Z Gastroenterol 2015; 53(08): 773
DOI: 10.1055/s-0035-1553498
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Geschlechtersensible Aspekte in der in der Viszeralmedizin

Gender-specific aspects in visceral medicine
A. Riphaus
1   Innere Medizin – Schwerpunkt Gastroenterologie, KRH Klinikum Agnes Karll, Laatzen
,
O. Katja
2   Klinik für Allgemein-, Gefäß- und Thoraxchirurgie RoMed Klinikum Rosenheim, Rosenheim
,
B. Rau
3   Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Berlin
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
18 August 2015 (online)

In den letzten 10 Jahren kam es zu einem erheblichen Anstieg der Zahl der Publikationen, die sich mit Aspekten der geschlechtersensiblen Medizin befasst haben. Eine Literaturrecherche unter Verwendung des Begriffs „gender medicine“ in PubMed weist aktuell mehr als 40 000 Publikationen auf.

Gender-Medizin wurde und wird bedauerlicherweise teils immer noch missverstanden. Oftmals wird davon ausgegangen, dass die Geschlechterfrage in der Medizin sich darauf bezieht, dass Frauen für mehr Verantwortung und Rechte kämpfen. Ganz im Gegensatz dazu bezieht sich die Erforschung von Gender in der Medizin tatsächlich jedoch auf die Analyse von geschlechtersensiblen Unterschieden zwischen Männern und Frauen in Bezug auf Krankheiten und ihren Ausgang. Während der letzten 10 Jahre konnte zunehmendes Wissen über die Unterschiede in Geschlecht und deren Einfluss auf die diagnostischen und therapeutischen Ergebnisse bei und für unsere Patienten gewonnen werden. Männer und Frauen sind in verschiedenen Bereichen der Medizin unterschiedlich betroffen. Spezifische Arzneimittelwirkungen, die Anzeichen und Symptome von Krankheiten (bspw. insbesondere bei Kardiomyopathie), die Rate der postoperativen ernsten chirurgischen Infektionen (SSI) wie auch die Häufigkeit und das Ergebnis bestimmter Krankheiten sind weitgehend durch das Geschlecht beeinflusst. So wurden 1992 erstmals von Karen Berkley Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei Herzkrankheiten und deren Behandlung angegangen. Sie beobachtete, dass das Geschlecht immerhin in 45 % der in angesehenen Fachzeitschriften veröffentlichten Studien gar nicht erst angegeben war [1]. Dadurch wurde nachfolgend immer mehr Forschung in diesem Bereich bewirkt. Nachfolgend kam es seit 2004 zu einer Neubewertung von pharmazeutischen Studien in Deutschland, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln bei Männern und Frauen gleichermaßen zu gewährleisten. Gerade die Ursache der Geschlechtsunterschiede bei vielen Erkrankungen, der Epidemiologie und dem Behandlungserfolg sind oftmals noch unbekannt und bedürfen einer höheren Aufmerksamkeit. Unterschiedliche Gene, Sexualhormone und Immunogenität wurden oft als dafür verantwortlich angesehen, ohne dass weiterführende Untersuchungen folgten. Gerade Sexualhormone beeinflussen bekanntermaßen das Kreislaufsystem und die Pharmakovigilanz. Auch spielt Immunogenität von Antigenen in der Organtransplantation eine nicht zu unterschätzende Rolle mit negativer Beeinflussung des Transplantationsergebnisses, wenn geschlechtersensible Aspekte nicht ausreichend berücksichtigt oder vernachlässigt werden [2]. Mittlerweile wurden auch deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Hinblick auf die Immunantwort bei Infektionen und Impfungen aufgezeigt mit einer signifikant höheren Ansprechrate bei Frauen [3]. Eine Analyse von Furman et al. von Geschlechtsunterschieden im Immunsystem zeigte eine immunsupprimierende Rolle für Testosteron hinsichtlich des Ansprechens bei Influenza-Impfung [3], die bei Männern mit dem höchsten Testosteronspiegel und damit verbundenen Gensignaturen am geringsten ausfiel. Auch für den Magen-Darm-Trakt gibt es bereits nachgewiesene geschlechtersensible Unterschiede in Bezug auf das Auftreten und die therapeutischen Ergebnisse unterschiedlicher Erkrankungen. So treten Gallensteinerkrankungen und Gallenblasenkrebs gehäuft bei Frauen auf [4]. In Bezug auf das Vorhandensein von Kolonpolypen und Darmkrebs zeigt sich ein erhöhtes Risiko für Männer, das darüber hinaus bei Männern in früherem Lebensalter als bei Frauen auftritt [5], so dass sich hier möglicherweise Änderungen gerade im Hinblick auf den Zeitpunkt der ersten Vorsorgekoloskopie bei Männern und Frauen individualisiert ergeben können. Wenngleich geschlechtersensible Aspekte in der Viszeralmedizin noch deutlich unterrepräsentiert sind, sind sie ein wichtiger Faktor in Bezug auf Epidemiologie, klinische Präsentation, Management und Behandlungsergebnis von viszeralmedizinischen Erkrankungen.

In dieser Ausgabe der Zeitschrift für Gastroenterologie sollen aktuelle geschlechtersensible Unterschiede unter viszeralmedizinischen Aspekten beispielhaft an 4 Schwerpunktthemen zu onkologischen Aspekten, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, HNPCC sowie dem Barrett-Ösophagus und -Karzinom aufgezeigt werden.

Zoom Image
 
  • Literatur

  • 1 Berkley KJ. Vive la difference!. Trends Neurosci 1992; 15: 331-332
  • 2 Ge F, Huang T, Yuan S et al. Gender issues in solid organ donation and transplantation. Ann Transplant 2013; 18: 508-514
  • 3 Furman D, Hejblum BP, Simon N et al. Systems lysis of sex differences reveals an immunosuppressive role for testosterone in the response to luenza vaccination. Proc Natl Acad Sci USA 2014; 111: 869-874
  • 4 Rustagi T, Dasanu CA. Risk factors for gallbladder cancer and cholangiocarcinoma: similarities, differences and updates. J Gastrointest Cancer 2012; 43: 137-147
  • 5 Ferlitsch M, Reinhart K, Pramhas S et al. Sex-specific prevalence of adenomas, advanced adenomas, and colorectal cancer in individuals undergoing screening colonoscopy. JAMA 2011; 28: 1352-1358