Gastroenterologie up2date 2013; 09(03): 152-153
DOI: 10.1055/s-0033-1344496
Klinisch-pathologische Konferenz
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neuroendokriner Tumor mit unbekannter Primärlokalisation

Martin Anlauf1
,
Inga Boeck1
,
Stephan Baldus12
,
Carl-Alexander Hartmann12
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Publication History

Publication Date:
01 September 2013 (online)

Sicht des Pathologen

Die Aufmerksamkeit des Pathologen gilt bei neuroendokrinen Tumoren (NET) zum einen insbesondere der zuverlässigen Diagnosestellung und zum anderen dem Herausarbeiten von spezifischen molekularen Parametern, die für die klinisch-bildgebende Diagnostik, die Prognoseeinschätzung und die Therapie von erheblicher Relevanz sind.

Diagnosestellung

Neurosekretorische Vesikelproteine. Wie der Fallbericht zeigt, handelt es sich häufig um klinische Zufallsdiagnosen. Die Diagnose einer neuroendokrinen Neoplasie kann im Einzelfall erhebliche differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten, da es sich um seltene Neoplasien handelt. Die Verdachtsdiagnose eines NET kann jedoch vergleichsweise einfach durch den Nachweis neurosekretorischer Vesikelproteine überprüft werden, die – den Kriterien der WHO-Klassifikation folgend – neben einer spezifischen hochdifferenzierten Morphologie einen NET definieren. In der Routinediagnostik erfolgt dies durch den immunhistochemischen Nachweis von Chromogranin A (ein Protein der sog. „large dense core“ neurosekretorischen Vesikel) und Synaptophysin (ein Protein der sog. „small synaptic“ Vesikel). Synaptophysin ist in annähernd jedem NET nachweisbar und daher ein hochsensitiver Marker. Chromogranin A ist in den meisten NET nachweisbar und ein hochspezifischer Marker.


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Klinisch relevante molekulare Marker

Proliferationsindex. Entsprechend der neuen WHO-Klassifikation (2010) und den kürzlich publizierten internationalen Leitlinien (ENETS) wird die Diagnose ergänzt durch die Angabe des Proliferationsindex. In der Praxis erfolgt dies durch das Auszählen von Mitosen und den immunhistochemisch untersuchten MIB-1 /Ki-67-Proliferationsindex. Zahlreiche Studien belegen eine enge Korrelation des Overall Survival mit dem Proliferationsindex eines definierten NET. Neuroendokrine Neoplasien zeigen eine erstaunliche Heterogenität. Hochaggressive, hochproliferationsaktive Neoplasien (d. h. kleinzellige oder großzellige neuroendokrine Karzinome) müssen zwingend von hochdifferenzierten, niedrig proliferationsaktiven neuroendokrinen Tumoren abgegrenzt werden. Der Proliferationsindex ist hierfür ein entscheidender Faktor. Zugleich ist der Proliferationsindex ein grundlegender Baustein für die Auswahl der Therapie.

Chromogranin A im Serum. Die im Gewebe nachweisbare immunhistochemische Positivität für Chromogranin A spiegelt sich meist in korrelierenden Serumspiegeln für Chromogranin A wider. Chromogranin A ist − nach Erstdiagnosestellung − ein exzellenter Serummarker für die Tumorlast und den Tumorprogress, jedoch weniger geeignet als klinisch-serologischer Screening-Marker für NET.

Spezifische Peptidhormone und biogene Amine. Der durch den Pathologen erbrachte Nachweis von spezifischen Peptidhormonen und/oder biogenen Aminen ermöglicht die Identifikation von weiteren spezifischen klinischen Verlaufsparametern (z. B. 5-Hydroxyindolacetat-Messung im Urin bei einem serotoninprouzierenden NET) und kann im Einzelfall dem Auftreten eines spezifischen endokrinologischen Syndroms vorausgehen.

Somatostatinrezeptor 2A. Die Expressionsanalyse des Somatostatinrezeptors 2A (SSTR2A) bei Erstdiagnose ist ein entscheidender Parameter für die Analyse der nuklearmedizinischen somatostatinrezeptorbasierten Bildgebung und zugleich die Ausgangsbasis für die in den letzten Jahren etablierte Peptid-Radiorezeptor-Therapie.

Organspezifische Transkriptionsfaktoren. Der Nachweis von organspezifischen Transkriptionsfaktoren ermöglicht in den meisten Fällen präzise Aussagen zur Primariuslokalisation eines metastasierten NET bei unklarem Primarius. Zielgerichtete Aussagen zur Identifikation des Primarius durch den Pathologen sind ein entscheidender Baustein für die Prognoseeinschätzung, die Auswahl der Bildgebung und die Therapie. Die in den internationalen Registern nach wie vor dokumentierte Frequenz von ca. 15 % NET mit unklarem Primarius ist aus Sicht einer leitlinienorientierten Pathologie keinesfalls akzeptabel. In den meisten Fällen kann der Primarius durch die Analyse von Transkriptionsfaktoren und/oder biogenen Aminen gut eingegrenzt werden. In einem Großteil der Fälle handelt es sich um serotoninproduzierende hepatisch metastasierte NET. Zugrunde liegt hier ein häufig sehr winziger Primarius im terminalen Ileum, der aufgrund seiner geringen Größe oft mit den Mitteln der konventionellen Bildgebung klinisch nicht detektiert wird.


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Leitlinienorientierte pathologische Diagnostik

Sämtliche der o. g. Aspekte einer generellen Pathologiediagnostik und einer speziellen (klinisch orientierten „optionalen“ Diagnostik) wurden erst in den letzten 5 Jahren im Rahmen der europäischen Leitlinien (ENETS) und der seit 11 /2010 gültigen WHO-Klassifikation der Tumoren des Verdauungstraktes eingeführt. Sie haben sich bereits nach kurzer Zeit als fester Bestandteil der Routinediagnostik in der Pathologie etabliert. Die Vorteile der neuen leitlinienorientierten Pathologiediagnostik liegen

  • in der Standardisierung und Zuverlässigkeit,

  • der unmittelbaren klinischen Überprüfbarkeit,

  • der Einbettung der Diagnostik in eine klinisch orientierte Risikostratifizierung und

  • einer interdisziplinären Entscheidungsfindung bezüglich Bildgebung und Therapie.


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1 Institut für Pathologie, Sektion für Neuroendokrine Neoplasien, Universitätsklinikum Düsseldorf


2 Institut für Pathologie, Zytologie und Molekularpathologie, Bergisch Gladbach