Pädiatrie up2date 2014; 09(01): 3-4
DOI: 10.1055/s-0034-1365017
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Fred Zepp
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01 March 2014 (online)

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Fred Zepp

„Pediatrics is concerned with the health of infants, children and adolescents; their growth and development; and their opportunity to achieve full potential as adults. Pediatricians must be concerned not only with particular organ systems and biologic processes, but also with environmental and social influences, which have major impact on the physical, emotional, and mental health and social well-being of children and their families“ [*]

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit meiner frühen pädiatrischen Weiterbildungszeit begleitet mich diese eindrucksvolle Beschreibung von Aufgaben und Verantwortung von Pädiatern aus dem einleitenden Kapitel des „Nelson Textbook of Pediatrics“. Natürlich befasst sich Kinder- und Jugendmedizin mit der Gesundheitswiederherstellung und -erhaltung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen. Vielleicht noch weitaus bedeutender aber will/soll sie Sorge dafür tragen, dass ein Mensch in den bestmöglichen Bedingungen aufwachsen und als Erwachsener seine von der Natur vorgesehenen Möglichkeiten realisieren kann. Pädiatrie ist folgerichtig Gesundheitsversorgung und Gesundheitsvorsorge mit dem maximal vorstellbaren ganzheitlichen Anspruch; und gerade deshalb hat Pädiatrie – auch für Erwachsene – mit Lebensqualität und Lebenserwartung zu tun.

Umso bedrückender ist es, dass heute die Bedeutung einer funktionierenden, gut aufgestellten medizinischen Versorgungsstruktur für Kinder und Jugendliche, stationär wie ambulant, in unserer Gesellschaft zunehmend aus dem Fokus gerät oder vielleicht manchmal sogar schon verloren scheint. Ein Gesundheitssystem, das sich nun schon seit Jahren primär über Fragen zur Ökonomisierung, Spezialisierung und Effizienzsteigerung definiert und den kranken Menschen zunächst einmal nach seinem Erlöswert bemisst, kann doch nicht wirklich eine erstrebenswerte Perspektive sein. Das Fallpauschalen-System zur Refinanzierung stationärer Versorgungsleistungen mag vielleicht ein grundsätzlich sinnvolles Verteilungskonzept darstellen, aber es finanziert am Ende nur, was gezählt, gemessen, dokumentiert und ausgewertet werden kann. Wo aber bleibt die Bewertung von menschlicher Zuwendung, von Empathie oder von Zeit für den Patienten und seine Familie? Welchen Wert hat die Befassung mit physischem und seelischem Leid, wie misst man das Wiedererreichen von Wohlbefinden, Vertrauen und Zuversicht? Moderne Medizin ist zwangsläufig zunehmend technik- und fortschrittsorientiert – aber im Kern geht es auch heute in der Medizin um Menschen und gerade deshalb darf das Kümmern und Sorgen nicht verloren gehen.

Haben wir also das Ziel aus den Augen verloren? Ziel (kinder-)ärztlichen Handelns muss der Mensch sein – das Kind und seine Familie – dessen physischem und psychischem Wohlergehen all unsere Anstrengungen dienen müssen. Deshalb ist es grundfalsch, wenn gesundheitspolitische Diskussionen, Verhandlungen über Krankenhausbudgets oder über die Vergütung ambulanter Versorgungsleistungen ausschließlich mit ökonomischer Perspektive geführt werden. Wir müssen uns vielmehr als Erstes fragen, welche Qualität und welchen Umfang an medizinischer Versorgung unsere Gesellschaft für Kinder und Jugendliche bereitstellen muss, um genau das zu erreichen, was die Autoren Stantan und Behrmann mit brillianter Klarheit und Deutlichkeit an den Anfang ihres Pädiatrie-Lehrbuches gestellt haben. Wie häufig hören wir „Investitionen in unsere Kinder sind Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft“. Wenn das so ist, warum handeln so wenige danach? Es muss im Bewusstsein aller sein, dass gute Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen nicht nur individuell wertvoll, sondern entscheidend für die zukünftige Entwicklung und den Wohlstand unserer Gesellschaft ist. Dies setzt einen breiten gesellschaftlichen Konsens und das (gesundheits-)politische Commitment voraus, dass nur wenige andere Ziele für uns eine höhere Priorität genießen sollten.

Entzündliche Speiseröhrenerkrankungen, Kardiochirurgische Nachsorge, Moderne Bildgebung in der Pädiatrie und Alkohol im Kindes- und Jugendalter sind die Themen der vorliegenden Ausgabe von Pädiatrie up2date. Die Vielfalt der Themen reflektiert einmal mehr die Breite unseres Faches, das nicht nur hochkomplexe Versorgungsaufgaben, moderne diagnostische Verfahren, sondern auch relevante gesellschaftliche Fragestellungen und Entwicklungen umfasst. In der gesamten Breite der kindlichen Entwicklung ist die Pädiatrie als Ratgeber, Begleiter und Lotse benötigt und gefragt – wir sollten alles in unserer Kraft Stehende tun, dies zum Wohle zukünftiger Generationen zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Prof. Dr. med. Fred Zepp
Mitherausgeber der Pädiatrie up2date