Aktuelle Neurologie 2011; 38(10): 515-516
DOI: 10.1055/s-0031-1299697
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

12. Experten Meeting Parkinson: Parkinson-Forschung wird nie langweilig

12th Meeting of Parkinson Experts:Research on Parkinson’s Disease is never Boring
W. H. Jost
1   Deutsche Klinik für Diagnostik, Neurologie, Wiesbaden
,
H. Reichmann
2   Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Neurologie, Dresden
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Publication Date:
01 February 2012 (online)

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W. H. Jost
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H. Reichmann

Wenn es am Schönsten ist, soll man aufhören. Nur woher weiß man, wann es am Schönsten ist. Die bisherigen 11 Experten Meetings Parkinson hatten viele Höhepunkte und wenig Tiefen und eigentlich hätte man meinen können, dass es nicht mehr besser werden kann. Aber auch das 12. Meeting lieferte wieder so viele neue Facetten und Perspektiven, dass es unter den bisherigen Treffen hervorsticht und zeigt, dass wir eine Plateauphase erreicht haben, die hoffentlich noch lange anhält. Bisher veröffentlichten wir jährlich die Zusammenfassungen der Meetings in Supplements. Dieses Jahr wurde uns erstmalig ermöglicht, die Ergebnisse unseres Treffens in den Manuskripten dieses Schwerpunktheftes zu präsentieren. Wir bedanken uns hiermit bei den Herausgebern und der Redaktion der Aktuellen Neurologie.

Gegenüber den letzten Jahren, werden die Diskussionen in der Parkinsonwelt nicht mehr von Neueinführungen der Medikamente beherrscht. Die wissenschaftliche Arbeit war noch nie so breit und vielfältig wie heute. Dies betrifft nicht nur die Grundlagenwissenschaften sondern auch alle Bereiche der klinischen Forschung und Arbeit. Bei vielen Fragestellungen kann das Parkinson-Syndrom als Modellerkrankung neurodegenerativer Prozesse dienen und hat damit eine herausragende Bedeutung für eine der wichtigsten Fragen der medizinischen Zukunft. 3 Schwerpunkte haben wir für das aktuelle Treffen ausgewählt.

Der Stellenwert der Genetik beim Parkinson-Syndrom wird häufig heftig und emotional geführt. Natürlich liegt die Wahrheit wie immer irgendwo dazwischen. Hierbei muss natürlich auch die Differenzierung zwischen Phänotyp und Genotyp berücksichtigt bleiben.

Es gibt etliche Krankheitsbilder, bei denen die genetische Diagnostik und Beratung unverzichtbar sind. Weiterhin haben uns die Genetiker zu vielen Fragen klare Antworten und Zuordnungen ermöglicht. Beim Parkinson-Syndrom ist die aktuelle Bedeutung begrenzt und die direkte Zuordnung gelingt nur im unteren einstelligen Prozentbereich. Man kann kritisch anmerken, dass erstaunlich viel Aufwand getrieben wurde und wird, der eventuell in anderen Bereichen sinnvoller wäre. Doch einerseits sind wissenschaftliche Erfolge nicht planbar und andererseits müssten die anderen Bereiche den Beweis der Richtigkeit der Aussage antreten. Außerdem wurde nie davon ausgegangen, dass es das Parkinson-Syndrom gibt, welches durch einen Gendefekt nachzuweisen wäre. Umgekehrt darf man auf keinen Fall den Fehler machen und die Erkenntnisse, die man bei den genetischen Formen gefunden hat, kritiklos auf alle Parkinson-Patienten zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Diagnostik, als auch die Therapie.

Eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Hilfestellung in der Therapie dürfte uns die Genetik mit der Identifikation pharmakologisch relevanter Genpolymorphismen liefern. Aktuell behandeln wir die Patienten stellenweise mit Medikamenten die entweder überhaupt nicht ansprechen können oder sogar einen negativen Effekt haben. Daraus resultieren fehlende Wirksamkeit, viele unerwünschte Wirkungen und Wechselwirkungen und teilweise auch die hohen NNT (numbers needed to treat) verschiedener Substanzklassen. Wenn wir zukünftig wissen welche Patienten von der Sub­stanz profitieren, verbessern wir nicht nur die Erfolgsraten sondern reduzieren auch die Komplikationen und natürlich die Kosten. In der Parkinson-Therapie könnten demnächst Genpolymorphismen bei MAO- und COMT-Hemmern, aber auch der Dopamintransporter eine bedeutende Rolle spielen. Die individualisierte Medizin wäre sicher ein Durchbruch und eine medizinische Revolution und vielleicht der wichtigste Beitrag der Genetik in der Parkinson-Therapie.

Ebenfalls kritisch diskutiert wird die Bedeutung der Leitlinien. Viele sehen nur die Gefahr eines Korsetts und einer Behinderung der Therapiefreiheit. Sicherlich wird man auch versuchen die Leitlinien zu missbrauchen, z. B. die Kostenträger zur Ablehnung von therapeutischen Maßnahmen. Zweifellos überwiegen aber die Vorteile. Niemand von uns kann die Neurologie überblicken. Keiner sollte sich bei seiner Fähigkeit einer individuellen Bewertung überschätzen. Die Medizin ist keine esoterische Wissenschaft und auch nicht mehr von der Empirie getrieben. Es gibt nach wie vor Kollegen, die eine sehr eigenwillige Diagnostik und Therapie betreiben, die bar jeder Evidenz ist. Diesen Unfug können und sollten wir uns nicht mehr leisten. Natürlich weisen auch die Leitlinien Fehler auf und sind weit davon entfernt unfehlbar zu sein, aber es ist die kompakteste und umfassendste Darstellung des aktuellen Wissens und der Evidenz. Jede Neuauflage kommt dem angestrebten Ziel einen Schritt näher. Wir sollten dabei die Grenzen nicht vergessen und die Leitlinien nicht unkritisch einsetzen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der erst in der letzten Zeit herausgearbeitet wurde, sind die Meilensteine der Erkrankung. Bedauerlicherweise finden diese Erkenntnisse noch unzureichend Berücksichtigung bei der Interpretation von Therapieempfehlungen. Diese Erkenntnis kann auch als Paradigmenwechsel gesehen werden, da etliche bestehende Vorurteile aus dem Weg geräumt wurden und wir Patienten entsprechend anders aufklären sollten. Das Parkinson-Syndrom ist keine Krankheitsentität und wahrscheinlich ein Sammeltopf verschiedener Erkrankungen mit einem ähnlichen klinischen Erscheinungsbild. Aber auch nach Abgrenzung atypischer und symptomatischer Formen bleiben etliche klinische Krankheitsbilder übrig, die verschiedene Verläufe haben. So unterscheiden sich Tremortyp und Akinese-Rigor-Typ erheblich. Betrachten wir das idiopathische ParkinsonSyndrom und lassen wir den Tremordominanztyp unberücksichtigt, kann man sagen, dass der präklinische Verlauf unterschiedlich lang ist und zwar je kürzer, desto höher das Lebensalter bei Diagnosestellung. Weiterhin, dass die Krankheit langsamer voranschreitet, je früher der Patient erkrankt. Wahrscheinlich weil die Kompensationsmechanismen besser sind. Jüngere Patienten sind lediglich beim Auftreten von Dyskinesien benachteiligt. Je jünger der Patient bei Beginn der L-Dopa Therapie, desto eher treten Dyskinesien auf. In der Frühphase der Erkrankung sind vor allem nicht motorische Frühsymptome beachtenswert. Treten im Verlauf sogenannte Meilensteine wie Demenz und Stürze auf, ist die Prognose schlecht und der klinische Verlauf zeitlich limitiert und relativ vorhersehbar. Das heißt, dass wir bei zukünftigen Studien die verschiedenen Subgruppen besser differenzieren müssen. Wir müssen von Therapiebeginn bis zum Auftreten der Meilensteine optimal behandeln, da wir hier am ehesten die Lebensqualität deutlich steigern können. Die Tatsache, dass alle Patienten in die Endphase kommen und das Leben unweigerlich mit dem Tod endet, darf nicht zum Nihilismus führen. Zu diesem Ansatz gehört natürlich auch, dass wir die Diagnose früher stellen, damit unsere Therapieansätze früher greifen können. Denn zweifellos gibt es eine Krankheitsmodifikation unserer Therapie, sowohl durch Physiotherapie und Logopädie, als auch die medikamentöse Therapie und operative Verfahren. Wir behandeln nicht rein symptomatisch, ansonsten wären bei den unterschiedlichen Therapien die Verläufe nicht so different.

Aktuell werden die wissenschaftlichen Erfolge beim ParkinsonSyndrom nicht mit neuen Medikamenten sondern in fast allen anderen Bereichen erzielt und das ist auch gut so. So gelingen uns wirkliche Fortschritte und nicht nur kleine Verbesserungen dessen, was uns aktuell schon zur Verfügung steht. In diesem Sinne freuen wir uns auf viele weitere Treffen.·

Mit kollegialen Grüßen
Ihre
Wolfgang Jost und Heinz Reichmann