder die Möglichkeit dazu haben. Hier möchte ich auch an Betreuer und Supervisoren an Fachhochschulen appellieren, die Bachelor- und Master-Arbeiten betreuen: Ermutigen Sie Ihre Studenten, in deutschen Fachzeitschriften zu publizieren. Nur so lässt sich ein wissenschaftliches Forschungsnetzwerk anlegen, von dem letztendlich alle profitieren können.

Allerdings braucht Entwicklung Zeit. So hat es Prof. Dr. Annette Probst – wie ich finde sehr treffend – in ihrem Editorial der Fachzeitschrift physioscience 2011 formuliert [1]. Auf der „Jagd nach Impact-Punkten“ bilden wir uns ein, vielleicht im Ausland publizieren zu müssen, anstatt den deutschen Markt zu bedienen. Wenn wir Forschungswissen in Deutschland aufbauen wollen, dann müssen wir den 1. vor dem 2. Schritt machen und nicht umgekehrt. Für ganz wenige Physiotherapeuten in Deutschland lohnt sich eine Publikation in einem englischsprachigen Journal. Die Arbeit soll ja auch gelesen werden, wenn man sich schon die Mühe macht, sie für eine Veröffentlichung vorzubereiten.

Bequemlichkeit und große Bedenken, vielleicht sogar Angst, die eigene Arbeit sei für eine Publikation nicht gut genug, sind weitere Faktoren, die womöglich vor einer Einreichung des Manuskripts abschrecken. Richtig ist, dass wir als Herausgeber nicht jede Arbeit annehmen können. Wir werden die Autoren aber bei der Bearbeitung des Manuskripts nicht alleine lassen. Dazu gibt es sogenannte Richtlinien für Autoren, quasi einen Fahrplan, wie das eingereichte Manuskript aussehen soll. Weitere wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Gestaltung des Manuskripts sind die Fragen, ob das Thema für die Leserschaft geeignet ist, formale Kriterien (Aufbau des Manuskripts) und ob der Leser etwas für seine tägliche Arbeit am Patienten mitnehmen kann (klinische Relevanz). In einem Peer-Review-Verfahren, an dem alle Herausgeber beteiligt sind, wird dann entschieden, ob das Manuskript überhaupt angenommen wird oder ob und wie viele Änderungen notwendig sind.

Eine Publikation lohnt sich immer – sie ist das „i-Tüpfelchen“ meiner Bachelor- bzw. Master-Arbeit. Und denken Sie daran: Der Weg ist das Ziel!

Apropos Weg: Nächstes Jahr beschreiten wir bei der manuelletherapie einen neuen Weg. Die „alte“ Zeitschrift hat nach 15 Jahren „ausgedient“. Sie wird komplett runderneuert und bekommt ein neues Kleid. Der Abschied tut zwar weh, aber die Freude auf das „Neue“ überwiegt. Wir sind sehr gespannt, und auch Sie als Leser dürfen sehr gespannt sein. Die Zeitschrift wird viel leserfreundlicher und präsentiert sich in jeder Ausgabe mit einem Schwerpunktthema (z. B. Ausgabe 1 / 2012: SIG – Welche Tests sind wirklich wichtig?), das von jeweils 3 Autoren näher beleuchtet wird. Bleiben werden weiterhin die Originalarbeiten für die „wissenschaftlich“ denkenden Physio- und Manualtherapeuten. Insgesamt mehr Farbe und mehr Freude beim Lesen, so der 1. Eindruck beim Durchblättern des „Test-Dummys“. Los geht es im März 2012. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung.

Zu guter Letzt möchte ich noch ein Thema streifen, welches uns auch im Jahr 2012 weiter beschäftigen wird, und zwar der Direktzugang (Direct access) für Physiotherapeuten. Hierbei treiben Therapeuten und Funktionäre insbesondere die Fragen um, wann der Direktzugang für Physiotherapeuten kommt, wer in schlussendlich ausführen darf und welche Rolle die Akademisierung hierbei spielt.

Über dieses Thema wurde auch auf dem Kongress zum 30. IFK-Jubiläum (Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten) zwischen Physiotherapeuten und Politikern sowie Vertretern der Ärzteschaft (u. a. Dr. Frank Ulrich Montgomery) diskutiert. Dabei wurden 2 Aspekte deutlich festgestellt: (1) Der Direktzugang zum Physiotherapeuten ist laut Montgomery für Selbstzahler bereits heute möglich. Gute Botschaft und 1. Annäherung! (2) Grundsätzlich ist die Ärzteschaft aber bei Versicherten nach wie vor gegen den Direktzugang, aufgrund des Risikos, dass Physiotherapeuten eine mögliche ernsthafte Pathologie übersehen könnten.

Zum 1. Aspekt muss man sich natürlich fragen, was einen Selbstzahler mit seinem Befund eigentlich von einem gesetzlich oder privat versicherten Patienten unterscheidet: nichts – außer der Tatsache, wer die Therapie zahlt. Zum Bedenken der Ärzte, Physiotherapeuten übersähen bestimmte Erkrankungen, entgegnete der Gesundheitsökonom Prof. Günther Neubauer aus München: Wenn dem so sei, dann müsste jeder Patient, der einen Bungee-Sprung plant und durchführt, zuvor einen Arzt aufsuchen, da hierbei das Risiko, eine Pathologie zu übersehen, viel größer sei als sich in die Hände eines Physiotherapeuten zu begeben – große Zustimmung der Teilnehmer!

Für das Jahr 2012 wünsche ich Ihnen alles Gute, und bleiben Sie vor allem gesund!

Mit kollegialen Grüßen

Claus Beyerlein

Literatur

  • 1 Probst A. Editorial.  physioscience. 2011;  7 45

Dr. biol. hum. Claus Beyerlein

PT/OMT-DVMT Mmanip Th (Curtin University/Australien)
physiotherapie Beyerlein

Michel-Erhart-Weg 10

89081 Ulm

Email: info@physiotherapie-beyerlein.de

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