Rofo 2012; 184(8): 692
DOI: 10.1055/s-0032-1318840
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kindesmisshandlung – Langzeitfolgen bei gesunden Personen sind im MRT nachzuweisen

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Publication Date:
14 August 2012 (online)

Traumatische Erlebnisse führen zu strukturellen und funktionellen Veränderungen in zentralen Gehirnstrukturen. Der Hippokampus hat bei Patienten mit Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung eine geringere Größe. Bei Opfern von Kindesmisshandlung könnte eine hyperreaktive Amygdala die Entwicklung einer Depression beeinflussen. Vor diesem Hintergrund untersuchten U. Dannlowski et al. die Langzeitfolgen von Kindesmisshandlungen bei gesunden Erwachsenen mithilfe der MRT.

Biol Psychiatry 2012; 71: 286–293

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Laut den Autoren sind die Effekte von Misshandlungen im Kindesalter bei sonst gesunden Erwachsenen in zerebralen MRT zu erkennen. a Koronare, 5 mm dicke IR-Aufnahmen des linken Temporallappens (Ausschnittsvergrößerung). b Koronare, 2 mm dicke T2-gewichtete TSE-Aufnahme des rechten Hippokampus (Ausschnittsvergrößerung). c Anatomische Strukturen (Sommer-Sektoren CA1 – CA4) sind halbschematisch eingezeichnet (Bild: Urbach H. Radiologie up2date 2006; 6: 359–368).

An der Studie nahmen 148 gesunde Personen im Alter von durchschnittlich 33,8 Jahren teil, bei denen in der Vergangenheit keine psychischen Störungen bestanden. Neben dem Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) setzten die Wissenschaftler die Perceived Stress Scale (PSS), den List of Threatening Experiences Questionnaire (LTE-Q), das State-Trait Anxiety Inventory, das NEO Five Factor Inventory, den Tridimensional Personality Questionnaire sowie den Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest ein.

Für die funktionellen MRT-Untersuchungen (fMRT) absolvierten die Teilnehmer Gesichtserkennungs- und sensorimotorische Aufgaben. In einem 3-T-System wurden funktionelle T2*-gewichtete Aufnahmen mit „single-shot gradient-echo echo-planar“-Sequenzen erstellt. Der voxelbasierten Morphometrie dienten T1-gewichtete Aufnahmen mit 3-dimensionalen „fast gradient echo“-Sequenzen. Da Kindheitstraumata auch andere Gehirnregionen betreffen können, wurden die CTQ-Ergebnisse mit Aufnahmen der grauen Hirnsubstanz korreliert.

Aus den Gesichtserkennungs- und sensorimotorischen Tests ergab sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen den Verhaltensmessungen und CTQ-Werten. Letztere waren dagegen stark mit der Reaktivität der Amygdala auf ängstliche bzw. böse Gesichter assoziiert. Die Ergebnisse blieben auch nach einer FWE-Korrektur für das gesamte Gehirn signifikant. Weder aktuelle stressvolle Ereignisse noch aktuelle subklinische Depressions- und Angstsymptome, verbale Intelligenz, soziodemografische Faktoren, Alter, Geschlecht oder Ausbildung beeinflussten die Reaktivität der Amygdala. Entsprechend der Auswertung von Subskalen waren emotionaler Missbrauch und emotionale Vernachlässigung die stärksten Prädiktoren für eine hyperreaktive Amygdala, gefolgt von physischem Missbrauch, physischer Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch. In keinem anatomischen Hirnareal ergab sich eine negative Assoziation zu den CTQ-Werten.

Die morphometrische Analyse zeigte bei Personen mit hohen CTQ-Ergebnissen kleinere Volumina des Hippokampus, der Insula, des orbitofrontalen Kortex, des vorderen Gyrus cingulus und des Nucleus caudatus. Der stärkste Prädiktor für eine verringerte Hippokampus-Größe war physische Vernachlässigung, gefolgt von emotionalem, sexuellem, physischem Missbrauch und emotionaler Vernachlässigung.

Fazit

Die Ergebnisse dieser Studie weisen auf einen starken Langzeiteffekt von Kindesmisshandlungen bei gesunden Erwachsenen auf 2 neuroradiologische Marker hin: Hyperreaktivität der Amygdala und kleinerer Hippokampus. Die Merkmale könnten nach Meinung der Autoren als Marker eines erhöhten Risikos für psychische Störungen dienen.

Matthias Manych, Berlin (Medizinjournalist)