Rehabilitation (Stuttg) 2014; 53(S 01): S1-S3
DOI: 10.1055/s-0033-1363204
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Modellprojekt „Wohnen mit Intensivbetreuung (WmI)“: Ambulante Langzeitversorgung von Menschen mit schweren ­Mehrfachbehin­derungen

Housing Project ’Living Independently with Intensive Support (WmI)’: Home-based Long Term Care and Social Support for Individuals with Severe Multiple Handicaps
K. Wegscheider
,
F. Schliehe
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Publication History

Publication Date:
28 January 2014 (online)

Es ist immer noch eine Rarität: Ein Träger „entlässt“ seine seit Jahren stationär betreuten Heimbewohner mit umfänglichen Mehrfachbehinderungen in eine ambulante Wohnform und damit in ein freieres, aber auch riskanteres Leben. Ein solcher Vorgang, vielfach visioniert, gefordert und gewünscht, findet doch im wirklichen Leben nur äußerst selten statt. Zu groß und zu weitreichend erscheinen die Herausforderungen und möglichen Konsequenzen, die mit einem solchen Wandel verbunden sind. Die finanziellen Risiken für den Träger, die veränderten Einstellungen, die dem Fachpersonal abverlangt werden, die Abkehr von der Fürsorge als oberstem Ziel, die ambivalente Einstellung der Bewohner, Hindernisse in der Sozialgesetzgebung, Risikoscheu und Veränderungsangst verhindern in ihrem Zusammenwirken nur allzu oft zarte Ansätze zu mutigen Veränderungen. So bleibt gesellschaftliche Teilhabe für viele Mehrfachbehinderte ein Wunschtraum.

So ist es immer noch etwas Besonderes, wenn ein Träger – wie in diesem Fall die Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin – die Gelegenheit einer ohnehin anstehenden Sanierung ihres Heimbereiches dazu nutzt, ein neues Angebot für ein ambulantes betreutes Wohnen für ihre langjährigen Hausbewohner auszuarbeiten: ein rund um die Uhr begleitetes Wohnen in den eigenen 4 Wänden mit eigener Tagesgestaltung, eigener Organisation der ambulanten Hilfe und freier Bewegung in und außerhalb des Hauses auch für Menschen mit hochgradigem Unterstützungsbedarf. Dass aus Heimbewohnern Mieter mit eigenem Hausschlüssel wurden, war für Stiftung, Mitarbeiter und Betroffene gleichermaßen ein großer und mutiger Schritt. So war beim Start des Projektes völlig unklar, ob sich für die Bewohner durch das ambulante betreute Wohnen tatsächlich eine Verbesserung der Lebenssituation ergeben würde. Ebenso stand nicht fest, ob sich das Projekt dauerhaft finanziell tragen würde, ohne dass der Träger zwangsläufig materielle Verluste erleidet.

Zur Klärung dieser und mancher weiterer Fragen beauftragte die Stiftung eine Arbeitsgruppe der Alice-Salomon-Hochschule, Berlin, unter Leitung von Frau Prof. Wolf-Ostermann mit der Durchführung eines Begleitforschungsprojektes. Parallel dazu wurde ein Beirat gegründet, der Projekt und Forschungsvorhaben von Beginn an begleitete. In diesem Beirat trafen sich die für das Vorhaben Verantwortlichen aus der Stiftung, dem Mitarbeiterkreis, den lokal zuständigen Politikern und Behörden sowie der Wissenschaft unter der unabhängigen Moderation eines der Autoren dieses Editorials (KW) in vierteljährlichem Abstand zu Gesprächen am runden Tisch. Mittlerweile liegt der zusammenfassende Bericht über das Forschungsvorhaben vor und wird in diesem Supplementheft zusammen mit Beiträgen aus der Sicht der Stiftung und ihrer Mitarbeiter und aus der Sicht der Betroffenen sowie dem Resümee des Beirates der Öffentlichkeit vorgestellt.