Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(14): 687-688
DOI: 10.1055/s-0032-1333042
Editorial
Innere Medizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Faszination Innere Medizin

Eine persönliche PerspektiveFascinating internal medicineA personal viewpoint
J. Mössner
1   Klinik und Polklinik für Gastroenterologie und Rheumatologie, Department für Innere Medizin, Neurologie und Dermatologie, Universitäts- klinikum Leipzig, AöR
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 March 2013 (online)

Den Autoren der Beiträge in dieser DGIM Gesellschaftsausgabe der DMW ist es gelungen, die hoffentlich nicht nur mich begeisternde Breite und Dynamik der Inneren Medizin darzustellen. Da jeder Artikel in prägnanten Kurzzusammenfassungen das klinisch Relevante hervorhebt, möchte ich nur einige Gedanken äußern.

Als ich 1977 meine Weiterbildung zum Internisten begann, gab es außer der konventionellen Röntgen-Diagnostik praktisch keine weiteren bildgebenden Verfahren. Als ich mit dem bügeleisengroßen Schallkopf des Ultraschallgerätes eines namhaften deutschen Herstellers bei einer Patientin mit klassischer Gallenkolik den Schallschatten auf dem ausgedruckten Polaroidbild als Beweis für den Gallenblasenstein dem Chirurgen zeigte, meinte dieser, Sonographie sei etwas für fantasiebegabte junge Internisten.

Die Autoren Hocke und Dietrich (S.  732) zeigen jetzt die Möglichkeiten der kontrastmittelverstärkten Doppler-Endosonographie in der Pankreasdiagnostik. Mit dieser Methode lassen sich insbesondere zystische Pankreasraumforderungen gut charakterisieren. Die schwierige Differenzialdiagnose zwischen dysontogenetischer Zyste oder kleiner Pseudozyste und einer der unterschiedlichen zystischen Pankreasneoplasien wird erleichtert und grenzt die Indikation zu weiterer Diagnostik (Endosonographie-gesteuerte Punktion) ein. Der Empfehlung der Autoren, diese Methode bei Verdacht auf Pankreaskarzinom grundsätzlich einzusetzen, kann ich mich nicht anschließen, da sich diese Differenzialdiagnose eher selten stellt. Die rasch fortschreitende technische Entwicklung der Sonographie, Magnetresonanztomographie und Computertomographie mag mit ein Grund sein, dass prospektive Vergleichsstudien der bildgebenden Verfahren fehlen.

Die Ultraschallentwicklung ist keineswegs abgeschlossen, und ich hoffe, dass es uns vielleicht in Kürze gelingt, ein derzeit noch gravierendes Problem zu lösen: die Diagnose eines kleinen Pankreaskarzinoms auf dem Boden einer chronischen Pankreatitis, zum  Beispiel als Folgekomplikation einer seit Jahrzehnten bestehenden hereditären Pankreatitis. Es ist bedrückend, wenn die Risiken einer chronischen Erkrankung zwar bekannt sind, aber noch keine Überwachungsstrategie angeboten werden kann. Auch die Computertomographie kann dieses Problem noch nicht lösen.

Von der diagnostischen Aussagekraft der Bilder eines Dünnschicht-CTs hätte ich nach meinem Staatsexamen 1976 nur träumen können. Der gute Internist stellte damals aber noch Verdachtsdiagnosen, las seinen „Siegenthaler“ und überlegte Differenzialdiagnosen. Heute wird aus Angst, etwas zu übersehen, oft primär eine Ausschlussdiagnostik mittels CT betrieben. Meine Mitarbeiter fragen schon spöttisch, ob der Patient bei der stationären Aufnahme sein „Begrüßungs-CT“ dabei hätte. Die steigenden Malignomzahlen als Folge der zur Diagnostik eingesetzten Röntgenstrahlen müssen uns wieder kritischer werden lassen. Dann reduzieren sich auch die von Westenfeld und Rump (S. 715) dargestellten kontrastmittelinduzierten Nephropathien. Dieser Artikel zeigt auch, dass die Ergebnisse bereits publizierter Studien vor einer geplanten Herzkatheteruntersuchung dazu veranlassen sollten, die Volumentherapie vor und nach der KM-Gabe bei Risikopatienten differenzierter zu steuern, um das Risiko des Nierenversagens zu mindern.

Jeder Internist sollte die Duplexsonographie beherrschen. Wie Schwarzwälder und Zeller (S. 691) zeigen, führt eine rasche Ursachenklärung der Extremitätenischämie zu den interventionellen Therapiemöglichkeiten, die in der Regel eine Amputation vermeiden lassen.

Der Artikel von Erdmann (S. 700) zu den heutigen Möglichkeiten der Therapie der Herzinsuffizienz bei älteren Patienten lässt mich an meine Stationsarztzeit erinnern, als ich „ein Achtel Stroph(antin)“ spritzen durfte. Das Wissen von heute ist oft der Irrtum von morgen. Digitalis erhöht wahrscheinlich sogar die Letalität bei Älteren mit Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern. Eine differenzierte medikamentöse Therapie mit z. B. Diuretika, ACE-Hemmern, Sartanen, Betablockern setzt eine Echokardiographie voraus, da die Therapie bei diastolischer und systolischer Herzinsuffizienz verschieden ist. Als Befürworter der evidenzbasierten Medizin muss ich aber dem Autor zustimmen, dass die großen Studien zur medikamentösen Therapie der Herzinsuffizienz betagte ältere Frauen nicht einschlossen. Gerade diese Patientinnen mit Herzinsuffizienz haben wir aber in der Praxis oft zu behandeln.

Frau Kollegin Kücükköylü und Rump (S.  721) zeigen die komplexe Interaktion zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Niereninsuffizienz. Stereotypisch angewandte therapeutische Verfahren müssen in dieser Situation wesentlich differenzierter gesehen werden.

Beim Thema Intensivmedizin in der „Inneren“ – ich hoffe, man nimmt mir die Aussage nicht übel – dürften viele primär die Assoziation zu kardiologischen, pneumologischen und gastroenterologischen Krankheitsbildern haben. Der Beitrag von Jäger und Willenberg (S.  697) zeigt eindrücklich, wie wichtig endokrinologisches Wissen in der Intensivmedizin ist; auch dass etliche Fragen zur Hormonsubstitution wissenschaftlich noch zu beantworten sind.

Der positive Einfluss rechtzeitig begonnener physiotherapeutischer Maßnahmen in der Intensivmedizin auf zahlreiche Körperfunktionen, nicht nur Lunge, sondern auch Kognition, wird überzeugend von Malfertheiner und Brückner (S. 712) dargestellt.

Das Prostatakarzinom ist der häufigste bösartige Tumor beim Mann. Bei vielen bleibt der Tumor inapparent. Wir verstehen noch nicht im Detail, welches Karzinom metastasiert und zum Tode führt. Die medikamentösen therapeutischen Möglichkeiten in der Palliation sind deutlich besser, allerdings auch sehr komplex geworden, wie Frau Kollegin Lorch aus Düsseldorf ausführt (S. 703).

Lorenz (S.  728) erläutert das weite, teilweise noch durch Studien zu belegende Spektrum der Therapie von Kollagenosen. Auch bei diesen Erkrankungen haben die „Biologicals“ einen wirklichen Fortschritt gebracht.

Die Tuberkulose gehörte in Europa zu den Geißeln. Die Todesrate war hoch. Friedrich Schiller starb an Tuberkulose. Wer sich für seine eigene Familiengeschichte interessiert, wird in den Kirchenbüchern als Todesursache seines Urgroßvaters vielleicht „Auszehrung“ finden. Die Tuberkulose bleibt weltweit ein Problem, von der Erkrankung in den armen Ländern bis hin zu zunehmender Multiresistenz z. B. in Osteuropa. Der Beitrag von Schaberg (S.  725) lässt erkennen, dass unser Wissen über die Behandlung dieser Erkrankung geschärft werden muss.

Als junger Weiterbildungsassistent kam ich als Stationsarzt mit Protozoeninfektionen wenig in Berührung. Das änderte sich schlagartig mit der HIV-Epidemie, als es noch keine effektive Therapie gab. Aber auch heute sollten Internisten an Erkrankungen durch Protozoeninfektion nicht nur bei Reisenden aus tropischen Ländern denken, wie Weinke und Liebold (S. 709) zeigen.

Ich wünsche diesem spannenden Heft einen großen Leserkreis vom Studierenden vor dem Staatsexamen bis zum erfahrenen Internisten. Alle werden in dieser Ausgabe der DMW wieder praxisrelevante Diagnostik- und Therapiekonzepte erfahren.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Ihr

Joachim Mössner