Diabetologie und Stoffwechsel 2014; 9(2): 93-95
DOI: 10.1055/s-0034-1366439
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diabetes und COPD: Gemeinsam oder doch allein?

Diabetes and COPD: Together or Alone yet?
J. Mahlmeister
1   Selbständige Abteilung für Allgemeinmedizin, Universität Leipzig Gemeinschaftspraxis Dr. Jarmila Mahlmeister/Anita Conze, Schondra
,
C. Schumann
2   Klinik für Pneumologie, Thoraxonkologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin, Klinikverbund Kempten-Oberallgäu gGmbH, Immenstadt
,
M. Merkel
3   1. Medizinische Abteilung (Endokrinologie, Diabetes, Stoffwechsel, Gastroenterologie, Allgemeine Innere Medizin) Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 May 2014 (online)

Diabetes mellitus Typ 2 und Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) sind zwei Volkskrankheiten von wesentlicher gesundheitspolitischer und ökonomischer Bedeutung. Die zunehmende Häufigkeit des Diabetes mellitus Typ 2 ist unumstritten; Schätzungen der International Diabetes Foundation (IDF) zufolge wird seine Prävalenz bis 2035 weltweit um 55 % steigen [1]. In Deutschland leiden über 12 % der erwachsenen Bevölkerung an Diabetes, mit hoher Dunkelziffer und stark steigender Tendenz [2]. Das Vorkommen der COPD andererseits blieb, am Beispiel der USA, im Verlauf der letzten Jahrzehnte weitgehend stabil bei einer Prävalenz um 6 % bei Erwachsenen [3]. Für Deutschland werden – je nach Population, Krankheitsdefinition und Erhebungsmethode (Befragung vs. Lungenfunktionstests) – Zahlen zwischen 1,3 % und 13 % angegeben [4].

Angesichts der Häufigkeit beider Erkrankungen ist ihr gemeinsames Auftreten bei einem individuellen Patienten zunächst einmal nicht verwunderlich und entspricht unserer täglichen klinischen Erfahrung. Andererseits sollte ein kausaler Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Das aktuelle Wissen um eine mögliche Verbindung beider Erkrankungen ist gering. Unsere Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft und die üblichen Lehrbücher zu Diabetes befassen sich mit vielen verschiedenen Komorbiditäten bei Patienten mit Diabetes, aber COPD wird – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt. Aber gibt es eine gemeinsame Ursache? Existieren pathophysiologische Schnittpunkte? Gibt es eine Bedeutung der COPD für Patienten mit Diabetes abgesehen von der Blutzuckerführung unter Steroidtherapie und Indikation bzw. Kontraindikation von Metformin? Unterscheidet sich die Behandlung der COPD bei Patienten mit von derjenigen bei Patienten ohne Diabetes?

Diese und viele andere Fragen stellen sich die Teilnehmer des interdisziplinären Novartis Competence and Career Network (NCCN) seit etwa zwei Jahren. Unter der Leitung des Pneumologen Prof. Herth aus Heidelberg und des Diabetologen Prof. Müller-Wieland aus Hamburg hat diese Gruppe von Wissenschaftlern und Klinikern zunächst einen Fragenkatalog entwickelt, um sich der Thematik zu nähern ([Tab. 1]). Während der regelmäßigen Zusammenkünfte werden klinische und grundlagenwissenschaftliche Schnittpunkte zwischen Diabetes und COPD beleuchtet, mit dem Ziel, mögliche oder nachgewiesene Verbindungen zu finden, darzustellen und ggf. zu vertiefen.

Tab. 1

Aktuelle Fragen zum Zusammenhang von COPD und Diabetes.

Treten COPD und Diabetes überzufällig häufig gleichzeitig auf?

Gibt es pathophysiologische Gemeinsamkeiten von COPD und Diabetes?

Welche Bedeutung hat ein Vitamin-D-Mangel für beide Erkrankungen?

Wie ist die optimale Blutzuckerführung bei exazerbierter COPD?

Welche Patienten reagieren mit starken BZ-Erhöhungen unter Kortikoiden?

Beeinflusst die Diabetes-Einstellung Häufigkeit und Verlauf von COPD-Exazerbationen?

Muss eine COPD bei Patienten mit Diabetes anders behandelt werden?

Welchen Einfluss sollte das Vorliegen einer COPD auf die Diabetes-Therapie haben?

Unter den Komorbiditäten bei Patienten mit COPD nimmt Diabetes nach den NHANES-Daten zwar nicht den vordersten Platz ein, war aber nach Adjustierung mit 16,3 % immer noch signifikant häufiger als bei Lungengesunden (12,8 %) [5]. In den Hochrisikopopulationen der ARIC- und CHS-Studien erhöht eine COPD im GOLD-Stadium 3 oder 4 das Diabetes-Risiko um 50 % (adjustiertes relatives Risiko 1,5) [6]. Eine niedrige Vitalkapazität vergrößert bei Patienten mit COPD das Risiko für Diabetes; umgekehrt haben Patienten mit Diabetes ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer COPD und anderer schwerer Lungenerkrankungen [7]. Betrachtet man die Prävalenz von COPD und Diabetes in den einzelnen US-Bundesstaaten, fällt eine erstaunliche, hochsignifikante Korrelation der Häufigkeit des Vorliegens beider Erkrankungen auf (R² = 0,47; vgl. [Abb. 1]). Dieser Zusammenhang scheint in der Tat nicht zufällig zu sein. Geht man von einer parallelen Zunahme des Diabetes in den einzelnen Bundesstaaten bei gleichbleibender COPD-Häufigkeit aus, müsste sich die Kurve im Lauf der Zeit parallel nach rechts verschieben. Erlaubt dies das Postulat eines gemeinsamen Auslösers, einer „common source“, einer ähnlichen pathophysiologischen Ursache? Oder gibt es einen Einfluss der medikamentösen Therapie einer Krankheit auf die Entstehung der anderen?

Zoom Image
Abb. 1 COPD und Diabetes 2011 in den USA, nach Bundesstaat. Jeder Punkt stellt die Prävalenz von COPD und Diabetes in einem spezifischen Bundesstaat dar. Daten von www.cdc.gov; eigene Auswertung.

Der Genese sowohl des Metabolischen Syndroms bzw. des Diabetes als auch der COPD liegen u. a. chronische entzündliche Prozesse zugrunde. In klinischen Beobachtungen korrelierten nicht nur TNF-α-Spiegel mit Adiponektin, der Ausprägung des Metabolischen Syndroms und Diabetes, sondern auch Adiponektin mit dem Zellhydrierungs-Status bei COPD (aber nicht mit Lungenfunktionswerten). Adiponektin könnte so durch Verbesserung der zellulären Funktion den langfristigen Verlauf der COPD günstig beeinflussen [8]. Für den durch Muskelaktivität vermehrt exprimierten PPARγ-Koaktivator PGC-1α ist eine Unterdrückung der systemischen entzündlichen Aktivität nachgewiesen worden [9]. Gleichzeitig spielt dieser Faktor eine wesentliche Rolle bei der Energiehomöostase und bei der Aktivierung bzw. Entstehung des braunen Fettgewebes. So könnte über vermehrte Muskelaktivität PGC-1α sowohl den Verlauf von Diabetes als auch den der COPD günstig beeinflussen. Ist dies die Verbindung zwischen körperlicher Aktivität, Entstehung von Adipositas, Diabetes und COPD? Denkbar wäre auch, dass eine spezifische inflammatorische Reaktionsweise Grundlage für die individuelle Prädisposition für beide Krankheiten gemeinsam ist. Rein hypothetisch könnten auch epigenetische Einflüsse die „common source“ für das Risiko, an COPD und Diabetes gleichzeitig zu erkranken, ausmachen.

Mangel verschiedener Vitamine oder oxidativer Stress wurden nicht nur mit der Entstehung von Diabetes, sondern auch mit COPD assoziiert. Vitamin-D-Defizienz ist mit geringerer Insulinausschüttung und stärkerer Insulinresistenz verbunden. In einer Untersuchung mit fast 10 000 Teilnehmern und einer Nachbeobachtungszeit von 29 Jahren fand sich auch nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, Rauchen, BMI und andere Parameter, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel mit einem höheren prospektiven Diabetesrisiko assoziiert waren [10]. Bei COPD-Patienten wurden ebenfalls erniedrigte Vitamin-D-Spiegel nachgewiesen; diese Patienten hatten zusätzlich einen schwereren Krankheitsverlauf [11]. Natürlich belegt diese Parallelität keine Kausalität. Es ist nicht klar, ob erniedrigtes Vitamin D eine ursächliche Rolle bei der Pathogenese der Erkrankungen spielt, ob es sich bei niedrigen Plasmaspiegeln um das Epiphänomen einer gemeinsamen Ursache oder sogar nur um ein unspezifisches Phänomen handelt. Erst recht ist nicht belegt, dass eine Vitamin-D-Substitution oder die Zugabe anderer Vitamine den Verlauf einer oder beider Erkrankungen günstig beeinflussen kann. Wir erinnern uns gut an die Aufregung um Folsäuremangel, Hyperhomozysteinämie und koronare Herzerkrankung, und dass trotz aller Assoziationen eine Folsäuresubstitution letztlich keinerlei Nutzen für unsere Patienten brachte und das Konzept schließlich beerdigt wurde. Auch die aktuellen Diskussionen um Omega-3-Fettsäuren und ihren klinischen, insbesondere kardiovaskulären Nutzen belegen, dass bei der Bewertung von nahrungs- und lebensstilabhängigen Parametern in aller Regel keine einfachen, direktionalen Kausalzusammenhänge zu erwarten sind.

Bezüglich der Einflüsse der medikamentösen Therapie der COPD auf die Primärmanifestation oder Progredienz eines Diabetes mellitus ist die Datenlage ebenfalls unzureichend. Die allgemeinen Nebenwirkungen von dauerhaft gegebenen systemischen Kortikoiden insbesondere auf den Blutzuckerspiegel und die Entstehung von Diabetes sind gut dokumentiert [12]. Weit weniger klar ist die langfristige Konsequenz temporärer Steroid-Therapien oder die einer Gabe von inhalativen Steroiden. Auch die Frage nach Frequenz und optimalem Zeitpunkt der Blutzuckermessungen in der akuten COPD-Exazerbationsphase ist unzureichend geklärt. Ein Blick in die Nationalen Versorgungsleitlinien beider Erkrankungen liefert derzeit kaum Antworten. Es ist einleuchtend, dass Nüchtern-Blutzuckerspiegel die Stoffwechsellage unter morgendlicher Steroidgabe nur unzureichend widerspiegeln. Aber zu welcher Uhrzeit soll der Blutzucker in optimaler Weise bestimmt werden, auch in Abhängigkeit von der Höhe und Form der Steroidtherapie? Mit welchem Zielwert sollte bei einer exazerbierten COPD korrigiert werden? Wie groß ist der Einfluss eines entgleisten Blutzuckers auf Manifestation und Verlauf einer pulmonalen Infektion? Natürlich gibt es zur Insulintherapie einer steroidbedingten Blutzucker-Entgleisung empirische Empfehlungen, aber prospektive Daten sind rar. Die therapeutische Unsicherheit besteht aber auch umgekehrt: Darf Metformin bei COPD gegeben werden? Und falls ja, bis zu welchem Stadium? Wie steht es um das Risiko einer Laktatazidose unter Therapie mit Metformin und Kortikoiden? Eine aktuelle Cochrane-Analyse widerspricht an dieser Stelle der überaus strengen Fachinformation für Metformin: Salpeter et al. fanden keine höheren Laktatspiegel oder häufigere Laktatazidosen bei Diabetes-Therapie mit Metformin im Vergleich zu anderen antihyperglykämischen Pharmaka [13]. Unter der Voraussetzung, dass das Laktatazidose-Risiko von Metformin derzeit überschätzt wird, könnte es also sein, dass Metformin auch bei höheren COPD-Stadien oder bei akuter Exazerbation für die Diabetes-Therapie positiv zu bewerten ist.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Gemeinsamkeiten und Wechselspiele zwischen Diabetes mellitus und COPD sowohl pathophysiologisch und diagnostisch als auch therapeutisch unzureichend geklärt sind. Die hier formulierten Fragestellungen und Gedankenansätze sollen Grundlage und Anreiz bieten, diese Fragestellungen grundlagenwissenschaftlich und klinisch weiter zu untersuchen. Möglicherweise kommen künftig auch aus den Reihen des NCCN weitere Anregungen oder wissenschaftliche Daten zu diesem Themenbereich.

Zoom Image
Dr. med. Jarmila Mahlmeister
Zoom Image
PD Dr. med. Christian Schumann
Zoom Image
Prof. Dr. med. Martin Merkel
 
  • Literatur

  • 1 International Diabetes Foundation (IDF). IDF Diabetes Atlas. 6th edn. 2013. http://www.idf.org/diabetesatlas
  • 2 Tamayo T, Rathmann W. Epidemiologie des Diabetes – aktuelle Zahlen. Diabetologie 2014; 9: R1-R8
  • 3 Akinbami LJ. Chronic Obstructive Pulmonary Disease Among Adults Aged 18 and Over in the United States, 1998–2009. 2011. 2014; http://www.cdc.gov/nchs/data/databriefs/db63_tables.pdf#1
  • 4 Aumann I, Prenzler A. Epidemiologie und Kosten der COPD in Deutschland – Eine Literaturrecherche zu Prävalenz, Inzidenz und Krankheitskosten. Klinikarzt 2013; 42: 168-172
  • 5 Schnell K, Weiss CO, Lee T et al. The prevalence of clinically-relevant comorbid conditions in patients with physician-diagnosed COPD: a cross-sectional study using data from NHANES 1999-2008. BMC Pulm Med 2012; 12: 26
  • 6 Mannino DM, Thorn D, Swensen A et al. Prevalence and outcomes of diabetes, hypertension and cardiovascular disease in COPD. Eur Respir J 2008; 32: 962-969
  • 7 Ehrlich SF, Quesenberry Jr CP, Van Den Eeden SK et al. Patients diagnosed with diabetes are at increased risk for asthma, chronic obstructive pulmonary disease, pulmonary fibrosis, and pneumonia but not lung cancer. Diabetes Care 2010; 33: 55-60
  • 8 Yoshikawa T, Kanazawa H. Association of plasma adiponectin levels with cellular hydration state measured using bioelectrical impedance analysis in patients with COPD. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2012; 7: 515-521
  • 9 Handschin C, Spiegelman BM. The role of exercise and PGC1alpha in inflammation and chronic disease. Nature 2008; 454: 463-469
  • 10 Afzal S, Bojesen SE, Nordestgaard BG. Low 25-hydroxyvitamin D and risk of type 2 diabetes: a prospective cohort study and metaanalysis. Clin Chem 2013; 59: 381-391
  • 11 Persson LJ, Aanerud M, Hiemstra PS et al. Chronic obstructive pulmonary disease is associated with low levels of vitamin D. PLoS One 2012; 7: e38934
  • 12 Walters JA, Walters EH, Wood-Baker R. Oral corticosteroids for stable chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev 2005; CD005374.
  • 13 Salpeter SR, Greyber E, Pasternak GA et al. Risk of fatal and nonfatal lactic acidosis with metformin use in type 2 diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev. CD002967. 2010;