Klinische Neurophysiologie 2012; 43(02): 119
DOI: 10.1055/s-0032-1316346
Editorial
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Schwerpunkt Epilepsie

Focus on Epilepsy
C. Baumgartner
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Publication Date:
22 June 2012 (online)

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Univ.Prof. Dipl. Ing. Dr. Christoph Baumgartner

Die Epilepsie ist mit einer Prävalenz von 5–9 pro 1 000 eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen und stellt den behandelnden Arzt vor vielfältige diagnostische und therapeutische Entscheidungen. Im vorliegenden Themenheft sollen einige diesbezüglich relevante Aspekte zusammengefasst werden.

Die medikamentöse Epilepsietherapie (Beitrag Steinhoff) ist nach wie vor die Standardbehandlung mit der bei der Mehrzahl der Patienten eine befriedigende Anfallskontrolle ohne wesentliche Nebenwirkungen erreicht werden kann. Durch die Entwicklung der sog. neuen Antiepileptika wurden die Therapiemöglichkeiten entscheidend erweitert, allerdings sind die Therapiestrategien komplexer geworden. Ob neue Wirkstoffe mit neuen Wirkmechanismen in Zukunft eine sog. rationale Pharmakotherapie ermöglichen werden, bedarf noch gewissenhafter Untersuchungen. Neben der antiepileptischen Wirksamkeit sind insbesondere die Verträglichkeit und pharmakinetische Aspekte wie fehlende Enzyminduktion sowie ein geringes Interaktionspotenzial bei der Therapiewahl zu berücksichtigen. Zudem bietet sich die Möglichkeit, individualspezifischen Bedürfnissen von Patienten durch geeignete Medikationswahl angemessen entgegen zu kommen.

Bei Frauen mit Epilepsie (Beitrag Pirker) ergeben sich einige spezielle Fragenstellungen, wie die nach der Fertilität im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sowie die Wechselwirkung zwischen Epilepsie, Antiepileptika und Hormonhaushalt. Ein weiteres wichtiges Thema ist die hormonelle Kontrazeption, wobei einerseits der Einfluss von Antiepileptika auf die Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva und andererseits der Einfluss von oralen Kontrazeptiva auf die Konzentration von Antiepileptika zu beachten sind. Wichtige Aspekte sind ferner die Auswirkungen einer Schwangerschaft auf die Anfallskontrolle und die Inzidenz von Schwangerschaftskomplikationen. Weitere Fragen ergeben sich bei der Geburtsführung, im Wochenbett und für das Stillen. Von besonderem Interesse sind die teratogenen Effekte von Antiepileptika und die Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung von Kindern, die in utero gegenüber Antiepileptika exponiert wurden.

Der Status epilepticus (Beitrag Trinka) ist die schwerste und extremste Ausprägung eines epileptischen Anfalls und geht mit einer Mortalität von 20% einher. Der Status epilepticus wird in 3 therapierelevante Phasen, die Frühphase (Stufe 1), den etablierten Status epilepticus (Stufe 2) und den fortgeschrittenen Status epilepticus (Stufe 3) eingeteilt. Zuletzt wurde ein viertes Stadium als superrefraktärer Status epilepticus (Stufe 4) definiert. Die Behandlungsziele umfassen die Aufrechterhalten der Vitalfunktion, die Identifikation von Ursache und auslösenden Faktoren sowie die Kontrolle der Anfallsaktivität. Hierfür werden in der Stufe 1 Benzodiazepine eingesetzt, wobei unterschiedliche Substanzen und unterschiedliche Applikationsformen zu Verfügung stehen. Die Therapie der Stufe 2 mit den traditionellen Antiepileptika Phenytoin/Fosphenytoin, Phenobarbital und Valproat, wurde zuletzt durch die neue Antiepileptika Levetiracetam und Lacosamid erweitert. In Stufe 3 werden Thiopental, Midazolam und Propofol eingesetzt. Für die Stufe 4 wurde zuletzt ein geordnetes Therapieschema vorgeschlagen.

Für viele Patienten mit medikamentös therapieresistenten Epilepsien stellt die Epilepsiechirurgie eine hoch effektive und sichere Behandlungsoption dar (Beitrag Baumgartner). Voraussetzung für einen epilepsiechirurgischen Eingriff ist eine exakte präoperative Epilepsiediagnostik, wobei die epileptogene Zone und essentielle Hirnregionen genau lokalisiert werden müssen. In der präoperativen Epilepsiediagnostik wird zwischen einer nicht-invasiven (Phase I) und einer invasiven Abklärungsphase (Phase II) unterschieden. Bei der Mehrheit der Patienten kann bereits nach der Phase I die Indikation für einen epilepsiechirurgischen Eingriff gestellt werden. Falls sich jedoch inkonklusive oder widersprüchliche Befunde ergeben, müssen in der Phase II intrakranielle Elektroden (stereotaktisch implantierte Tiefenelektroden subdurale Streifen- oder Plattenelektroden) zur Anwendung gebracht werden. Bei den operativen Verfahren kann prinzipiell zwischen resektiven Verfahren, die potentiell kurativ einzuordnen sind und diskonnektiven Verfahren, die lediglich palliativ angewendet werden, unterschieden werden.

Die Fortschritte im Bereich der bildgebenden Verfahren haben die Epilepsiechirurgie in den letzten Jahren revolutioniert (Beitrag Bonelli-Nauer). Die fMRT ist die Methode der Wahl, um die Lokalisation, die funktionelle Reorganisation und Plastizität von motorischen, somatosensorischen, Sprach- und Gedächtnisfunktionen bei Patienten mit Epilepsie zu untersuchen. In rezenten Studien konnte die fMRT das individuelle Risiko für postoperative Sprach- und Gedächtnisdefizite vorhersagen. Mittels Traktografie können die Bahnen der weißen Substanz (insbesondere die Pyramidenbahn und die Sehstrahlung) visualisiert werden, wodurch postoperative funktionelle Defizite vermieden werden können. In Zukunft sollten alle strukturellen und funktionellen Daten in Neuronavigationssysteme verlässlich integriert werden, um diese Information auch intraoperativ verwerten zu können.