physiopraxis 2012; 10(01): 57
DOI: 10.1055/s-0031-1301098
physiospektrum
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Quergefragt – Wie giftig sind Vitamine?

Christine Zilinski

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Publication Date:
05 January 2012 (online)

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Vitaminpräparate haben den Ruf, harmlose „gesunde“ Medikamente zu sein, die hoffentlich die Abwehrkräfte stärken und im schlechtesten Fall wirkungslos sind. Aber können Vitamine auch gefährlich sein? Dr. Kurt Moosburger, Facharzt für Innere Medizin, Sport- und Ernährungsmedizin aus Hall in Tirol, gibt Antwort.

Können Vitamine in Tablettenform schädlich sein?

Ja. Mit herkömmlichen Vitaminpräparaten kann man sich zwar kaum vergiften, dennoch sollte man vorsichtig sein. Kopenhagener Forscher haben in Metastudien, den sogenannten ACE-Studien*, nachgewiesen, dass die regelmäßige Einnahme von antioxidativen Vitaminen die Mortalität erhöht. Andere Studien zeigen, dass Raucher keine hochdosierten ß-Carotin-Präparate einnehmen sollten, da sie das Risiko für Lungenkrebs stark erhöhen können. In unserem Körper laufen ständig Redox-Prozesse ab, bei denen freie Radikale entstehen. Diese Moleküle sind potenziell toxisch, haben aber auch sinnvolle Aufgaben wie Krebszellen anzugreifen und abzutöten. Eliminiert man die Radikale durch eine unnötige Vitamineinnahme, kann man indirekt die Krebsentstehung fördern. Generell gilt: Finger weg von hochdosierten Vitaminpräparaten! Wir haben körpereigene Enzyme, um überschüssige freie Radikale abzufangen.

Braucht unser Körper bei Belastung Vitaminsupplemente?

Nein. Ich rate Sportlern von Vitaminpräparaten ab. Ernährt man sich mit einer vernünftigen Mischkost, bekommt der Körper alle Stoffe, die er braucht. Der Vitaminbedarf steigt nicht überproportional zum Energiebedarf an. Wenn ich mehr Sport mache und dadurch mehr esse, nehme ich automatisch auch mehr Vitamine zu mir. Antioxidative Vitaminpräparate können sogar den Trainingseffekt schmälern.

Wie sieht das bei kranken Menschen aus?

In einigen Fällen von chronischer Polyarthritis geben Ärzte Vitamin E und C, eventuell auch Selen. Dies hilft möglicherweise, Gelenkschmerzen zu verringern. Jedoch gibt es dafür keine wissenschaftlichen Belege. Gleiches gilt für die Gabe von Vitamin E bei Arteriosklerose sowie bei Gefäßverschluss infolge Diabetes oder Nikotinabusus.

Wann kann ein Vitaminmangel auftreten und wie äußert er sich?

Wenn man sich sehr einseitig ernährt, zum Beispiel wenig Obst und Gemüse, viel Fleisch und wenig Kohlenhydrate isst. Besonders Alkoholiker können beispielsweise einen Vitamin-B12-Mangel entwickeln, der sich in einer perniziösen Anämie manifestiert. Sie leiden dann aufgrund einer Nervenschädigung unter anderem an Gangunsicherheit und Polyneuropathie. Auch Menschen, die nicht richtig verdauen können, wie chronisch gastrointestinal Erkrankte, können einen Mangel entwickeln. Einem gesunden, vernünftig ernährten Organismus passiert dies in der Regel nicht.

Das Gespräch führte Christine Zlnski.

Quelle: JAMA 2007; 297: 842–857