neuroreha 2015; 07(03): 142-143
DOI: 10.1055/s-0035-1564295
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Veranstaltungsbericht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Evidenzbasierte internationale Neurorehaforschung

Jan Mehrholz
1   Private Europäische Medizinische Akademie der Klinik Bavaria in Kreischa GmbH, An der Wolfsschlucht 1–2; 01731 Kreischa
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Publication History

Publication Date:
10 September 2015 (online)

International Congress on NeuroRehabilitation and Neural Repair, 21. bis 22. Mai 2015 in Maastricht, Niederlande

Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr der International Congress on NeuroRehabilitation and Neural Repair in Maastricht veranstaltet. Deutlich mehr als 400 Teilnehmer aus mehr als 30 Ländern trafen sich vom 21. bis 22. Mai 2015 im MECC Maastricht ([Abb. 1]). Organisiert wurde der sehr multidisziplinär ausgerichtete Kongress von der Dutch Society of Neurorehabilitation (DSNR) und der Belgian Society of Neurorehabilitation (BSNR) federführend von den Vorsitzenden Prof. Gert Kwakkel und Prof. Gaëtan Stoquart.

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Abb. 1 Diskutierende Kongressteilnehmer (Foto: Jan Mehrholz)

Fokus Der Kongress stand thematisch im Zeichen einer Forschung mit unterschiedlichsten Ansätzen: Grundlagenforschung, Konzept- und Apparateentwicklung, klinische Studien, deren Zusammenfassung bis hin zu Implementierungs- und Versorgungsforschung in der neurologischen Rehabilitation.

Programmschwerpunkte Sieben Hauptprogrammschwerpunkte wurden angeboten: Hauptvorträge (key lectures) von internationalen Experten, fokussierte Symposien zu Themen wie u. a. Hirnstimulation, Kognition, Spastik, Roboter, freie Vorträge, Nachwuchsvorträge, Industriesymposien, Postervorträge und der Posterpreis.

Hauptredner

Geladener Hauptredner am ersten Tag war der allseits bekannte Prof. Randolph Nudo ([Abb. 2]) von der University of Kansas, USA. Er gilt als einer der meistzitierten Forscher auf dem Gebiet der Neuroplastizität. Er referierte in sehr klarer Art und Weise zu den aktuellen Fortschritten im Verständnis der Neuroplastizität und zu neuen Entwicklungen, die derzeit erprobt werden. So z. B. über die künstliche Verbindung des sensorischen mit dem primär motorischen Areals bei experimentellem Schlaganfall im Tierversuch mit beeindruckenden Ergebnissen und plastischem Videomaterial. Ebenfalls ging er auf die verschiedenen, aktuell diskutierten Themen der Hirnstimulation und die invasive Platzierung der Elektroden und deren längerfristige Effekte ein. Er machte aber ebenso klar, dass solche Resultate erst noch bestätigt werden müssen.

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Abb. 2 Professor Randolph Nudo (Foto: Jan Mehrholz)

Am gleichen Tag trug Dr. Rebecca Fisher (University of Nottingham, GB) zum Thema „Wie kann man Studienergebnisse optimal implementieren?“ vor ([Abb. 3]). Sie erläuterte Strategien für eine optimale Implementierung von Forschungsergebnissen und regte an, Kliniker an sich mit Forschern auszutauschen.

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Abb. 3 Dr. Rebecca Fisher (Foto: Jan Mehrholz)

Am Freitag war Prof. John Vissing eingeladen ([Abb. 4]). Er berichtete über die aktuellen Erkenntnisse zur Übungstherapie (z. B. Kraft- und Ausdauertraining) bei neuromuskulären Erkrankungen. Ein umfassender und zukunftsweisender Vortrag, der die atemberaubenden Entwicklungen der letzten 20 Jahre auf diesem Gebiet darstellte. Er beschrieb einen mittlerweile wissenschaftlich untermauerten Paradigmenwechsel: Bei den meisten (aber nicht allen) neuromuskulären Erkrankungen ist Kraft- und Ausdauertraining sicher (verursacht also keine Schäden) und hat deutliche Effekte. Er zeigte außerdem, dass zumeist ein aerobes Ausdauertraining die Leistungsfähigkeit im Verlauf verschiedener neuromuskulärer Erkrankungen (nur leider nicht den Krankheitsverlauf) deutlich positiv beeinflussen kann. Ebenfalls stellte er ein sehr eindrucksvolles Antischwerkrafttraining auf dem Laufband vor, von dem gerade Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen besonders profitieren könnten. Außerdem beschrieb er Nahrungsergänzungen (z. B. Cola vor dem Training oder Proteindrinks nach dem Training) und deren Effekte bei Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen (Zuckerdrinks: gut, Proteine: weniger effektiv).

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Abb. 4 Professor John Vissing (Foto: Jan Mehrholz)

Zum Abschluss des letzten Tages trug Prof. Mark Hirsch von der University of North Carolina, USA, zum Morbus Parkinson vor.


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Symposien

Jeden Tag gab es insgesamt jeweils sechs Parallelveranstaltungen mit sehr interessanten Symposien, was die Qual der Wahl erschwerte. Insgesamt war die Qualität der Symposien ausgezeichnet, die Redner trugen zumeist interessant und professionell vor. Zum Thema klinische Studien stellte Frau Dr. Bleyenheuft eine randomisierte Studie zur Effektivität eines Trainingscamps zur Verbesserung der Balance und Feinmotorik (HABIT-ILE) für Kinder mit Zerebralparese vor und belegte eindrücklich die Effekte dieser Camp-Intervention.

Dr. Eva von Swinnen, Freie Universität Brüssel, Belgien, präsentierte ihre Forschungsergebnisse zur Gewichtsentlastung bei verschiedenen Krankheitsbildern. Sie zeigte praktisch, dass die Gewichtsentlastung kein Selbstzweck beim Gehtraining ist und nur so wenig wie nötig eingesetzt werden sollte – vor allem so schnell wie möglich abgebaut werden muss, weil anderenfalls negative Effekte zu erwarten sind.

Anschließend stellte Jaap Buurke die Neuentwicklung eines weiter verbesserten Gangroboters vor, den Lopes II. Im Seminar wurde sehr deutlich, welche beeindruckende Arbeit auf diesem Gebiet in den letzten Jahren stattgefunden hat.


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Fazit

Man kann viel darüber diskutieren, ob man neben anderen neurologischen Kongressen eine weitere Konferenz zur neurologischen Rehabilitation benötigt. Nach dem Besuch dieses exzellenten Kongresses, der gerade für Therapeuten Fortbildungscharakter hatte, ist dies eindeutig zu bejahen. Der nächste International Congress on NeuroRehabilitation and Neural Repair soll übrigens vom 18. bis 19. Mai 2017 stattfinden. Da gerade in der neurologischen Rehabilitation das Wissen immer weiter zunimmt, ist eine Neuauflage sicher zu begrüßen.

Aber es wäre ebenso wünschenswert, dass sich die deutsche Neuroreha-Szene deutlicher beteiligen könnte als bislang. Der International Congress on NeuroRehabilitation and Neural Repair ist gerade für die deutschen Neuroreha-Verbände eine interessante Möglichkeit zu evidenzbasiertem Austausch und ebenfalls eine sehr gute Plattform für grenzüberschreitende Diskussionen.

Insgesamt gelang es den niederländischen und belgischen Neurorehabilitationsverbänden, ein sehr mannigfaltiges, hochinteressantes, ansprechendes und praxisnahes Kongressprogramm auf die Beine zu stellen! Sowohl für Kliniker als auch für Neurorehabilitationsforscher gab es viele Gelegenheiten, sich Wissen anzueignen, auf den neuesten Stand zu bringen oder zu präsentieren und zu prüfen.

Jan Mehrholz


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