Der Klinikarzt 2012; 41(1): 3
DOI: 10.1055/s-0032-1304522
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Warum keiner mehr Assistenzarzt werden will

Matthias Leschke
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Publication Date:
31 January 2012 (online)

Assistenzärzte in unseren Krankenhäusern haben einen Knochenjob. Über die im Tarifvertrag vorgeschriebenen 48 Wochenstunden kann man angesichts von Doppelschichten, Bereitschaftsdiensten, Notarzt fahren und 2 bis 4 Stunden täglicher Zeitvergeudung für Dokumentation am PC nur müde lächeln. 59 % der vom Marburger Bund befragten 18 000 Ärzte beklagten, dass an ihrer Klinik die Höchstarbeitszeit nicht eingehalten werde. Betriebswirtschaftlich kann man das ja nachvollziehen - das Management hat zuerst halt die Bilanz im Sinn. Viele Kliniken haben sich mit der sogen. ”Opt-out-Regelung“ einen Trick ausgedacht. Ein Arzt, der diese unterschreibt, erklärt sich bereit mehr zu arbeiten. Nimmt man pro Arzt 36 Überstunden pro Monat an, summiert sich dies bei 130 0000 Klinikärzten in Deutschland auf rund 56 Millionen Überstunden im Jahr. Zwei Drittel davon werden laut einer Umfrage des Marburger Bundes nicht bezahlt. Damit subventionieren die Klinikärzte unser Gesundheitssystem mit über einer Milliarde Euro pro Jahr. Kein Wunder, dass viele Jungmediziner ins Ausland flüchten oder ihre Fähigkeiten in anderen Bereichen einsetzen. Natürlich könnte der junge Assistent Punkt 16.30 Uhr sagen: ”Jetzt geh ich heim. Ich hab mein vertraglich vereinbartes Soll erfüllt“. Aber man will ja seine Facharztausbildung zügig und erfolgreich abschließen, will den Chef nicht vergrätzen (der reagiert oft alles andere als verständnisvoll, wenn seine Abteilung am Spätnachmittag weitgehend ärztefrei ist). Und dann fühlt man sich als Arzt ja vor allem auch den Patienten verpflichtet.

Klinikärzte arbeiten im Dienst der Gesundheit – und machen sich dabei selbst krank. Arbeitsüberlastung, zeitliche Überforderung, Schichtarbeit, mangelnde Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten, miserable Teamgestaltung, Konflikte zwischen Arbeits- und Privatleben, defizitäre Führung im Krankenhaus, unbefriedigende Qualität ärztlicher Weiter- und Fortbildung, Depression, Burn-out, Alkoholmissbrauch – solche Probleme sind an der Tagesordnung. Die Suizidraten liegen bei Ärzten höher als in der Allgemeinbevölkerung – nachzulesen in einer Untersuchung über Arbeitsbedingungen von Klinikärzten im Deutschen Ärzteblatt von 2011.

Die klinische Assistentenzeit war nie ein Zuckerschlecken. Früher regierten die Chefs eisern und der Nachwuchs tat gut daran, dem Chef gefällig zu sein, egal wie lang sich der Dienst hinzog. Doch irgendwann hatte man die Ochsentour geschafft und war zum Oberarzt bestellt, mit Aussicht auf eine eigene Chefposition oder die lukrative Praxis. Doch heute kämpfen niedergelassene Ärzte mit den Kostenträgern darum, wie sie für eine 40-Euro-Pauschale ihre Kassenpatienten ein Quartal lang betreuen sollen und Klinkchefs dürfen von der einstmals obligatorischen Villa nur noch träumen.

Bleiben wir aber bei den Assistenten, dem Rückgrat der ärztlichen Versorgung im Krankenhaus. Forderungen des Marburger Bundes, Streiks, heiße Debatten, ob der Breitschaftsdienst mit zum Arbeitskontingent gehört, die Klagen der Klinikbetriebswirte, das alles sei finanziell nicht mehr zu verkraften... es ist ein Teufelskreis. Jeder hat recht. Klinikarzt zu sein macht heute wenig Spass, die Krankenhausträger jammern nicht umsonst der nahenden Finanzkatastrophe wegen, der Politk fiel bislang wenig Konkretes ein.

Und wo bleibt dabei der Patient? Vielerorts wird er inzwischen als ”Kunde“ verharmlost. Ließe die übrige Wirtschaft auf ihre Kunden derart überstrapaziertes Personal los, könnte sie rasch Insolvenz anmelden. Kundenservice braucht Personal. Begreifen wir unsere Kunden wieder ganz altmodisch als Patienten, dann können sie uns leid tun: Patienten leiden. Sie brauchen nicht nur die Medizin, sondern auch den Arzt, der Zeit für sie hat. Unsere Assistenten aber hocken am PC und dokumentieren. Und noch ein Gesichtspunkt, der ganz selten und äußerst ungern angesprochen wird: Auch ein Assistenzarzt trägt schon enorm viel Verantwortung. Er entscheidet, oft mutterseelenallein, über Leben und Tod. Jeder Mensch hat nur eine bestimmte Konzentrationskapazität, diese ist irgendwann erschöpft und dann passieren Fehler. Oft mit gravierenden Folgen. Darüber lesen wir dann morgens in der Bild-Zeitung. Ein paar Prozente mehr nach einem Tarifstreit, eine zusätzlich besetzte Stelle, das ist Kosmetik und ändert nichts am System. Unsere Gesellschaft muss sich klar machen, dass die Gesundheitswirtschaft eine ganz besondere Art von Wirtschaft ist. Medizin lässt sich nicht automatisieren, auslagern, verbilligen. Trotz aller tollen Geräte geht ohne den Arzt nichts und zwar ohne den ausgeschlafenen, ausgeruhten ausgeglichenen Arzt, der nicht ständig am Limit wirkt.

Offenbar nehmen wir alle das Gut ”Gesundheit“ nicht ernst genug. Bei einer Bankenpleite bricht die Welt zusammen, aber eklatante Probleme im Krankenhaus nehmen wir halt hin. Hätten wir eigentlich nicht einen Rettungsschirm für unsere Kliniken genauso nötig? Wirkliche Abhilfe schafft nur eine umfassende Systemänderung. Hier ist Gesundheitsminister Daniel Bahr gefordert. Die Entwicklung, wonach bis zu zwei Drittel der Arztzeit für Dokumentation und Arbeit am PC und weniger als ein Drittel für Patientenkontakte und -versorgung bleiben, muss endlich wieder rückgängig gemacht werden. Die ärztliche Tätigkeit muss wieder zur Hauptaufgabe der Assistenzärzte werden. Nur so können wir junge Menschen langfristig dafür begeistern. ”Die Hoffnung stirbt zuletzt“ (so der Titel eines Films nach einem Drehbuch von Fred Breinersdorf).