Z Gastroenterol 2015; 53(7): 742-745
DOI: 10.1055/s-0034-1397865
Der bng informiert
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Sicherheit vor Regressen – Wirtschaftlichkeit in der Verordnung der Hepatitis C-Therapie

Karl Georg Simon
,
Stefan Mauss
,
Dietrich Hüppe
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Publication Date:
17 July 2015 (online)

Der Fortschritt der antiviralen Behandlung der Hepatitis C hat durch die Kostensteigerung im Gesundheitssystem 2014 erhebliche Aufmerksamkeit erzielt. Dies betrifft alle Beteiligten, v. a. die Kostenträger, die Patienten, die Ärzteschaft, aber auch die Politik.

Aufgrund der besseren Verträglichkeit der neuen Therapien (Direct Acting Antivirals = DAA) können jetzt immer mehr Patienten mit deutlich höheren Erfolgsaussichten im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie mit Interferon plus Ribavirin behandelt werden. Nach Schätzungen stehen ca. 300 000 Patienten in Deutschland zur antiviralen Therapie an. Die Zahl ist ungenau, da durch bisher fehlende Finanzierung eines konsequenten Screenings im Gesundheitswesen eine hohe Dunkelziffer nicht erkannter Hepatitis C Infektionen besteht.

Bei den Behandlern steht auch ein Jahr nach Zulassung der ersten Substanz der neuen Generation Sofosbuvir der Freude über immer wirksamere, innovative Therapien bei Hepatitis C weiter die Angst vor einer möglichen Wirtschaftlichkeitsprüfung mit eventuell drohendem Regress gegenüber. Damit die Therapieentscheidung der behandelnden Ärzte zum Wohle der Patienten unabhängig von der Sorge vor Einzelfallprüfung getroffen werden kann, beleuchtet dieser Artikel die wichtigsten Hintergründe und Kriterien, um Regresssicherheit zu optimieren [8].

Zulassungsverfahren nach AMNOG:

Nach erstmaliger Zulassung eines Arzneimittels durch die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) ist das Medikament in Deutschland kurzfristig verordnungsfähig. Den Preis legt alleine der pharmazeutische Unternehmer fest. Danach ist der Zeitablauf durch das AMNOG-Verfahren, das jedes neue in Deutschland zugelassene Arzneimittel seit dem 1.1.2011 durchlaufen muss, folgendermaßen strukturiert.

In den ersten sechs Monaten bis zur frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist eine zulassungskonforme Verordnung nach Fachinformation möglich. Einzelne gesetzliche Krankenkassen haben jedoch schon in dieser Phase Einzelfallprüfungen auf Wirtschaftlichkeit veranlasst. Die Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Eine gesetzliche Berechtigung für ein solches Vorgehen besteht nach unserer Auffassung nicht.

Drei Monate nach Zulassung wird die Stellungnahme des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), welches der G-BA als beratendes Instrument bisher regelhaft hierzu beauftragt, zu den vorgelegten Studiendossiers des Pharmaunternehmens veröffentlicht. Diese Bewertung hat nach unserer Auffassung noch keinen unmittelbaren Einfluss auf die Bewertung der Wirtschaftlichkeit eines neuen Medikamentes.

Erst die im Bundesanzeiger veröffentliche Nutzenbewertung des G-BA sechs Monate nach Zulassung hat bindende Wirkung [7]. Das Ausmaß des Zusatznutzens spielt keine Rolle. Nur bei der Bewertung: „Fehlender Zusatznutzen“ durch den G-BA wird eine Weiterverordnung nicht mehr als wirtschaftlich eingestuft. Nach Auffassung des Berufsverbandes niedergelassener Gastroenterologen (bng) ist im Falle der nicht erfolgten Nutzenbewertung einer bestimmten Medikamentenkombination mit dem zu beurteilenden neuen Arzneimittel durch den G-BA diese Kombination weiter zulassungskonform und im Rahmen der Praxisempfehlung / Leitlinie der DGVS / bng verordnungsfähig.

Auf der Basis der veröffentlichten Nutzenbewertung durch den G-BA verhandeln Pharmaindustrie und GKV-Spitzenverband in den darauf folgenden sechs Monaten über den endgültigen Erstattungsbetrag für das Arzneimittel. Ob der Erstattungsbetrag dazu führt, dass die Therapie im Rahmen der europäischen Zulassung als wirtschaftlich angesehen wird, ist derzeit strittig [7].


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Rasanter Wandel der Therapieoptionen:

Was gestern noch als medizinischer Goldstandard angesehen wurde, kann heute schon überholt sein. Dies gilt insbesondere für die antivirale Therapie der Hepatitis C 2014 / 2015. Wesentliches Instrument zur Steuerung des Standards und Richtschnur für ärztliche Behandlung sind Leitlinien. Die Aktualisierung von Leitlinien kann aber unter Umständen mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Geschwindigkeit des medizinischen Fortschritts es vorgibt, so dass Praxisempfehlungen DGVS / bng im Intervall wissenschaftlichen Background für den medizinisch korrekten Einsatz der antiviralen Therapie bei HCV bieten.

Die aktuelle Empfehlung zur Therapie der chronischen Hepatitis C ist im Oktober 2014 erstmals auch als Addendum zur Hepatitis C-Leitlinie der folgenden Fachgesellschaften anerkannt in der Zeitschrift für Gastroenterologie veröffentlicht worden [2]: DGVS, bng, Kompetenznetz Hepatitis / Deutsche Leberstiftung, DGP, Berufsverband deutscher Pathologen, GfV, GPGE, SGG, ÖGGH, DTG, Deutsche Leberhilfe e. V. Seit Februar 2015 liegt eine aktualisierte Fassung vor [3, 4].


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Aufklärung, Dokumentation

Ärztliche Behandlungsmaßnahmen unterliegen grundsätzlich der Pflicht zur Aufklärung. Deshalb muss die Aufklärung zur antiviralen Therapie bei Hepatitis C in einem persönlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient erfolgen und sollte in der Patientenakte dokumentiert werden. Auf die Therapietreue des Patienten sollte geachtet werden [8].

In unserem föderalistischen KV-System bestehen in den einzelnen Bundesländern Unterschiede, ob die in der HCV-Therapie eingesetzten Medikamente als Praxisbesonderheit in der Anlage 1b zur Prüfvereinbarung vom 22.06.2009 nach § 11 Absatz 14 der Prüfvereinbarung „Wirkstoffliste“ gelistet sind [1]. Um eine regelhafte Überprüfung „von Amts wegen“ durch die gemeinsame Prüfstelle der regionalen Krankenkassen in Bereichen ohne Sonderziffer zu vermeiden, hat die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) im Oktober 2014 eine Vereinbarung mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen verhandelt, die für die direkt antiviralen Medikamente eine bundesweite Sonderziffer vorsieht. Dies unterbindet den Automatismus, verhindert aber nicht die Richtgrößenprüfung im Einzelfall.

Die Ausstellung der Rezepte wird in der Regel automatisch in der Praxis-EDV abgelegt. Dies ist besonders wichtig, falls sich Patienten melden, dass das Rezept verloren ist. In diesem Fall lasse ich mir vom Patienten schriftlich bestätigen, dass er nicht mehr als die z. B. erforderlichen drei Rezepte im entsprechenden Zeitraum in der Apotheke einreicht. Bei PKV-Patienten ist es wegen der aktuell hohen Kosten der HCV-Therapie in der Regel ratsam, die Patienten vorab zu Ihrer privaten Krankenversicherung zu schicken, um die Abwicklung der Finanzierung der antiviralen Therapie (am besten durch direkte Zahlungsabwicklung zwischen PKV und Apotheke) zu klären [1].


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Wirtschaftlichkeit

Nach § 12 SGB V gilt eine vertragsärztliche Leistung dann als wirtschaftlich, wenn sie ausreichend und zweckmäßig ist und außerdem das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Das bedeutet, dass Ärzte bei mehreren Therapien, die gleich geeignet sind, die günstigere Therapie wählen müssen. Deshalb ist eine gute Dokumentation der Indikationsstellung, in der darauf geachtet wird, dass diese zulassungs- und leitlinienkonform und nach Vorliegen unter Berücksichtigung der Nutzenbewertung der G-BA erfolgt, sehr wichtig.


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Zusätzliche Gelder für neue Hepatitis C-Medikamente

Der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) vereinbarten im 10/14 ein Sonderausgabenvolumen für die Therapie der chronischen Hepatitis C [5]. Für nach dem 1.1.2014 zugelassene Arzneimittel u. a. mit den Wirkstoffen Sofosbuvir, Simeprevir und Daclatasvir wurde rückwirkend ein Sonderausgabenvolumen von + 2,4 % (ca. 733 Mio €) vereinbart. Für 2015 beträgt dieses Sonderausgabenvolumen + 3 % ca. 939 Mio. €. Zum jetzigen Zeitpunkt kann dies allerdings nur geschätzt werden. Es muss daher im Jahr 2015 anhand der tatsächlichen Ausgabenentwicklung neu bewertet werden.

Die Finanzmittel für die Hepatitis C-Medikamente fließen nicht in die Berechnung der Richtgrößen ein. Die Verordnungskosten sind damit nicht Gegenstand der Richtgrößenprüfungen. Das Instrument der Möglichkeit der Wirtschaftlichkeitsprüfung bleibt davon unberührt, so dass die GKV das Instrument der Einzelfallprüfung weiter anwenden kann.


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HCV-Verträge KV / AOK in Deutschland (Versorgungsverträge / Strukturvertrag)

Aktuell gibt es zwei Versorgungsverträge (§ 73c SGB V) in KV-Hessen und der KV-Baden-Württemberg mit der regionalen AOK und seit 01.11.14 erste Strukturverträge in der KV-Nordrhein (KVNo) mit der AOK Rheinland / Hamburg (§ 73a SGB V) [6], mit der AOK Niedersachsen und der AOK Berlin.

Der Strukturvertrag der AOK Rheinland / Hamburg hat zum Ziel die Versorgung der Patienten durch qualitätsgesicherte Behandlung (= festgelegte Qualitätskriterien bei Aufnahme für die teilnehmenden Ärzte plus zulassungskonforme Verordnung der HCV-Therapie verbindlich orientiert an die Praxisempfehlungen der DGVS / bng bzw. das Addendum zur Hepatitis C Leitlinie und ab der Veröffentlichung des G-BA-Beschlusses die Bewertung des Zusatznutzens berücksichtigend) zusätzlich kosteneffektiv zu gestalten. Im Gegenzug wird die Betreuung der Patienten mit Hepatitis C pro Quartal extrabudgetär mit 80 € vergütet und die AOK Nordrhein / Hamburg verzichtet auf die Durchführung regelhafter Regresse. Zusätzlich ist ein Zweitmeinungsverfahren möglich oder (in Niedersachsen) vorgeschrieben.

Erfreulicherweise hat der Abschluss des Strukturvertrages in der KV-Nordrhein (KVNo) mit der AOK Rheinland / Hamburg dazu geführt, dass auch in fast allen übrigen KV-Bereichen Verhandlungen mit der lokalen AOK in Bezug auf analoge Verträge laufen. Mit weiteren gesetzlichen Krankenversicherungen sind mittlerweile Verhandlungen begonnen worden.


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Gesundheitsökonomische Aspekte der Therapie der chronischen Hepatitis

Die neuen antiviralen Medikamente ermöglichen eine hocheffektive Therapie. Die Elimination des HCV-Virus im Einzelfall ist in 90 bis 100 Prozent möglich. Im Gegensatz zu den aktuellen europäischen Leitlinien der EASL (vorgestellt im April 2015 durch die EASL) [9] gibt es in Deutschland keine Priorisierung der Therapie. Insofern kann jeder Infizierte behandelt werden. Der Behandler sollte sich unserer Meinung nach durch die medizinische Indikation und den Wunsch der Patienten leiten lassen. Der Arzt ist dabei verpflichtet, „wirtschaftlich“ zu verordnen.

Konkret meint dies: bei gleicher Wirksamkeit und Verträglichkeit ist die kostengünstigste Medikation einzusetzen. Wer von diesem Prinzip abweicht, sollte die in der Patientenakte eindeutig dokumentieren und medizinisch begründen, um bei Überprüfungen im Einzelfall vorbereitet zu sein. Dabei gehen wir von den bekannten Apothekenabgabepreisen der Medikamente aus. Abgeschlossene Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Arzneimittelfirmen schließen eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung nicht aus.

Gesundheitsökonomisch wird aktuell die Frage diskutiert, wie viel kostet die Heilung eines Hepatitis C-Patienten. Der Betrag wird als „Price per cure“ definiert. In diesen Preis gehen neben Medikamentenkosten auch der Betrag für die medizinischen Behandlungen einschließlich aller Diagnostik und Begleittherapien sowie andere Kosten (z. B. Arbeitsunfähigkeitszeiten) ein. Entsprechende Berechnungen liegen für die Interferon-Ribavirin-Therapie als „Realkostenanalyse für ca. 2000 Patienten“ aus der Datenbank der PAN vor [10].

Hier wurde berechnet, das der Preis für Heilung durch Interferon / Ribavirin für naive Patienten 44 767 € betrug. Eine erneute Behandlung von Relapsern und Nonrespondern erhöhte auf 73 576 € bzw. 86 120 €. Kosten für Diagnostik und ärztliche Betreuung betrugen ca. 1000 €. Arbeitsunfähigkeitszeiten erzeugten ca. 700 € an Kosten. Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die aktuellen Medikamentenkosten und den „Price per cure“ für Genotyp 1 Patienten für zugelassene Therapien. Zugleich vermittelnd die Kalkulationen einen Vergleich zur früheren Standardtherapie mit Interferon und Ribavirin.


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Zusammenfassung

Nach Zulassung eines neuen Arzneimittels durch die EMA und Verfügbarkeit in Deutschland ist bis zur frühen Nutzenbewertung des G-BA nach sechs Monaten eine zulassungskonforme Verordnung mit guter Dokumentation der individuellen Indikationsstellung ausreichend. Die begleitende Diagnostik plus Therapie sollte darüber hinaus an Praxisempfehlungen oder Leitlinien orientiert sein.

Der in der antiviralen Therapie der Hepatitis C erfahrene Behandler gewährleistet, dass Risiko und Nebenwirkungen minimiert und der Patient eine kosteneffektive Therapie angepasst an den neuesten Stand der Wissenschaft in Deutschland erhalten kann und gleichzeitig Wirtschaftlichkeit gewahrt bleibt. Strukturverträge mit den gesetzlichen Krankenkassen, wie als Pilotprojekt in der KVNo mit der AOK Rheinland / Hamburg, nutzen diese Erkenntnis zur Verbesserung der Behandlungsqualität mit extrabudgetärer Honorierung der Betreuung eines Hepatitis C-Patienten pro Quartal mit Regressfreiheit als Bonus für den vertragskonform behandelnden Arzt.

Datenauswertungen aus dem seit 11.2014 unter Schirmherrschaft der deutschen Leberstiftung und des bng gestarteten DHC-Registers (NIS) werden in Kürze durch Beteiligung der meisten hepatologischen Zentren deutschlandweit (ambulant, an Krankenhäusern und Unikliniken) statistisch signifikante Real-Life-Daten über den Erfolg der neuen interferonfreien Therapien mit den DAA und Kosten liefern. Die große Bedeutung der neuen Therapien im Real-Life in Deutschland wird unter Berücksichtigung der bisher vorliegenden Ergebnisse vermutlich eindrucksvoll bestätigt und dadurch noch mehr Sicherheit in der Verordnung entstehen.

Einzelfallprüfungen auf Wirtschaftlichkeit durch die GKV sind dennoch möglich. Einen 100-prozentigen Schutz vor Regressen gibt es nicht. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass

  • die strikte Einhaltung des Zulassungslabels

  • die Anwendung der deutschen Leitlinien

  • die Berücksichtigung der GBA-Entscheidung (Vorliegen eines Zusatznutzens)

  • die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes

einen optimalen Regressschutz darstellt und damit zur Eradikation der Hepatitis C Infektion beitragen kann.

Tabelle 1: Therapiekosten Genotyp 1 a/b („Price per cure!“) (real kalkuliert, keine Rabattverträge, z.T. gerundet Stand 3-2015)

* > 90 % SVR + 1000 € allgemeine Behandlungskosten

** Apothekenabgabepreis (Stand März 2015)

SOF/LEDIPASVIR für 8 Wochen

 44 521 €**:

 50 457 €* / SVR

SOF/LEDIPASVIR für 12 Wochen

 66 782 €**

 75 202 €* / SVR

SOF/LEDIPASVIR für 24 Wochen

133 564 €**

149 404 €* / SVR

„AbbVie 3 D“ o. Riba für 12 Wochen

 55 950 €**

 63 166 €* / SVR

„AbbVie 3 D“ o. Riba für 24 Wochen

111 900 €**

125 333 €* / SVR

SOF/SMV für 12 Wochen

 53 566 / 28 078 €**

 91 715 €* / SVR

SOF/DCV für 12 Wochen

 53 566 / 39 975 €**

104 934 €* / SVR

SOF/DCV für 24 Wochen

107 130 / 79 950 €**

208 866 €* / SVR

SOF/Riba für 24 Wochen

107 130 / 4 584 €**

125 128 €* / SVR


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