JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2015; 04(01): 6-7
DOI: 10.1055/s-0035-1544956
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das große Warten

Heidi Günther
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Publication Date:
03 February 2015 (online)

Ein sicheres Mittel, die Leute aufzubringen und ihnen böse Gedanken in den Kopf zu setzen, ist, sie lange warten zu lassen.

(Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900), dt. Philosoph)

Manchmal habe ich das Gefühl, mein halbes Leben besteht aus Warten. Nun könnte man ja meinen, dass ich, die aus dem Osten des Landes kommt, in dem ja bekannterweise das Warten zum Alltag gehörte, gelassen über die diversen Wartezeiten hinwegsehen könnte. Aber manchmal nervt es auch mich.

„Warten“ steht für ausharren, abwarten, ausschauen, sich gedulden. Roy Black wartete in seinen Liedern auf das Glück, bei Helene Fischer kann die Sonne und auf Costa Cordalis muss schon der Himmel warten. Im Theater warten alle auf Godot, im Märchen wartet die Prinzessin auf den Prinzen. Dabei gibt es auch für uns eine Vielfalt von Möglichkeiten der Warterei. Es sind die, die das tägliche Leben uns unaufgefordert aufbürdet. Warten auf den nächsten freien Tag, den nächsten Urlaub, den nächsten Gehaltstag, den großen Lottogewinn – obwohl, auf den wartet mein Sohn, ich spiele gar kein Lotto.

Dann ist da noch das Warten, das von uns selbst oder anderen Menschen in unserem Umfeld ausgelöst wird. In den Zeiten des wechselseitigen Streiks von Lufthansa und Deutscher Bahn kann es schon spannend werden, wenn man an den streikbelasteten Tagen auf dem Flugplatz oder Bahnhof steht und darauf wartet, ob der Flieger oder Zug überhaupt auf der Anzeigetafel angezeigt wird. Immer wieder ein Erlebnis!

Übrigens: In Frankreich heißen die Warteräume „Salle des pas perdus“, wörtlich übersetzt „Saal der verlorenen Schritte“, bei der Deutschen Bahn werden die Warteräume „DB-Lounge“ genannt. Am Ende ist es aber völlig egal, wo man genervt und entmutigt die endlos scheinende Wartezeit verbringt.

Auf Station warten wir mal auf das Essen, das aus der Küche wieder einmal zu spät geliefert wird, oder auf den Arzt, der seine Visite längst gemacht haben sollte. Auf den Anruf aus dem OP, in dem der Patient laut OP-Plan längst schon angekommen sein sollte, auf Laborergebnisse, auf Apothekenlieferungen und zum Dienstende auf die Kollegen der nachfolgenden Schicht.

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(Foto: Paavo Blåfield)

Muss ich mal selbst zu einem Arzt, müsste ich dem Tod schon sehr nahe sein, um das Wagnis einzugehen, ohne Termin dort zu erscheinen. Denn schon mit einem festgelegten Behandlungstermin kann es noch Stunden dauern, bis ich aufgerufen werde. Sehr schade, dass ich nicht privat versichert bin. Es ist nachgewiesen, dass der Kassenpatient doppelt so lange wie der Privatpatient erst auf einen Termin beim Facharzt und später auf die Konsultation wartet. Ich habe gelesen, dass es nur so scheint, als ob ein geringerer sozialer Status dazu führen würde, dass der Kunde/Patient länger warten muss. Ich verrate Ihnen jetzt mal ein Geheimnis: Es scheint nicht nur so!

Wir alle warten immer auf irgendwas oder irgendjemanden. Wir warten auf Antworten, Nachrichten, Sportergebnisse, besseres Wetter. Auf den nächsten Tag.

Warten kann aber auch was Angenehmes sein: wenn zum Beispiel das Urlaubsziel besonders schön ist und die Urlaubszeit mal wieder zu schnell vergeht. Dann kann man entweder gut darauf warten, um die Vorfreude zu verlängern, oder man kann es kaum erwarten, dass der Urlaub beginnt.

Allgemein jedoch gehört das Warten zu den weniger angenehmen Seiten des Lebens und wird von vielen sogar als Zumutung empfunden. Nun sollte man sich die Frage stellen: Wie geht man damit um und wie schützt man sich vor dem Frust, den das Warten auslöst?

Man könnte sich im Voraus rächen und zum festgelegten Termin zu spät kommen, was nicht besonders clever ist. Man könnte sein Geld für den kommenden Monat schon heute ausgeben, überzieht sein Konto und hat irgendwann ganz andere Probleme. Man könnte der Freundin, auf deren Anruf man viel zu oft und viel zu lange gewartet hat, die Freundschaft kündigen.

Besser wäre es allerdings, sich das Warten abzugewöhnen, gelassener zu werden, sich überraschen zu lassen und eine unerwartete Freude zu erhalten.

In diesem Sinne,

Ihre
Heidi Günther