Z Sex Forsch 2014; 27(3): 201-219
DOI: 10.1055/s-0034-1385029
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wenn Vorlieben zum Leiden werden[1]

Eine soziologische Analyse pädophilen Begehrens im Diskurs sexualmedizinischer Primärprävention
Benjamin Lipp
a   Friedrich Schiedel-Lehrstuhl für Wissenschaftssoziologie, Technische Universität München
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Publication Date:
19 September 2014 (online)

Übersicht

Das Phänomen der Pädophilie ist in zeitgenössischen Gesellschaften vor allem mit zwei Diskurslogiken verwoben: Die sexuelle Ansprechbarkeit auf Kinder wird einerseits als Krankheit im medizinischen Sinne einer Paraphilie und andererseits als Prädiktor für Verbrechen im rechtlichen Sinne eines sexuellen Kindesmissbrauchs aus dem Spektrum „normaler“ Sexualität exkludiert. Das Therapie-Netzwerk „Kein Täter werden“ versucht, sich von solchen Formen der Stigmatisierung mit einem empathischen Gegendiskurs abzugrenzen, um so Pädophile aus dem Dunkelfeld für ein Therapieprogramm motivieren zu können. Die Arbeit der Therapeutinnen und Therapeuten besteht vor allem darin, „die Pädophilie“ von stigmatisierenden Referenzen zu befreien: Es wird eine Behandlung ohne Krankheit und eine Prävention ohne Verbrechen postuliert. In der hier vorliegenden Diskursanalyse zeigt sich jedoch, dass dieses doppelte Ausschließungsverhältnis nicht zu einer Exklusion gesellschaftlicher Normierungslogiken führt, sondern im Gegenteil die Bedingung der Möglichkeit für deren Wirken darstellt. Therapeutische Techniken des „Sprechen-machens“ und „Entscheiden-machens“ bereiten dabei eine therapeutisierte Form pädophilen Begehrens vor: die Pädophilie als existenzielles Leiden.

1 An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Sabine Maasen für wertvolle Kommentare und die anregende Diskussion bedanken, die mich beim Schreiben dieses Artikels konstruktiv begleitet haben.