Z Gastroenterol 2015; 53(8): 1042-1044
DOI: 10.1055/s-0034-1397892
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Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung – §116b (neu) SGB V – was bleibt übrig?

Wolfgang Tacke
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Publication Date:
26 August 2015 (online)

Noch unter der Ägide von Dr. jur. Rainer Hess wurde die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV), wie sie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) mit ihren diversen Anlagen derzeit vorliegt, in die Wege geleitet. Sie wurde von manchen Akteuren als letzter Versuch angesehen, die Verzahnung zwischen dem ambulanten und stationären Sektor nun endlich voranzutreiben.

Die ASV sollte die Ermächtigung der Krankenhäuser nach der bisherigen Regelung des Paragraphen des § 116b (alt) SGB V ablösen. Diese alten Ermächtigungen berechtigten die Krankenhäuser zur Erbringung ambulanter Leistungen bei einer großen Zahl von Indikationen und Erkrankungen, ohne jegliche Beteiligung von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Diese Behandlungen waren kaum auf schwere oder komplizierte Verlaufsformen beschränkt und wurden unbudgetiert und ohne jede Begrenzung direkt von den Krankenkassen erstattet.

Die Erlangung einer solchen Ermächtigung erforderte lediglich eine Antragstellung des jeweiligen Krankenhauses (sofern es die Voraussetzungen erfüllte), über deren Genehmigung dann letztlich die jeweiligen Landesbehörden entschieden. In der Praxis wurde dies in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich umgesetzt. Bundesweit wurden nach §116b (alt) 2470 Anträge gestellt, davon 1261 bewilligt. Die bewilligten verteilen sich im Wesentlichen auf die Bundesländer Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie in geringerem Umfang auf die Stadtstaaten und das Saarland.

Dann fasste der Gesetzgeber den §116b des SGB V neu. Die alte Regelung wurde durch eine neue Regelung, die „ambulante spezialfachärztliche Versorgung“, ersetzt. Hierbei legte er Indikationen und Diagnosen für diese Versorgungsform neu fest; diesmal wurde jedoch Betreuung der Patienten im Rahmen der ASV, also nach §116b (neu) auf schwere Verlaufsformen und auf seltene Erkrankungen eingeschränkt. Ebenso wurde dezidiert geregelt, dass niedergelassene Ärzte beteiligt werden müssen, und zwar bereits in den Kernstrukturen der Teams.

Aufgabe des GBA als untergesetzlicher Normengeber war es nun, die Detailregelungen zu den Rahmenbedingungen und natürlich zu den einzelnen Krankheitsbildern und Erkrankungen zu definieren. Zunächst wurden die Rahmenbedingungen präzisiert. Dann folgten die Details zu den einzelnen Indikationen. Bei der ersten Indikation handelte es sich um die Tuberkulose. Gleich die zweite in Kraft getretene Indikation waren dann die gastrointestinalen Tumoren. Die vom GBA beschlossene Anlage 1a bezeichnet detailliert die in der ASV behandelbaren Erkrankungen, teilweise abhängig vom Tumorstadium.

Besonderheit ist, dass schon im SGB V bei der Neufassung des §116b also mit „Erschaffung“ der spezialfachärztlichen Versorgung, geregelt wurde, dass spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten einer Anlage zur ASV, also einer Krankheitsindikation, die Genehmigungen nach dem alten §116b für diese Indikation erlöschen. Das heißt konkret: Ein Krankenhaus, dass bislang nach einer alten Genehmigung (nach §116b alt) gastrointestinale Tumoren behandelte, verliert nun, nachdem diese Indikation in der ASV (§116b neu) neu geregelt ist, spätestens nach Ablauf von zwei Jahren diese alte Zulassung. Es muss also, will es weiter diese Erkrankungen ambulant betreuen, früher oder später eine neue Genehmigung nach der neuen Gesetzeslage beantragen. Dies beinhaltet deutliche Umstellungen: Die Teams müssen unter Einbindung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte neu gebildet werden. Es sind strengere Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Die Abrechnung ist komplizierter und vieles mehr. Der gravierendste Faktor insbesondere für viele Klinikverwaltungen, die dieses zusätzliche durchaus wirtschaftlich interessante Standbein „§116b“ schätzen gelernt hatten, war jedoch die jetzt neu eingeführte Beschränkung der Indikationen auf schwere und komplizierte Erkrankungen / Verläufe. Diese vom Gesetzgeber sicherlich zunächst beabsichtigte „Verschiebung“ der leichten Fälle zurück in den Bereich der niedergelassenen Spezialisten reduziert natürlich die Zahl der „116b-Patienten“ im Vergleich zur alten Regelung.

Für die Patientinnen und Patienten beinhaltet die Neuregelung des §116b unter anderem eine sehr viel dezidiertere Qualitätssicherung, kürzere Wege, direktere und nicht wechselnde Ansprechpartner, ein effizientes „Case-Management“. Es gilt jetzt z. B. bei ambulanter Behandlung im Krankenhaus der Facharztstatus und nicht nur der Facharztstandard. Der Zugang zur ASV ist für den Patienten bei bestehender Indikation einfach: Er benötigt eine Überweisung, diese gilt dann für ein Jahr. Wird er von einem Mitglied des Kernteams eingeschleust, d. h. ist z. B. der ihn bislang behandelnde Gastroenterologe (der vielleicht aktuell die betreffende Diagnose gestellt hat) ein Mitglied des Kernteams der ASV, so ist nicht einmal eine Überweisung erforderlich.

Ferner stehen dem Patienten in der ASV, wie bislang schon im stationären Bereich, neue noch nicht zugelassene Behandlungsverfahren zur Verfügung (Verbotsvorbehalt: Was nicht explizit vom GBA verboten wurde, ist erlaubt.). Dies ist im Bereich der niedergelassenen Ärzte sehr viel restriktiver geregelt. Hier gilt der Erlaubnisvorbehalt (Nur was vom GBA erlaubt wurde, darf gemacht werden.). Auf diese Weise ist zum Beispiel beim Ösophagus-Karzinom ein PET-CT auch beim GKV-Patienten möglich und vieles mehr.

Für den Bereich der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ist die Versorgung der Patienten, die nach §116b (neu) nun nicht mehr in der ASV gehören, kein Problem. In vielen Bundesländern hatte es ohnehin so gut wie keine Genehmigungen nach §116b (alt) gegeben, und diese Patienten wurden schon immer in den Praxen versorgt.

Eine Beteiligung an der neuen ASV selbst ist zumindest in der Theorie für die in Frage kommenden niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte durchaus interessant. Sie können ihre eigenen Patienten im Team weiter betreuen, verlieren sie nicht aus den Augen. Viele Leistungen, die in der Praxis in den meisten Bundesländern umsonst erbracht werden, werden innerhalb dieser Struktur „ASV“ auf einmal vergütet (Teilnahme an Tumorkonferenzen, Qualitätssicherungsmaßnahmen etc.). Ferner ist die gesamte ASV-Vergütung extrabudgetär, d. h. was geleistet wird, wird auch bezahlt, und nicht wie im niedergelassenen Bereich rasenmäherartig ab einer Höchstsumme pro Patient gestutzt.

Ein weiterer Aspekt ist, dass keine Bedarfsplanung erfolgt, d. h. sofern sowohl das Krankenhaus als auch der betreffende Vertragsarzt schon zugelassen sind (unbedingte Voraussetzung für die ASV), gibt es nicht noch einmal eine zusätzliche sog. Bedarfsprüfung, d. h. kein Gremium ist berechtigt festzustellen, dass „es schon viel zu viele ASV-Teams und viel zu wenige Patienten gibt, eine Überversorgung besteht und daher keine Zulassung erfolgen kann“.

Für diejenigen Niedergelassenen und Krankenhäuser, die sich bislang entschlossen haben, einen Antrag nach §116 neu zwecks Zulassung zur ASV zu stellen, bedeutete dies einen teilweise steinigeren Weg, als zunächst angedacht. Der Gesetzgeber hatte vermutlich ein einfaches Verfahren im Sinn: Antrag an den erweiterten Landesausschuss, und wenn dieser nicht innerhalb von zwei Monaten widerspricht, ist die Genehmigung damit erteilt. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass aufgrund der hohen Anforderungen an die Qualifikation der Teammitglieder, der räumlichen und strukturellen Gegebenheiten, die einzubindenden Fachdisziplinen und vieles mehr der Umfang der einzureichenden Unterlagen erheblich ist. Insbesondere im Bereich der Klinik-Ärzte ist der dezidierte Nachweis der vorhandenen Qualifikationen aufwändiger. Im niedergelassenen Bereich sind all diese Details ohnehin schon bei der kassenärztlichen Vereinigung registriert und archiviert.

Weiterhin zeigte sich bei den ersten juristischen Betrachtungen, dass diese neue Struktur jede Menge potentieller Fallstricke und Probleme bergen kann. Begegnet werden konnte dem nur durch sehr detaillierte, umfangreiche (und teure) Verträge zwischen den einzelnen Leistungserbringern, den ASV-Teammitgliedern. Hier waren dann Dinge zu regeln wie Haftung (jeder haftet nur für seine persönliche Tätigkeit), Abrechnung (jeder darf nur das abrechnen, was er selbst erbringt), Kennzeichnungspflicht jeder einzelnen Leistung mit der lebenslangen Arztnummer, steuerliche Gesichtspunkte etc.

Auch muss das ASV Team, wenn der Zulassungsprozess durchlaufen ist, sich selbst noch bei der „ASV Servicestelle“ anmelden. Dieses Servicestelle führt eine Internetseite, auf der aller zugelassenen ASV Teams verzeichnet sind. Hier kann der Patient sich sein ortsnahes ASV Team aussuchen. Die Listung dort erfolgt aber wie ausgeführt erst auf Antrag des ASV Teams, nicht automatisch nach der Zulassung!

Etwas einfacher ist die Schaffung der ASV-Strukturen dort, wo schon fertige Verbünde bestehen, z. B. zertifizierte Darmkrebszentren (Onkozert) oder ähnliches. Hier lassen sich die Strukturen einfach kopieren. In manchen Bundesländern (z. B. Rheinland-Pfalz) vereinfacht dies sogar das Genehmigungsverfahren, weil nicht alle Unterlagen erneut eingereicht werden müssen.

Darüber hinaus gab es weitere Auflagen des GBA, z. B. Mindestmengen. Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass von juristischer Seite hier große Skepsis an dieser Festsetzung der Mindestmengen durch den GBA, zumindest an deren Höhe, nach wie vor besteht. Eine gerichtliche Klärung gibt es hier noch nicht. Auch sind personelle Veränderungen im Kernteam meldepflichtig, sonst erlischt die Zulassung.

Viele Details sind immer noch nicht abschließend geklärt. Während einige anfangs bestehende Unklarheiten nun geregelt wurden (Sachkosten, Bereinigung der ambulanten Vergütung, Abrechnung nur durch öffentliche Stellen), sind andere zumindest praktisch noch offen (Wirtschaftlichkeitsprüfung, Abrechnungsprüfung im Detail, technische Abwicklung der Abrechnung).

Zum Stocken kam das junge Pflänzchen „ASV“, als im Dezember 2014 der Gesetzgeber die Rolle rückwärts vollführte und ein unbefristeter Bestandsschutz der bislang erteilten Ermächtigungen nach §116b SGB V diskutiert wurde. Damit starb für die betreffenden Krankenhäuser aus den vielfältigen oben genannten Gründen jegliche Motivation, einen Neuantrag zu stellen. und in der Tat hat es seit der Verlautbarung dieses geplanten Bestandsschutzes keine Neuanträge zur ASV mehr gegeben. Nach vielem hin und her steht nun in der endgültigen Fassung des Gesetzes, dass ein Bestandsschutz von drei Jahren in der jeweiligen Indikation gewährt wird.

Weggefallen ist in der endgültigen Fassung des Versorgungsstärkungsgesetzes die Beschränkung der ASV auf schwere Verlaufsformen in den Indikationen Rheumatologie und Gastrointestinale Tumoren. Dies wird den potentiellen Patientenkreis für diese Versorgungsform vervielfachen. Ein anderes Problem besteht jedoch bei einer neuen Indikation, die vom GBA zwar schon beschlossen, aber noch nicht in Kraft gesetzt ist: die gynäkologischen Tumoren. Hier muss ein Arzt mit Schwerpunkt Weiterbildung gynäkologische Onkologie Mitglied des Kernteams sein. Davon gibt es jedoch deutschlandweit nur etwas über 80 Kolleginnen und Kollegen!

Fazit:

  • Die praktische Umsetzbarkeit der ASV dürfte vor allem dort am einfachsten sein, wo vorbestehende Einheiten, wie Tumorzentren bzw. Darmkrebszentrum (z. B. zertifiziert nach OnkoZert) schon existieren; hier können diese Strukturen fast 1 zu 1 übernommen werden.

  • Ansonsten ist der administrative Aufwand für alle Beteiligten nicht zu vernachlässigen.

  • Solange diskutiert wurde, ob die Ermächtigungen nach §116b alt Bestandsschutz bekommen werden, gab es keine Anträge mehr auf ASV nach §116b neu.

  • Der Zickzack Kurs des Gesetzgebers in seiner Intentionen bezüglich der Verzahnung ambulant / stationär verunsicherte nachhaltig alle Akteure im Gesundheitswesen.


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