Gesundheitswesen 2016; 78(12): 816-821
DOI: 10.1055/s-0035-1548935
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Barrieren in der Thematisierung des Tabak- und Alkoholkonsums Schwangerer in der gynäkologischen Praxis. Eine Fokusgruppenstudie mit Frauenärzten[*]

Barriers to Addressing Pregnant Patients’ Cigarette and Alcohol Use: A Focus Group Study with Gynecologists
A. Stiegler
1   Universitätsklinikum Tübingen, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen
,
L. Bieber
1   Universitätsklinikum Tübingen, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen
,
K. Karacay
1   Universitätsklinikum Tübingen, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen
,
F. Wernz
1   Universitätsklinikum Tübingen, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen
,
A. Batra
1   Universitätsklinikum Tübingen, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Tübingen
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Publication Date:
08 May 2015 (online)

Zusammenfassung

Zielsetzung: Alkohol- und Tabakkonsum während der Schwangerschaft bergen ein immenses gesundheitliches Risiko für das ungeborene Kind. Obgleich Routineuntersuchungen im Verlauf der Schwangerschaft eine gute Möglichkeit zur Frühintervention geben, zeigen sich Schwierigkeiten in der Ansprache betroffener Schwangerer durch niedergelassene Frauenärzte. Gegenstand dieser Untersuchung ist die Frage nach Barrieren in der ärztlichen Thematisierung eines möglichen Suchtmittelkonsums der Schwangeren.

Methodik: Durchgeführt wurden 2 Fokusgruppeninterviews mit insgesamt 10 Frauenärzten. Die Auswertung erfolgte mittels Qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring.

Ergebnisse: Mögliche Barrieren im ärztlichen Umgang mit Alkohol- und Tabakkonsum schwangerer Patientinnen sind die Vermeidung einer offenen Ansprache des Konsums, Zurückhaltung gegenüber Patientinnen mit einem bestimmten soziodemografischen Hintergrund, die Belastungen im ärztlichen Arbeitsalltag, mangelndes Vertrauen in die eigene (fachliche) Kompetenz und eine Ambivalenz im Hinblick auf die Frage der Zuständigkeit.

Schlussfolgerung: In Anbetracht der erwähnten strukturellen und individuellen Hemmfaktoren wird deutlich, dass die Ansprache eines möglichen Konsums im gynäkologischen Arbeitsfeld auf mehreren Ebenen eine besondere Herausforderung darstellen kann. Hier stellt sich die Frage, ob eine alleinige Übertragung der Beratungsverantwortung auf die Frauenärzte der Problematik einer wirksamen Beratung Schwangerer zum Konsum von Alkohol oder Tabak in der Schwangerschaft ausreichend gerecht wird. Zu diskutieren sind für die Verbesserung der Versorgungsrealität und zur Unterstützung der Frauenärzte Möglichkeiten der strukturierten und standardisierten Vorgehensweise in der ärztlichen Beratung, eine Stärkung der allgemeinen Kommunikations- und Beratungskompetenz und die Bereitstellung niederschwellig verfügbarer Behandlungsangebote für betroffene Schwangere.

Abstract

Objectives/Purpose: Alcohol drinking and tobacco smoking pose high health risks for the unborn child. Even though routine testing during the course of pregnancy facilitates early intervention, addressing substance use in pregnancy seems to be more difficult. The aim of the study was to identify barriers to addressing pregnant patients’ cigarette and alcohol use.

Methods: 2 focus groups (in total N=10 participants) were conducted with gynaecologists. The transcripts of the discussions were analysed using Mayring’s approach of qualitative text analysis.

Results: Avoidance of addressing substance abuse directly, the social and educational background of patients influencing the communication in this matter and the physicians’ ambivalence about their limits of responsibility were barriers often mentioned by the participants.

Conclusion: In view of the several structural and individual barriers among gynaecologists identified in this study, gynaecologists obviously cannot be the only health professionals taking responsibility for coping with substance abuse among pregnant women. Strategies should be designed, e. g., to standardise the identification, counselling and referral process. Physicians should receive more support in improving their competences, and effective low-threshold treatment programmes for the women affected are required.

* Aus Gründen leichterer Lesbarkeit wird im nachfolgenden Text die neutrale Formulierung (z. B. Arzt/Ärzte) verwandt, wobei stets sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint sind.)