neuroreha 2015; 07(03): 140
DOI: 10.1055/s-0035-1564293
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leitfaden für die Neurorehabilitation nach Hirnschädigung

Contributor(s):
Michel Rijntjes
1   Oberarzt Neurologische Klinik; Universitätsklinikum Freiburg
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Publication Date:
10 September 2015 (online)

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Die Neurorehabilitation nach Hirnschädigung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der Rehabilitation in anderen Fachbereichen:

Zentrale Hirnschädigungen gehen häufig mit komplexen Symptomen einher, die sich überlagern, verstärken und verschiedene Modalitäten betreffen. Die Behandlung von Paresen wird häufig erschwert durch zusätzlich vorhandene Sensibilitätsstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Apraxien, Antriebsstörungen etc. Im Zentrum steht daher die genaue Problemanalyse.

Emotionale oder motivationale Defizite können nicht nur eine Therapie erschweren, sondern sollten manchmal gerade das Hauptziel der Behandlung sein. Mehr als bei anderen körperlichen Schädigungen haben Hirnschädigungen, die häufig mit Einschränkungen von kognitiven Fähigkeiten einhergehen, eine Auswirkung auf die Interaktion mit anderen Menschen. Ein wichtiger Aspekt in der Neurorehabilitation ist daher die Problemanalyse auf allen Ebenen der sozialen Interaktion.

Jede Rehabilitation ist ein Lernprozess. Jedoch ist im Falle einer Hirnschädigung das Organ, mit dem man lernt, selbst geschädigt. Es ist daher notwendig, die biologischen Grundlagen von Lernprozessen zu kennen und zu wissen, wie diese Lernprozesse sich bei einer Hirnschädigung ändern und trotzdem sinnvoll genutzt werden können.

Alle diese Besonderheiten bedeuten, dass bei der Neurorehabilitation viele Therapeuten gleichzeitig involviert sind, und machen die Neurorehabilitation zu einer ausgeprägten interdisziplinären Angelegenheit. Daher sollten alle Berufsgruppen die Grundlagen, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der anderen wenigstens im Ansatz kennen.

Ein wichtiger Teil dieses Buches beschäftigt sich mit Lernprozessen und Vorgängen, die während des Lernens im Gehirn auftreten. In den letzten Jahren wurde gezeigt, dass auch das Gehirn von Erwachsenen nach einer Schädigung noch eine enorme Kapazität zu plastischen Veränderungen besitzt. Sowohl beim Lernen als auch während der Besserung nach einer Hirnschädigung findet eine Reorganisation in miteinander vernetzten Hirnteilen statt. Im Laufe der funktionellen Besserung nach Hirnschädigung sind dabei unterschiedliche Phasen zu erkennen, in denen mal mehr die intakte, dann wieder die geschädigte Hirnhälfte aktiv ist. Neue Therapien versuchen, über noch intakte Teile der Netze oder des Gehirns einen Eingang in das System zu finden, z.B. mit der Spiegeltherapie (über die andere Hemisphäre), mit der Videotherapie (über das visuelle System) oder mit Verbaler Selbstinstruktion (über das sprachliche System). Es gab bisher keine vergleichbare Übersicht, in der alle diese Aspekte kompakt und für alle Berufsgruppen verständlich dargestellt werden.

Viele Fallbeispiele machen den interdisziplinären Ansatz der Neurorehabilitation anschaulich. Es werden Hinweise gegeben, wie eine individuelle Problemanalyse erstellt wird, wie ein Behandlungsplan zu entwickeln ist, wie dieser Plan evaluiert werden sollte und was zu tun ist, wenn während der Behandlung unvermutete Probleme auftreten.

Fazit. Ben van Cranenburgh ist Neurowissenschaftler und interessiert sich seit Langem für das Problem, wie alte und neue wissenschaftliche Erkenntnisse sinnvoll in die tägliche Praxis der Neurorehabilitation umgesetzt werden können. Er gibt seit über 20 Jahren in den Niederlanden und im deutschen Sprachraum interdisziplinäre Fortbildungen. Dieses Buch ist auch eine Antwort auf die vielen praktischen und theoretischen Fragen, die ihm über die Jahre gestellt wurden.