Z Gastroenterol 2013; 51(4): 343-344
DOI: 10.1055/s-0033-1335228
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

100 Jahre Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und 50 Jahre Zeitschrift für Gastroenterologie

M. M. Lerch
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Publication Date:
12 April 2013 (online)

Im Jahr 2013 feiert unsere Fachgesellschaft zwei Jubiläen, den 100. Geburtstag der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und den 50. Geburtstag der Zeitschrift für Gastroenterologie. Beide Jahrestage sind Grund genug für eine Rückschau und einen Ausblick. Beim Jahreskongress in Nürnberg im September 2013 wird unter der Kongresspräsidentschaft von Guido Gerken eine Ausstellung den ersten 100 Jahren der DGVS gewidmet. Die Geschichte der Gesellschaft wird zurzeit durch Harro Jenss und eine Historikergruppe erarbeitet, die auch als Buch zum Jubiläumskongress vorliegen wird. Die Aufarbeitung von 100 Jahren DGVS wird nicht nur die Höhepunkte und Verdienste unserer Fachgesellschaft berücksichtigen, sondern auch an die nach 1933 vertriebenen und ermordeten Gastroenterologen jüdischer Abstammung erinnern und sich der Verstrickung von Gastroenterologen im Dritten Reich stellen.

Die Innere Medizin in Deutschland hat länger als vergleichbare Gesellschaften im Ausland die Einheit ihres Faches als Ziel verteidigt und tut dies noch heute. Die Anfänge der Spezialisierung zur Gastroenterologie gehen zurück ins 19. Jahrhundert. Theodor Frerichs begann in Breslau im Jahr 1858 sein Werk zur „Klinik der Leberkrankheiten“ und Carl Ewald gab im Jahr 1879 den ersten Band seiner „Klinik der Verdauungskrankheiten“ heraus. Ismar Boas, ein Schüler Carl Ewalds, ließ sich im Jahr 1886 als erster Spezialarzt für Magen-Darm-Krankheiten in Berlin nieder und veröffentlichte 1890 sein Lehrbuch über die Magenkrankheiten. Den ersten Lehrstuhl für Gastroenterologie bekleidete Max Einhorn, ein Schüler von Gustav Langmann und Hospitant bei Carl Ewald in Berlin, im Jahr 1889 in New York.

Bereits 1897 gründete sich in den USA die „American Gastroenterological Association“ unter Beteiligung von Max Einhorn und John Hemmeter, der in Hanau und Wiesbaden zur Schule ging und den eine lebenslange Freundschaft mit Ewald verband. Die Japanische Gesellschaft für Gastroenterologie wurde 1902 durch Shokochi Nagayo gegründet, der sich nach dem Studium in München, Würzburg und Berlin bei Wilhelm von Leube auf die Gastroenterologie spezialisiert hatte und in Tokyo als erster Spezialist für Magen-Darm-Krankheiten niederließ. Noch heute heißt übrigens der Japanische Fachausdruck für Magenkrebs – Magenkrebs.

Trotz dieser Deutschen Führungsrolle bei der Entwicklung des Faches erfolgte die Gründung der DGVS im Jahr 1913, als erster europäischer Fachgesellschaft für Gastroenterologie, im Vergleich zu den USA und Japan relativ spät. Dies war nicht zuletzt dem hinhaltenden Widerstand von Kollegen zu verdanken, die die Einheit der Inneren Medizin gefährdet sahen und sich erst im Jahr 1912 auf die Erste Tagung für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, also einen „Spezialkongress“, verständigen konnten. Mit ähnlicher Zielsetzung (und genauso wenig Erfolg) haben spätere Gastroenterologen versucht, die Verselbstständigung der Endokrinologie und Diabetologie aus dem Verbund der DGVS zu verhindern, so z. B. mein Greifswalder Vorgänger Gerhardt Katsch als Präsident im Jahr 1952.

Einen offiziellen Facharzt für Magen-Darm-Krankheiten gibt es seit dem Bremer Ärztetag 1924 – und dieser wurde beim Ärztetag 1949 in Hannover auch gleich erst mal wieder abgeschafft. Die berufspolitischen Aktivitäten der DGVS beherrschte deshalb lange der Kampf um die Anerkennung der eigenen Subspezialisierung, der letztlich mit der Einführung des Gastroenterologen im Jahr 1968 auch erfolgreich war.

Interessanterweise verstanden sich weder die Gesellschaft für Innere Medizin (erster Kongress 1882) noch die Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (erster Kongress 1914) zunächst als Deutsche Veranstaltungen im nationalen Sinne und haben das Attribut erst in den Namen aufgenommen (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin 1920, DGVS 1938) als die Deutsche Sprache nach dem ersten Weltkrieg ihre Bedeutung als lingua franca der Medizinischen Wissenschaft rasch verlor. Deshalb überrascht es nicht, dass DGVS-Kongresse auch in Wien (1920 war beschlossen worden, die Jahrestagung im Wechsel zwischen Berlin und Wien auszurichten), Budapest und Amsterdam stattfanden. Auch heute noch führt die DGVS diese Tradition fort mit zahlreichen ausländischen Mitgliedern und einer Fachzeitschrift, der „Zeitschrift für Gastroenterologie“, die gleichzeitig das offizielle Organ der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie und der Ungarischen Gesellschaft für Gastroenterologie ist. Von Anfang an war die DGVS auch als interdisziplinäre Fachgesellschaft angelegt, die sich seit der Grundsatzrede von Ismar Boas beim Kongress 1920 um die Einbeziehung von Grundlagenwissenschaftlern und Kollegen aus klinischen Partnerdisziplinen bemüht hat. Dies erklärt, warum in der 100-jährigen Geschichte 5 Chirurgen und ein Biochemiker (Robert Ammon 1969) der DGVS vorstanden.

Ähnlich wie die DGVS haben auch ihre Publikationsorgane eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Als erste deutschsprachige Fachzeitschrift wurde 1895 von Ismar Boas das „Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluss der Stoffwechselpathologie und der Diätetik“ im Karger Verlag in Berlin gegründet. Wegen der Repressalien des NS-Regimes gegen Samuel Karger und seinen Sohn Heinz verlegte das Unternehmen 1937 seinen Sitz nach Basel und das Archiv für Verdauungskrankheiten erschien seit 1939 als „Gastoenterologie“ in der Schweiz und wird dort seit 1964 als „Digestion“ in Englischer Sprache fortgeführt. In der Folge wurde 1938 die „Deutsche Zeitschrift für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten“ in Leipzig gegründet und offizielles Organ der DGVS. Nach dem zweiten Weltkrieg setzten sich Gastroenterologen in beiden Teilen Deutschlands sehr lange für die Einheit der DGVS als gemeinsamer Fachgesellschaft ein, bis der Mauerbau 1961 dies endgültig unmöglich machte und die Gründung einer „Gesellschaft für Gastroenterologie der DDR“ zur Folge hatte. Diese nutzte die „Deutsche Zeitschrift für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten“ weiter als offizielles Organ (ab 1988 weitergeführt als „Gastroenterologisches Journal“) und machte in Westdeutschland die Gründung einer neuen Fachzeitschrift, der „Zeitschrift für Gastoenterologie“ im Jahr 1963 erforderlich.

Dies ist das zweite Jubiläum des Jahres 2013. Die ZfG hat inzwischen ihre Heimat im Thieme Verlag in Stuttgart gefunden und es ist Dr. Albrecht Hauff und seinem Team zu verdanken, dass sich die Beziehung der Zeitschrift zur DGVS immer enger gestalten konnte. Eine kürzlich getroffene Vereinbarung hat die zukünftige Zusammenarbeit nicht nur für die nächsten 20 Jahre geregelt, sondern auch eine Miteignerschaft der DGVS an der Zeitschrift ermöglicht.

Unter der erstaunlich kleinen Zahl von nur 5 Herausgebern in 50 Jahren (Nobert Henning, Erlangen; Georg Strohmeyer, Düsseldorf; Wolfgang Caspary, Frankfurt/Main; Guido Adler, Ulm und Thomas Seufferlein, inzwischen ebenfalls Ulm) hat sich die ZfG kontinuierlich zur führenden gastroenterologischen Fachzeitschrift in deutscher Sprache entwickelt. Inzwischen erhalten nahezu 5000 Mitglieder der DGVS regelmäßig die ZfG, die ihnen nicht nur Originalarbeiten zu gastroenterologischen Themen bietet, sondern auch exzellente Zusammenfassungen und kommentierte Referate (letztere seit 50 Jahren) zu Originalarbeiten, die in anderen Fachzeitschriften erschienen sind. Darüber hinaus bietet die Zeitschrift Übersichtsarbeiten zu klinischen und wissenschaftlichen Themen und Mitteilungen der DGVS und der verschiedenen gastroenterologischen Verbände und Fachgruppen. Auch die Möglichkeit sich in der ZfG mit klinischen Fallberichten als wissenschaftlicher Autor erste Meriten zu verdienen wird von jungen Gastroenterologen gerne genutzt. Aus dem Leben der DGVS und ihrer Mitglieder ist die ZfG heute nicht mehr weg zu denken.

Der Vorstand der DGVS wünscht der Zeitschrift eine glückliche Hand für ihre nächsten 50 Jahre und ihren Lesern eine gelungene Jubiläumsausgabe.

Markus M. Lerch

Präsident der DGVS

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M. M. Lerch