Der Klinikarzt 2012; 41(11): 499
DOI: 10.1055/s-0032-1331829
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Soll (darf) man Gesundheit per Gesetz verordnen?

Achim Weizel
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Publication Date:
29 November 2012 (online)

Nicht alle Krankheiten sind schicksalshaft bedingt, gerade bei den häufigsten Erkrankungen und Störungen wie Herzinfarkt, Diabetes, Krebs und Adipositas spielt persönliches Fehlverhalten eine entscheidende Rolle. Die weltweite Zunahme dieser Erkrankungen hat unter anderem dazu geführt, dass die Vereinten Nationen (UN) im September 2011 eine Konferenz mit dem Thema „ Prevention and control of non-conmmunicable diseases“ durchgeführt haben. Das wenig überraschende Ergebnis dieses Treffens war die Feststellung, dass Rauchen, hoher Alkoholkonsum, geringe körperliche Bewegung und ungesunde Ernährung an der Entstehung und der Ausbreitung dieser neuen „Volkskrankheiten“ entscheidend beteiligt sind. Die durch diese Krankheiten entstehenden Kosten sind erheblich, so sind sie in Großbritannien für 40 % der gesamten Kosten im Gesundheitssystem verantwortlich. Die Kosten für diese Erkrankungen haben teilweise ein solches Ausmaß erreicht, dass einzelne Staaten versuchen, mithilfe der Gesetzgebung steuernd einzugreifen.

In einer ersten Stufe werden dem Verbraucher Informationen über die Inhaltstoffe der Nahrungsmittel zugänglich gemacht. Dies geschieht zurzeit durch teilweise fast unleserliche Kalorien- und Inhaltsstoffangaben auf der Packung, sodass bezweifelt werden muss, ob diese Kennzeichnungen ihren Zweck erfüllen. Das viel klarere System der sogenannten „Ampelkennzeichnung“, das dem Verbraucher eine Blickdiagnose über den Gesundheitswert der Nahrungsmittel vermittelt, wurde in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern, nicht eingeführt.

Hauptverursacher der gesundheitlichen Probleme, hier besonders der Adipositas, ist der zu hohe Fett- und/oder Zuckergehalt mancher Nahrungsmittel. Mehrere Staaten haben sich daher in Anbetracht der steigenden Gesundheitskosten entschlossen, zu versuchen, durch Steuern den übermäßigen Konsum von Fett und Zucker zu bremsen. So hat Ungarn seit September 2011 eine Zusatzsteuer auf Lebensmittel mit zu viel Salz, Zucker und Fett eingeführt. Betroffen sind gesalzene Nüsse, Schokolade, Süßigkeiten, Biskuit, Eiscreme und Energy Drinks. Auf Alkoholika und Softdrinks wird eine 10 %ige Zusatzsteuer erhoben. Auch in Frankreich gibt es seit kurzem eine Steuer auf gesüßte Softdrinks.

In den Vereinigten Staaten hat sich nach der Veröffentlichung von mehreren Arbeiten (NEJM, September 2012) zum Zusammenhang zwischen Softdrink-Konsum und Übergewicht bei Kindern und bei Erwachsenen eine engagierte Diskussion über die Notwendigkeit einer Steuer auf Softdrinks entwickelt. Nach den vorgestellten Studien nehmen viele Kinder bis zu 15 % ihrer Gesamtkalorien durch Softdrinks zu sich. Da diese den Appetit nicht stillen, addieren sich diese Kalorien zu der übrigen Nahrung, die von diesen Kindern sehr häufig in Form von Chips und Süßigkeiten konsumiert wird. Zusammen mit der Bewegungsarmut unterstützt dieses Verhalten massiv die Entwicklung der Adipositas.

Der steuernde Eingriff in das Konsumverhalten des Bürgers ist nicht neu, wenn man zum Beispiel an die hohen Steuern auf Alkohol in den skandinavischen Ländern denkt. Die wissenschaftlichen Grundlagen für dieses Vorgehen sind nicht sehr gut, die Frage, ob durch erhöhte Steuern der Konsum in die gewünschte Richtung verschoben wird, ist nicht endgültig geklärt. Die meisten Daten dazu stammen aus wissenschaftlichen Modellen und nicht aus praktischen Erprobungen. In diesen Modellen lassen sich allerdings positive Ergebnisse prognostizieren. So wird angenommen, dass eine Steuer von 17,5 % auf gesättigte Fettsäuren pro Jahr zu 1800 bis 2500 weniger KHK-Todesfällen in Großbritannien führen würde. Nach australischen Berechnungen würde eine Steuer in Höhe von 10 % auf ungesunde Lebensmittel zu 560 000 weniger daly (disability adjusted life years) führen; der teilweise Ersatz von gesättigten Fettsäuren durch Obst und Gemüse würde die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse um 2–3 % vermindern. Übereinstimmend wird darauf hingewiesen, dass eine Steuer, um wirksam zu sein, in der Größenordnung von 20 % liegen müsste.

Kritische Fragen bleiben nicht aus. Es ist nicht bekannt, ob die Verbraucher bei höheren Steuern nicht auf andere, ebenfalls ungesunde Lebensmittel ausweichen würden, es ist auch nicht geklärt, ob durch diese Steuern nicht sozial schwächere Bürger besonders stark betroffen wären.

Trotzdem scheint der Trend zu staatlichen Eingriffen mit dem Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, deutlich zuzunehmen. Die Durchsetzung des Rauchverbots in öffentlichen Räumen ist ein Beispiel dafür, wie eine gesundheitspolitisch motivierte Maßnahme implementiert werden kann. Die Kosten, die im Gesundheitssystem durch falschen Lebensstil entstehen, werden weiter steigen. Es ist zu erwarten, dass der Druck auf den Gesetzgeber auch bei uns irgendwann so groß wird, dass sich die Politik gezwungen sieht, regulierend einzugreifen.