JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2015; 04(01): 8-9
DOI: 10.1055/s-0035-1544958
Reportage
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grüße aus Bohol

Judith Vetter
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Publication Date:
03 February 2015 (online)

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(Grafik: Vjom/Fotolia.com)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

fast drei Monate war ich nun auf Bohol, einer Insel der Philippinen. Das Bildungsniveau ist niedrig, entsprechend schlecht der Entwicklungsstand. Krankenpflege lernt man dort in einem vierjährigen Studium.

Oft habe ich die Kliniken besucht. Anfangs war das Interesse, etwas von einer deutschen Krankenschwester zu lernen, recht hoch. Einmal kamen zwei Krankenpfleger mit mir in die Berge, um mit den Kindern dort einen Gesundheitscheck durchzuführen – der überraschend positiv ausfiel. Einzig die Zahnhygiene ist mangelhaft, weil nicht genügend Geld für Zahnpflegemittel zur Verfügung steht.

Die Kinder gehen schon mit vier Jahren in die Schule, dennoch wissen sie nicht viel. Die Lehrer sind schlecht ausgebildet, der Unterricht trist.

An einem Tag standen zwei Hausbesuche an. Man bereitete mich auf ein Kind mit Polio und eines mit „big head“ vor.

Auf das erste Kind war ich sehr gespannt. Poliomyelitis gibt es in Deutschland durch den Impfschutz kaum noch. Vorgefunden habe ich eine 25 Jahre alte Patientin, die aber als Kind gilt, da sie ledig ist. Die junge Frau mit angeblicher Polio könnte ein ehemaliges Frühchen mit postnatalem Sauerstoffmangel gewesen sein. Der Klinikarzt diagnostizierte nach der Geburt Polio, ohne die nötigen Tests durchzuführen. Natürlich eine Fehldiagnose – wie so oft auf den Philippinen.

Der Anblick des zweiten Kindes war schockierend. Eine Sechsjährige mit einem Hydrocephalus, wie wir ihn nur noch von Bildern kennen. Der Kopf hatte die Größe einer Wassermelone. Dem Klinikpersonal war eine mögliche Operation unbekannt. Die Mutter der Kleinen pflegte sie zu Hause und war bisher nur einmal im Krankenhaus – der Weg ist zu beschwerlich. Nach Gesprächen mit Sozialarbeitern haben wir uns später gemeinsam entschieden, der Familie keine Operation zuzumuten. Es wäre nur ein externer Shunt möglich gewesen. Die hygienischen Begebenheiten dafür sind nicht ausreichend, die Nachsorge hätte nicht gewährleistet werden können. So haben wir uns entschlossen, der Familie die späteren Komplikationen zu ersparen. Sie sollen die übrige Zeit mit ihrer Tochter genießen.

In der Klinik ließ die Motivation zu lernen bald nach. Zu einem Erste-Hilfe-Training wollte das Klinikpersonal mich nicht begleiten. Zu meinem Entsetzen hatten die Einheimischen keinerlei Vorwissen im Bereich der Ersten Hilfe. Die typischen Notfälle sind Motorradunfälle und Schlangenbisse. Auf meine Rückfrage nach dem Handeln im Notfall erklärte man mir folgenden Plan: Man finde eine Person mit einem Handy und Guthaben, um den Krankenwagen zu rufen. Sollte der einzige Krankenwagenfahrer Zeit haben und sollte es nicht regnen, käme er in die Berge gefahren, was eine halbe Stunde dauern kann. Der Fahrer kann lediglich den Patienten transportieren, denn seine einzige Qualifikation ist sein Führerschein.

Eine andere Welt! Der Wert eines Lebens ist gering. Wer stirbt, kommt in den Himmel, automatisch gibt es mehr Essen für den Rest der Familie. Ein krasser Gegensatz zu Deutschland: Hier wird jedes Leben hoch geschätzt, jeder Selbstmörder reanimiert.

Die Zeit in Bohol war wertvoll und herausfordernd. Ich freue mich schon auf neue Kulturen, die ich in der Zukunft kennenlernen darf. Meine nächste Station ist Serbien.

Ihre
Judith Vetter