Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2012; 9(3): 147-149
DOI: 10.1055/s-0032-1318911
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Deutsche Gesellschaft für Senologie – „Interdisziplinäres Denken und Handeln haben obersten Primat“

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Publication Date:
31 October 2012 (online)

Professor Dr. med. Diethelm Wallwiener ist Ärztlicher Direktor der Universitätsfrauenklinik Tübingen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS). Die 1981 gegründete DGS zählt mit über 2000 Mitgliedern zu einer der großen deutschen interdisziplinären medizinischen Fachgesellschaften und hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt: neben den rein wissenschaftlichen Themen werden Qualitäts- und Versorgungssicherung immer wichtiger.

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Prof. Dr. med. Diethelm Wallwiener, Tübingen

Senologie: Herr Professor Wallwiener, Sie kandidierten auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Senologie nicht wieder als Präsident. Sie haben dieses Amt im Jahr 2002 übernommen. Was war Ihre Motivation?

Prof. Wallwiener: Ich glaube, dass jede Ärztin, jeder Arzt, die sich mit dem Thema Brustkrebs befassen, von der Motivation getrieben sind, die Qualität der Therapie wie auch die Versorgung der Patientinnen immer weiter zu verbessern. Immer noch ist der Brustkrebs mit über 70 000 jährlichen Neuerkrankungen in Deutschland die häufigste Krebserkrankung der Frau. Wenn Sie in Ihrer klinischen Arbeit fortwährend damit konfrontiert sind, kommen Sie nicht umhin, sich zu fragen, was Sie noch tun können, um in der Versorgung solcher Patientinnen Verbesserungen zu erwirken.

Um es gleich zu sagen: Es bedarf immer noch der allergrößten Anstrengungen im Hinblick auf die Qualitätssicherung, aber auch im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenserwartung – wobei die Lebenserwartung immer auch in Verbindung mit der Lebensqualität gesehen werden muss, besonders in der palliativen Situation.

Die DGS hat seit ihrer Gründung immer zwei Dinge in den Vordergrund gestellt: den interdisziplinären Ansatz und die Qualitätssicherung. Meine Vorgänger haben beides in dieser vergleichsweise jungen Gesellschaft mit bewundernswertem Engagement vorangetrieben. Ohne deren Arbeit hätten die Therapieoptimierungen keine Basis gehabt, wie etwa die Implementierung des interdisziplinären Verständnisses und des Organbewusstseins im Rahmen der Entwicklung der brusterhaltenden Therapie, durch Professor Fred Kubli und Professor Gunther Bastert in der Gründungszeit der DGS. Durch die Arbeitsgruppen von Professor Heinrich Maass und Professor Walter Jonat, sowie von Professor Manfred Kaufmann wurde der DGS im Ausland Gehör verschafft. Die intensive Beschäftigung mit Versorgungsforschung und Versorgungssicherung ist das Vermächtnis von Professor Klaus-Dieter Schulz, Marburg. In Bezug auf die Qualitätssicherung in der Mammografie sind die Deutsche Gesellschaft für Radiologie und unsere Ehrenpräsidentin, Frau Professor Ingrid Schreer zu nennen – und natürlich alle, die die Einführung des Mammografie-Screenings in Deutschland gefördert haben. Und die Qualitätssicherung und Zertifizierung der interdisziplinären Brustzentren wären ohne die Leitlinienarbeit von Professor Rolf Kreienberg und Professor Schulz in Kooperation mit der Deutschen Krebsgesellschaft und deren Präsidenten nicht möglich gewesen. Sie sehen, die DGS hat eine lange Tradition der Innovation und interdisziplinären Zusammenarbeit. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich es als ehrenvoll empfunden habe, diese Arbeit fortsetzen zu dürfen.

Senologie: Blicken Sie mit Zufriedenheit auf Ihre Arbeit zurück?

Prof. Wallwiener: Angesichts der großen Aufgaben, die wir noch vor uns haben, ist das ein falsches Wort. Wenn Sie auf das große Spektrum der Tätigkeiten der Gesellschaft blicken, so ist dies ein Ergebnis, das nur in intensiver Zusammenarbeit Vieler erarbeitet werden konnte. Bei der Arbeit an Leitlinien und Konsensusempfehlungen arbeiten wir eng mit den anderen Fachgesellschaften zusammen, insbesondere mit der Deutschen Krebsgesellschaft. Unter der Koordination von Professor Rolf Kreienberg sind in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die Grundlagen des Zertifizierungsprogrammes für Brustzentren – das von der Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Senologie gemeinsam betrieben wird – geschaffen worden. Dies ist bis heute auch die Grundlage der Zertifizierung interdisziplinärer onkologischer Zentren, auch im Nationalen Krebsplan, auf der Basis des aktiven Engagements von Professor Peter Hohenberger, dem Präsidenten der Deutschen Krebsgesellschaft sowie Professor Michael Bamberg und Professor Matthias W. Beckmann.

Wie übergreifend die Gesellschaft arbeitet, sehen Sie auch an der Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beirates: vertreten sind dort die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutschen Gesellschaften für Innere Medizin, Pathologie, Radiologie und noch mehr. Die Mitgliedschaft der Gesellschaft setzt sich aus Gynäkologen, Radiologen, Chirurgen, Internisten, Pathologen und plastischen Chirurgen zusammen, um nur die wichtigsten Fachrichtungen zu nennen.

Wir haben verinnerlicht, dass interdisziplinäres Denken und Arbeiten obersten Primat haben, ohne die Individualität der jeweiligen Fachgesellschaften zu vernachlässigen. Deshalb ist es für mich ein großes Anliegen, all denen zu danken, ohne deren intensives Engagement die Meilensteine der letzten Dekade nicht erreicht worden wären. Ich darf in diesem Zusammenhang die diesjährigen Ehrenmitgliedschaften der DGS erwähnen, mit denen wieder herausragende Persönlichkeiten geehrt werden, wie Herr Professor Manfred Dietel, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, der Geschäftsführer der Deutschen Krebsgesellschaft, Dr. Johannes Bruns, und der Geschäftsführer der Deutschen Krebshilfe, Herr Gerd Nettekoven; alle sie werden für ihren persönlichen Einsatz, aber auch stellvertretend für die von ihnen vertretenen Verbände geehrt.

Senologie: Welche Rolle spielen die Patientinnen in der DGS?

Prof. Wallwiener: Eine ganz zentrale Rolle. Es gibt z. B. Patientinnen-Leitlinien, die Informationen zu Brustkrebs-Früherkennung, Diagnostik und Therapie von Mammakarzinomen zusammenfassen, koordiniert von Frau Professor Ute-Susann Albert, Marburg. In der Gesellschaft haben die Patientinnen eine starke Stimme; die DGS war eine der ersten wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die die Patientinnen in den Mittelpunkt gestellt und die Selbsthilfegruppen in ihren Beirat aufgenommen haben. Dies war auch ein großes Verdienst von Hilde Schulte, der ehemaligen Sprecherin der Frauen nach Krebs, die dafür auch die Ehrenmitgliedschaft der DGS verliehen bekommen hat.

Es gibt interaktive Projekte zur Patientinnenberatung, bei denen die Fragen von Experten beantwortet werden. Die Anzahl der Anfragen von Patientinnen steigen kontinuierlich, was für uns ein Zeichen dafür ist, dass die DGS auch in der Öffentlichkeit immer mehr als Ansprechpartner und Meinungsbildner angesehen wird. Ich begrüße das sehr, denn die informierte Patientin hat höhere Heilungschancen: Je besser die Patientin das Krankheitsgeschehen versteht, desto besser kann sie aktiv an der Therapie mitwirken und damit zur Heilung beitragen. Von daher unterstütze ich auch insbesondere die Möglichkeit, dass Ansprechpartner zur „second opinion“ herangezogen werden. All dies gilt natürlich auch für die Vorsorge: Informierte Patientinnen besuchen eher Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennungsprogramme, sodass Erkrankungen rechtzeitig erkannt und effektiver behandelt werden können.

Senologie: Die Jahre Ihrer Amtszeit waren sehr aktive Jahre in der Gesellschaft.

Prof. Wallwiener: Ja, in der Tat. Neben den erwähnten Zertifizierungsvorgaben und Leitlinien erschienen auch wichtige Konsensusempfehlungen, die interdisziplinär erarbeitet worden sind. Darüber hinaus war die Gründung einer eigenen Zeitschrift, der „Senologie“, einer der wichtigsten Meilensteine unserer Gesellschaft. Die Zeitschrift ist wissenschaftliches Organ und Kommunikationsplattform der deutschen Senologie; sie feiert dieses Jahr den 9. Erscheinungsgeburtstag. Ich bin den Herausgebern, Frau Professor Sara Brucker, Frau Professor Ingrid Schreer und Herrn Professor Matthias Beckmann und allen Mitherausgebern sehr dankbar, denn ohne ein eigenes wissenschaftliches Organ kann eine wissenschaftliche Fachgesellschaft keine eigene Identität bewahren und hat langfristig, zumindest meines Erachtens, keine Zukunft.

Die Deutsche Gesellschaft für Senologie hat sich eine wissenschaftliche Identität und eine zentrale Stellung für die Zukunft erkämpft. Auf der Basis der gemeinsamen Arbeit mit der Deutschen Krebsgesellschaft werden heute bereits weit über 90% aller an Brustkrebs erkrankten Frauen in zertifizierten interdisziplinären Brustzentren behandelt: Schon das ist eine Erfolgsgeschichte!

Senologie: Entspricht dem auch ein Erfolg in der medizinischen Versorgung?

Prof. Wallwiener: Wenn ich so etwas wie Zufriedenheit empfinde, dann darüber, dass zum Ende meiner Präsidentschaft valide Daten darüber vorliegen, dass sich die gemeinsame Mühe wirklich gelohnt hat: Die Benchmarking-Ergebnisse der zertifizierten Brustzentren zeigen, dass in Deutschland die Leitlinientreue in allerhöchstem Maße gilt. Und es gibt erste Ergebnisse, dass in zertifizierten Brustzentren 30% bessere Überlebensraten erzielt werden können, wie die Arbeitsgruppe um Professor Matthias W. Beckmann gezeigt hat.

Dem liegt zwar ein extrem hoher Personal- und Dokumentationsaufwand zugrunde; aber nach einer Analyse der Krebsgesellschaft wird an der überwiegenden Mehrzahl der Standorte das Konzept als „gut“ oder „sehr gut“ eingestuft. Das ist darauf zurückzuführen, dass wahrgenommen wird, dass die Versorgungsqualität nicht nur im eigenen Brustzentren, sondern auch in Deutschland besser ist als vor der Einführung der Zertifizierung. Positiv werden auch die psychoonkologische Betreuung sowie der Kontakt zu den einweisenden niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen beurteilt; hier spielen die standardisierte Kommunikation und die Fortbildungsveranstaltungen eine wichtige Rolle.

Seonologie: Kann man den Erfolg der leitlinienkonformen Therapie in den Brustzentren quantifizieren?

Prof. Wallwiener: Sie wissen, dass schon 2009 die Arbeitsgruppe um Professor Rolf Kreienberg nachweisen konnte, dass eine leitliniengerechte Behandlung das rezidivfreie Überleben und das Gesamtüberleben hochsignifikant verbessert. Das ist die Anforderung an alle onkologischen Zentren für die Zukunft!

Senologie: Wie gestaltet sich die wirtschaftliche Situation der Zentren?

Prof. Wallwiener: Etwa 30% der Zentrumsleiter geben an, dass sich die wirtschaftliche Situation an den Operationsstandorten verschlechtert. Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, die belegen, dass die Versorgung von Brustkrebs-Patientinnen in zertifizierten Brustzentren nicht entsprechend vergütet wird und Zuschläge erforderlich wären, um die Kosten zu decken. Daher müssen die Kostenträger endlich einsehen, dass Brustzentren in erster Linie nur als integraler Bestandteil von Frauenkliniken querfinanziert werden können. Gesundheitsökonomisch gesehen sind sie aber schon heute für die Gemeinschaft kosteneffizient, allein durch die verbesserte Behandlungsqualität und das bessere Gesamtüberleben bei gesteigerter Lebensqualität: Das bedeutet nämlich geringere Folgekosten, weniger Rezidive und weniger palliative Konstellationen.

Senologie: Und welchen Verbesserungsbedarf sehen Sie bezüglich der Brustkrebszentren?

Prof. Wallwiener: Die wichtigsten Desiderate kennen Sie, wenn Sie unsere Veröffentlichungen verfolgen. Es gibt noch große Unterschiede zwischen den Brustkrebszentren untereinander, auch die Vernetzung der Brustzentren mit dem Mammografiescreening-Programm kann noch optimiert werden. Seit 2009 arbeitet eine Arbeitsgruppe aus DGS, der Interessengemeinschaft der programmverantwortlichen Ärzte des Mammografie-Screening-Programmes und aller niedergelassenen Ärzte daran, die Wege zu optimieren. Patientensicherheit, Risikomanagement, Qualitätssicherung: Hier können wir noch viel tun. Wenn Sie fragen würden, was mich persönlich am meisten beschäftigt, ist es aber dies: Wir sind in einer Phase, wo wir viel erreicht haben, wo jeder weitere Fortschritt aber mit deutlich höherem Aufwand erarbeitet werden muss. Ich hoffe nicht, dass wir uns – etwa angesichts der angesprochenen Finanzierungsprobleme – mit dem Erreichten zufrieden geben. Und natürlich würde ich mir wünschen, dass wirklich alle Frauen die Vorsorgeuntersuchungen und das Mammografie-Screening ernst nehmen und wahrnehmen. Im Durchschnitt erkrankt in Deutschland jede 10. Frau an einem Mammakarzinom – dies muss den Frauen bewusst sein.

Senologie: Was steht zukünftig an?

Prof. Wallwiener: Ich erwarte, dass die Qualitätssicherungsbemühungen von Generation zu Generation optimiert werden, dass die Benchmarking-Aktivitäten bei möglichst geringerem Aufwand durch Softwarelösungen verbessert werden, und dass eine Möglichkeit zur Vernetzung mit den Krebsregistern geschaffen wird.

Die DGS muss in allem zukunftsorientiert bleiben – und interdisziplinär. Interdisziplinarität heißt immer auch Integration von innovativem Expertenwissen – aktuell zum Beispiel geht es um die immer wichtiger werdenden hereditären Überlegungen im Hinblick auf die Optimierung der genetischen und molekularen Prädiktion.

Zukunftorientierung heißt für mich auch, dass das interdisziplinäre Brustzentrum integraler Bestandteil einer Frauenklinik bleiben muss, selbstverständlich unter dem Primat der Interdisziplinarität. Zukunftssichernd ist dabei für mich, dass die Arbeitsgemeinschaft „Zertifizierung der Brustzentren“ in der DGS – und hier gebührt dem Sprecher, Professor Thomas Beck, Anerkennung –, zu einem noch interaktiveren Netzwerk ausgebaut werden kann.

Zur Zukunftsoffenheit gehört Kommunikation. Ich habe unsere Zeitschrift erwähnt. Dazu gehört auch Senopedia (www.senopedia.info), die Wissensdatenbank der Deutschen Gesellschaft für Senologie, die alles Wissenswerte, auch im Hinblick auf die Qualitätssicherung, für die Mitglieder zur Verfügung stellt, und natürlich unsere Gesellschaftsseiten unter www.senologie.org, die aktuelle Informationen, Konsensusberichte und Leitlinien, Patienteninformationen und nicht zuletzt Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Gesellschaft für Senologie abrufbar hält.

Zukunftsorientiertheit heißt auch – und gerade für eine interdisziplinäre Fachgesellschaft – dass sie professionell gemanagt wird. Die DGS hat dank der modernen administrativen Geschäftsführung und der neuen Geschäftsstelle im Verbund mit den Partnergesellschaften diese Professionalität erreicht, ebenso hinsichtlich der Jahreskongresse, die die integrative Interdisziplinarität auch nach außen vorbildlich signalisieren!

Und natürlich erwarte ich einen sehr interessanten Kongress vom 05.–07. Juli 2012 in Stuttgart unter der Ehrenpräsidentschaft von Professor Michael Bamberg und der Kongresspräsidentschaft von Professor Wilfried Budach, Düsseldorf. Gemeinsam mit seinen Ko-Präsidenten, den Professoren Bernd Gerber, Walter Heindel und Christof von Kalle, hat er ein spannendes hoch aktuelles Programm auf die Beine gestellt. Neben den Vorträgen wird es Fortbildungskurse und Diskussionsforen geben, beispielsweise zu der eben erwähnten neuen S3-Leitlinie der Zusammenarbeit von Mammografie-Screening-Einheiten und Brustzentren – das wird sicherlich interessant.

Senologie: Und die Mitgliederversammlung wird einen neuen Präsidenten wählen.

Prof. Wallwiener: Die Interdisziplinarität ist seit jeher die treibende Kraft in der Gesellschaft! Für mich persönlich geht eine faszinierende Arbeitsperiode zu Ende, in der ich von all den Kolleginnen und Kollegen unendlich viel Unterstützung erfahren habe. Sie alle haben mit ihrer Arbeitskraft und ihrer Fachkompetenz gemeinsam die Gesellschaft zu dem gemacht, was sie heute ist, und sie haben auch dafür gesorgt, dass ich – zumindest hoffe ich das – nicht allzu viele Fehler gemacht habe. Von daher kann ich all den Genannten, allen Mitgliedern, allen Kolleginnen und Kollegen und allen Patientinnen bzw. Selbsthilfevertreterinnen nur allergrößten Dank und Anerkennung aussprechen.

Das Interview führte die GebFra-Redaktion