Transfusionsmedizin 2015; 5(2): 53-54
DOI: 10.1055/s-0034-1397754
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Assoziation impliziert keine Kausalität

G. Bein
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 June 2015 (online)

Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen,

dass in epidemiologischen Studien Störfaktoren (Confounding factors oder Drittvariablen; lat. confundere: verwirren, zusammengießen, vermengen) zu einer Scheinkorrelation führen können, ist uns allen bekannt. Ein (unerkannter) Störfaktor steht mit zwei Faktoren, nämlich einem Risikofaktor sowie dem Endpunkt in einer Beziehung. Wir alle kennen das Beispiel aus dem Schulunterricht über den Zusammenhang zwischen der Anzahl brütender Storchenpaare (Risikofaktor) und der Geburtenrate beim Menschen (Endpunkt). Hier steht u. a. der Störfaktor „Ausbreitung städtischer Lebensformen“ (Urbanisierung) mit den beiden untersuchten Faktoren in einer Beziehung. Eine Ursache für die abnehmende Zahl brütender Storchenpaare und die abnehmende Geburtenrate ist die zunehmende Urbanisierung. Die abnehmende Zahl brütender Storchenpaare ist nicht Ursache für die abnehmende Geburtenrate beim Menschen.

Das ist trivial und allen Ärzten bekannt. Es ist auch bekannt, dass statistische Verfahren, mit denen retrospektive oder prospektive Beobachtungsstudien analysiert werden, grundsätzlich nur Datenstrukturen entdecken (z. B. Clusteranalysen) oder prüfen (z. B. Regressionsanalysen) können. Über die Kausalität der entdeckten Zusammenhänge können solche Analysen zunächst keine Aussage treffen.

Offensichtlich ist die medizinische Wissenschaft jedoch anfällig für Scheinkorrelationen. Wenn der Zusammenhang zwischen Risikofaktor und Endpunkt in einer Beobachtungsstudie scheinbar plausibel ist, nehmen wir sehr gerne ungeprüft Kausalität an. Offensichtlich erliegen wir gerne der Suggestivkraft eines plausiblen Zusammenhanges. Es gibt daher unzählige Publikationen, die Scheinkorrelationen beschreiben und einen kausalen Zusammenhang unterstellen, der tatsächlich nicht besteht.

Eine der wirksamsten Möglichkeiten, Störfaktoren zu vermeiden ist die Randomisierung in einer prospektiven Studie.

In dieser Ausgabe der Transfusionsmedizin werden aktuelle Publikationen referiert, die zwei kontrovers diskutierte Hypothesen im Rahmen sehr hochwertiger prospektiv randomisierter Studien überprüft haben.

Murphy et al. haben die Hypothese untersucht, ob eine restriktive Transfusionsstrategie nach kardiochirurgischen Eingriffen gegenüber einer liberalen Transfusionsstrategie die postoperative Morbidität senken kann. 2007 Patienten wurden in einer multizentrischen Studie randomisiert einer der beiden Transfusionsstrategien zugeordnet. Die Patienten der Gruppe mit restriktiver Transfusionsstrategie erhielten postoperativ erst bei einem Hb < 7,5 g / dl Erythrozytentransfusionen, die Patienten der Gruppe mit liberaler Strategie bereits bei einem Hb < 9 g / dl. Die restriktive Strategie war der liberalen Strategie nicht überlegen. Die Gesamtsterblichkeit nach 3 Monaten war in der Gruppe mit restriktiver Transfusionsstrategie höher (4,2 vs. 2,6 %) (s.  S. 61). Ein Zusammenhang zwischen Erythrozytentransfusionen und postoperativer Morbidität und Mortalität wurde zuvor in zahlreichen Beobachtungsstudien festgestellt. Insbesondere ist vielfach ein Zusammenhang zwischen der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten und der Inzidenz postoperativer Infektionen beschrieben worden. Die Studie von Murphy et al. steht in einer Reihe von qualitativ hochwertigen prospektiv randomisierten Studien jüngerer Zeit, die diesen Zusammenhang nicht belegen. Viele Störfaktoren sind hier diskutiert worden, z. B. eine präoperativ vorbestehende Anämie, die Schwere der Grundkrankheit u. a. So ist z. B. anzunehmen, dass Patienten mit präoperativ vorbestehender Anämie häufiger als Patienten ohne vorbestehende Anämie transfundiert werden. Ferner ist bekannt, dass eine vorbestehende Anämie mit postoperativer Morbidität / Mortalität in einem Zusammenhang steht. Der Faktor „präoperative Anämie“ könnte mithin einer von vielen Störfaktoren sein.

Ähnliches gilt für die Publikationen von Lacroix et al. sowie Steiner et al. (s.  S. 63 f.). In beiden prospektiv randomisierten Studien wurde die Hypothese untersucht, ob die Transfusion kurz gelagerter gegenüber der Transfusion von länger gelagerten Erythrozytenkonzentraten die postoperative Morbidität oder Mortalität senken kann („Ist frischeres Blut besser?“). Es zeigte sich kein Vorteil in der Verwendung „frischer“ Erythrozytenkonzentrate. Auch hier wurde ein Zusammenhang zwischen der Transfusion „alter“ Erythrozytenkonzentrate und postoperativer Morbidität / Mortalität in vielen Beobachtungsstudien festgestellt. Auch hier sind zahlreiche potentielle Störfaktoren denkbar, z. B. die Gesamtzahl der transfundierten Erythrozytenkonzentrate je Patient.

Zusammenfassend gesagt, können retrospektive oder prospektive Beobachtungsstudien Zusammenhänge aufdecken, jedoch zunächst keine Aussage über den Kausalzusammenhang treffen. Beobachtungsstudien sind in der Medizin auch künftig sehr wichtig. Epidemiologische Studien oder Fallserien dienen der Entdeckung von möglichen Zusammenhängen zwischen Risikofaktoren und Endpunkt. Wir benötigen jedoch wissenschaftliche Grundsätze in der kritischen Analyse von klinischen Studien, damit wir nicht der Suggestivkraft von Scheinkorrelationen erliegen.

Die Herausgeber dieser Zeitschrift haben sich jedenfalls zum Ziel gesetzt, dass die publizierten Übersichtsartikel kritisch und objektiv den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik widerspiegeln. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gewinnbringende Lektüre der Beiträge zur prätransfusionellen Diagnostik, dem Stellenwert rekombinanter Blutgruppenproteine in der Immunhämatologie, der Refraktärität gegenüber Thrombozytentransfusion und zur Hämovigilanz.

Sollten Sie Aussagen in dieser Zeitschrift zur Diagnose oder Therapie finden, die aus Ihrer Sicht nicht ausreichend wissenschaftlich begründet sind, so schreiben Sie uns. Wir freuen uns auf den Dialog mit Ihnen.

Ihr