Gesundheitswesen 2015; 77(10): 799-804
DOI: 10.1055/s-0035-1564079
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Einfluss von visuellen Wahrnehmungsleistungen auf die Ergebnisse in der Wechsler Nonverbal Scale of Ability (WNV)

The Impact of Visual Perceptual Abilities on the Performance on the Wechsler Nonverbal Scale of Ability (WNV)
L. Werpup-Stüwe
1   Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen
,
F. Petermann
1   Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen
,
M. Daseking
1   Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen
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Publication History

Publication Date:
29 October 2015 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: In der psychologischen Diagnostik nimmt die Durchführung psychometrischer Verfahren insbesondere bei Kindern und Jugendlichen einen wesentlichen Stellenwert ein. Aktuell werden oftmals sprachfreie Intelligenztests verwendet, um unabhängig von den sprachlichen Fähigkeiten psychische Auffälligkeiten aufzudecken und Entwicklungsprognosen zu erstellen.

Fragestellung: Ziel dieser Studie ist es zu prüfen, ob die Diagnostik mit sprachfreien Testverfahren bei Kindern mit einer auffälligen visuellen Wahrnehmungsleistung angemessen ist.

Methode: Anhand einer Stichprobe von 172 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 9 bis 21 Jahren sollen die Zusammenhänge zwischen den visuellen Wahrnehmungsleistungen in Frostigs Entwicklungstest der visuelle Wahrnehmung für Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE) und dem sprachfreien Intelligenztest Wechsler Nonverbal Scale of Ability (WNV) ermittelt werden. Zudem wird geprüft, ob Personen, die eine auffällige visuelle Wahrnehmung aufweisen, schwächere Ergebnisse in der WNV erzielen als gesunde Personen.

Ergebnisse: Die Zusammenhänge zwischen den Leistungen im FEW-JE und der WNV sind als mittel bis stark einzustufen. Die Gruppe der Personen mit einer auffälligen visuellen Wahrnehmungsleistung erzielt signifikant schwächere Leistungen in der WNV als die Kontrollgruppe.

Schlussfolgerungen: Sprachfreie Intelligenztests wie die WNV ermöglichen bei Personen, die eine auffällige visuelle Wahrnehmungsleistung zeigen, keine sichere Einschätzung der Intelligenz. Ein Intelligenztest, der auch sprachliche Inhalte erfasst, ist in diesen Fällen zu bevorzugen. Bei Verdacht auf eine auffällige visuelle Wahrnehmungsleistung sollte immer auch ein visueller Wahrnehmungstest eingesetzt werden. Der FEW-JE scheint hierbei ein geeignetes Instrument zu sein.

Abstract

Background: The use of psychometric tests in with children and adolescents is especially important in psychological diagnostics. Nonverbal intelligence tests are very often used to diagnose psychological abnormalities and generate developmental prognosis independent of the child´s verbal abilities.

Methods: The correlation of the German version of the Developmental Test of Visual Perception – Adolescents and Adults (DTVP-A) with the Wechsler Nonverbal Scala of Abilities (WNV) was calculated based on the results of 172 children, adolescents and young adults aged 9–21 years. Furthermore, it was examined if individuals with poor visual perceptual abilities scored lower on the WNV than healthy subjects.

Results: The correlations of the results scored on DTVP-A and WNV ranged from moderate to strong. The group with poor visual perceptual abilities scored significantly lower on the WNV than the control group.

Conclusions: Nonverbal intelligence tests like the WNV are not reliable for estimating the intelligence of individuals with low visual perceptual abilities. Therefore, the intelligence of these subjects should be tested with a test that also contains verbal subtests. If poor visual perceptual abilities are suspected, then they should be tested. The DTVP-A seems to be the right instrument for achieving this goal.

 
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