Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2012; 6(2): 65
DOI: 10.1055/s-0031-1298960
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Burnout“-Diskussion: Schadet sie unseren Patienten?

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Publication Date:
14 March 2012 (online)

Wenn Sie die Zeitungen aufschlagen, begegnet Ihnen das Thema „Burnout“ fast jeden Tag. Da ist die Rede davon, dass Millionen Deutsche darunter leiden und somit die Gesellschaft in fester Hand des „Ausgebranntseins“ sei, dass ein „Burnout“ viele Gesichter haben könne, dass den einen sein „Burnout“ zum Ausstieg aus dem Beruf bewogen habe, den anderen in eine schwere Depression und letztendlich in den Suizid getrieben habe. Vor allem aber wird der Eindruck vermittelt, es handele sich um einen völlig neuen Trend. Was aber ist dran am „Burnout“, und ist die aktuelle „Burnout“-Diskussion für unsere Patienten überhaupt hilfreich?

Herbert J. Freudenberger (1927–1999) gilt als „Vater“ des Burnout-Begriffs. Er beschrieb bereits 1974 bei „staff members“ ein Syndrom, das sich in einem Gefühl der Verausgabung zeige und mit Müdigkeit, Infektanfälligkeit, häufigen Kopfschmerzen, Magen-Darm-Problemen, Schlaflosigkeit, Kurzatmigkeit etc. einhergehe. Im Kontakt mit Kollegen zeigten die Betroffenen emotionale Ausbrüche und leichte Reizbarkeit, im Denken seien sie rigide und unflexibel. Insgesamt könne die Symptomatik vielfältig und bei jedem Betroffenen anders aussehen. Ausdrücklich schrieb Freudenberger, dass es sich beim „Burnout“ nicht um eine seelische Erkrankung handele, sondern dass das Syndrom lediglich aus einer beruflichen Überlastung resultiere.

Medizinisch-wissenschaftlich betrachtet kann man „Burnout“ als chronifizierten Stresszustand beschreiben, der auf der Basis einer chronischen Arbeitsüberlastung bzw. -überforderung entsteht und sich in emotionaler Erschöpfung, kritischer Distanz zur Arbeit, Konzentrations- und Leistungsminderung sowie vegetativen Stresssymptomen zeigt. Dieser Stresszustand kann dann wieder – je nach Veranlagung – das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Störung, etwa einer Depression, einer Suchterkrankung oder einer Angststörung erhöhen. Aus dieser Sichtweise ergeben sich folgende Konsequenzen: „Burnout“ ist ein gesellschaftliches Problem und keine medizinische Diagnose. Letztendlich kennzeichnet es eine von vielen Risikokonstellationen für die Entstehung psychischer Störungen. Daher sollten sich Arbeitspsychologen und Soziologen mit den Ursachen von „Burnout“ und Strategien zur dessen Reduktion beschäftigen und nicht ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten. Die werden nicht gebraucht, um den ausgebrannten Arbeitnehmern neue Coaching-Strategien – etwa unter der Diagnose „Anpassungsstörung“ – mitzuteilen (das sollte an den Arbeitsstellen vermittelt werden), sondern dann, wenn eine relevante psychische Störung therapiert werden muss. Wenn sich die Grenze des Behandlungsbedüftigen immer weiter in den gesunden „Burnout“-Bereich hineinverlagert, sieht es für unsere (schwer) psychisch Kranken schlecht aus – denn für die gibt es dann bald keine Therapeuten mehr.

Und der vielfach geäußerte positive Aspekt der „Burnout“-Diskussion, mit „Burnout“ fiele es den Betroffenen leichter zum Therapeuten zu gehen, ist nur für diejenigen relevant, die eine behandlungsbedürftige Depression haben und deren Depression dann auch wirklich effektiv behandelt wird. Aber auch hier besteht weiterhin die Gefahr, dass Depressionen übersehen und nicht evidenzbasiert therapiert werden – „Burnout“ hin oder her. Ganz fatal ist es, wenn von „Burnout“ gesprochen wird, aber eine schwere Depression mit Suizidalität vorliegt, deren adäquate Behandlung dadurch verhindert wird.

Fazit: Wissenschaftler und Therapeuten sollten wachsam sein, dass die „Burnout“-Diskussion nicht die Situation unserer Patienten verschlechtert.

K. Lieb, Mainz

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