Suchttherapie 2013; 14(04): 147
DOI: 10.1055/s-0033-1357210
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das deutsche Versorgungssystem Sucht

Treatment of Addictive Disorders in Germany
S. Löber
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Publication Date:
13 November 2013 (online)

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PD Dr. Sabine Löber

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich freue mich, Ihnen mit dem vorliegenden Heft spannende Einblicke in den weiten Bereich der suchtspezifischen Versorgung und der Versorgungsforschung zu geben.

In insgesamt 4 Beiträgen sowie einem Praxisbericht wird der Bereich der suchtspezifischen Versorgung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und verschiedene Forschungsansätze dargestellt. So stellen Friedrichs und Kollegen die Ergebnisse einer Delphi-Befragung vor, die sich mit der Frage beschäftigt, wie die in den Niederlanden entwickelte Leitlinie zur Zuweisung von Patienten mit substanzbezogenen Störungen nach qualifiziertem Alkoholentzug zu verschiedenen Behandlungspfaden auf das Deutsche Suchthilfesystem übertragen werden könnte. In dem vorliegenden Beitrag wird dargestellt, wie mittels einer Expertenbefragung, Diskus­sionsrunden und einer Konsensus-Konferenz eine Klassifikation der Behandlungsangebote des deutschen Suchthilfesystems erstellt und ausgehend von evidenzbasierten Indikationskriterien eine adaptierte Zuweisungsleitlinie erarbeitet wurde. Eine solche Leitlinie erlaubt eine systematisierte, objektivierte und transparente Planung entsprechender Weiterbehandlungen.

Der Beitrag von Deimel beschäftigt sich mit den Besonderheiten der Behandlung von Patienten mit Migrationshintergrund im Rahmen des deutschen Suchthilfesystems. Vorgestellt werden die Ergebnisse einer Befragung von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe zu ihren Erfahrungen mit suchtkranken Migranten. Es wird deutlich, dass der durchschnittliche Anteil von behandelten Klienten mit Migrationshintergrund in den befragten Kontakt- und Beratungsstellen bei 30% liegt; in der teilnehmenden Fachklinik sogar bei 60%. Die Mehrheit der Befragten gab an, dass sie auch Klienten betreuen, die sich ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland aufhalten, sich in einem Asylbewerberverfahren befinden, oder einen befristeten Aufenthaltsstatus haben. Problematisch wird bei der Betreuung dieser Klientengruppe insbesondere der Vermittlungsprozess in weiterführende Beratungs- und Behandlungsangebote gesehen.

Buth und Kollegen verdeutlichen in ihrem Beitrag, dass der Strafvollzug ein Bereich ist, in dem systematische Angebote des Suchthilfesystems wenig verbreitet sind. So schildern Buth und Kollegen die Ergebnisse einer empirischen Befragung von Strafgefangenen zu ihrem Rauchverhalten, ihren Erfahrungen mit Raucher-Entwöhnungsmaßnahmen im Strafvollzug und zu ihren Behandlungswünschen. Es wird sehr deutlich, dass es sich hier um eine Personengruppe mit hoher Raucherrate handelt, die zudem eine ausgeprägte Motivation zur Reduzierung des Tabakkonsums berichtet. Demgegenüber handelt es sich um ein Setting, in dem therapeutische und unterstützende Maßnahmen zur Raucherentwöhnung nur äußert selten implementiert sind.

In dem Beitrag von Pape und Kollegen wird ein Überblick über den aktuellen Stand zur medikamentösen Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit gegeben. Die medikamentöse Unterstützung der Aufrechterhaltung der Abstinenz stellt im Rahmen des deutschen Suchthilfesystems nach wie vor eine eher vernachlässigte Behandlungsoption dar. Dieser Beitrag ermöglicht es interessierten Lesern, sich aktuelles Wissen über die derzeit in Deutschland verfügbaren Medikamente anzueignen einschließlich Wirkweise, Hinweisen zur Dosierung, häufigen Nebenwirkungen und Kontraindikationen, Ergebnissen zur Evidenzbasierung sowie zu den Behandlungs­kosten.

Vielversprechend erscheint der im Praxisbericht von Hoff und Kollegen dargestellte Ansatz zur Prävention substanzbedingter fetaler Schädigungen durch Thematisierung problematischen Alkoholkonsums und Rauchens im Rahmen einer Schwangerschaftsberatung. Das Kooperationsprojekt des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. Köln und dem Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung der Katholischen Hochschule NRW (Abteilung Köln) widmet sich der Implementierung von Kurzinterventionen zum Alkohol- und/oder Tabakkonsum und der Vernetzung mit den Einrichtungen der Such­t­hilfe.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass der deutsche Suchthilfebereich sich durch sehr vielfältige, patienten-/klienten-orientierte Angebote auszeichnet und von Forschungsseite ein großes Interesse besteht, die Praktiker in ihrer Arbeit durch die Durchführung von Befragungen, die Erarbeitung von systematischen Übersichten und die Entwicklung evidenzbasierter Ansätze zu unterstützen. Im Namen des Herausgebergremiums wünsche ich Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre des vorliegenden Heftes!

Sabine Löber