Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83(10): 592
DOI: 10.1055/s-0041-106650
Nachruf
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachruf auf Prof. Dr. Kurt Heinrich

P. Falkai
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Publication Date:
20 November 2015 (online)

Am 24. März 2015 verstarb Prof. em. Dr. med Kurt Heinrich, der bis 1992 Ordinarius für Psychiatrie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf war.

Kurt Heinrich wurde am 7. Oktober 1925 in Mainz geboren und wuchs ebendort und in Pirmasens/Pfalz auf. Er beendete sein Medizinstudium nach den Kriegswirren im Jahre 1952 an der Universität Mainz mit der Promotion und habilitierte sich 1964 ebendort zu hirnbiologischen Sichtweisen paranoider Psychosen.

1966 wurde er Oberarzt an der Universitätsklinik Mainz, 3 Jahre später ebendort auch zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Ab 1971 war er Leitender Direktor der Pfälzischen Nervenklinik Landeck, um 1972 dem Ruf auf das Ordinariat für Psychiatrie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu folgen. In dieser Funktion leitete er 20 Jahre lang eine der größten Universitätskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie in Deutschland und gleichzeitig das Rheinische Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie in Düsseldorf-Grafenberg.

Als Prof. Heinrich 1972 sein Amt in Düsseldorf antrat, war die Zeit geprägt von den Auswirkungen der 68er mit studentischen Unruhen, außerparlamentarischer Opposition und der Entstehung einer antipsychiatrischen Bewegung. Letztere propagierte, dass psychische Erkrankungen nicht existent, sondern lediglich das Produkt einer krank machenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft seien. In diesem Kontext gelang es Prof. Heinrich unter großem persönlichem Einsatz Argumente für die Existenz psychischer Erkrankungen und die Notwendigkeit ihrer rationalen Therapie herauszuarbeiten. Dies ist unter anderem in einer Abhandlung aus dem Jahr 1968 mit dem Titel „Sozialpsychiatrie: Erfolge und Grenzen“ nachweisbar, die er im Rahmen der sogenannten Bad Kreuznacher Symposien vortrug. Die Tradition dieser Veranstaltungsreihe setzte er später in den von ihm geleiteten Düsseldorfer Symposien fort, die ein Forum für die Diskussion formaler Aspekte des Fachs Psychiatrie und Psychotherapie darstellen.

Prof. Heinrich setzte sich aber nicht nur theoretisch mit sozialpsychiatrischen Themen auseinander, sondern setzte wichtige sozialpsychiatrische Prinzipien in Düsseldorf um. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Gründung unterschiedlicher Tageskliniken mit psychotherapeutischem, milieutherapeutischem und gerontopsychiatrischem Schwerpunkt sowie später auch einer Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Etablierung einer beschützenden Wohnung für entlassene psychisch Kranke sowie die Einrichtung von sogenannten Patientenclubs gehören zu den markanten Maßnahmen seiner Amtszeit in Düsseldorf. Insgesamt war ihm die Verbesserung der gesamten Lebenssituation von psychisch Kranken immer ein persönliches Anliegen, was er dann als Vorsitzender der Nervenärztlichen Gesellschaft Düsseldorf und später als Präsident des Gesamtverbands Deutscher Nervenärzte systematisch weiter vorantrieb.

Neben seinem Engagement im Bereich der Sozialpsychiatrie hegte Prof. Heinrich immer ein profundes Interesse für die biologisch begründbaren Ursachen schizophrener Psychosen. In diesem Kontext prägte er in seinen frühen Arbeiten den Begriff der pathogenetischen Grundformel von der zentralnervösen funktionellen Regression. Damit postulierte er, dass bei schwersten seelischen Störungen die höchstentwickelten und somit phylogenetisch jüngsten Teile des menschlichen Gehirns Funktionseinbußen erleiden und deshalb die stammesgeschichtlich älteren Hirnregionen keiner ausreichenden Kontrolle mehr unterliegen. Die Folge davon sind Angst, Wahn und andere Symptome, die auf einen Zusammenbruch der Hierarchien des zentralen Nervensystems hinweisen. Prof. Heinrich hat damit lange vor der Einführung moderner bildgebender Verfahren die Desintegration neuronaler Systeme bei schizophrenen Psychosen thematisiert.

Ein weiterer seiner wissenschaftlichen Tätigkeitsbereiche, war die Psychopharmakotherapie. In den 50er Jahren gehörte er zu den Ersten, die die Wirksamkeit der damals neuen Psychopharmakagruppe der Neuroleptika anhand von Untersuchungen über Chlorpromazin bestätigten.

Er war zudem Mitbegründer der heute nach wie vor aktiven Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie (AGNP) und hat die Zeitschrift Pharmakopsychiatrie (heute Pharmacopsychiatry) gegründet und auch als Herausgeber geleitet. Zwischen 1982 und 1986 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (DGBP) und hat gezielt Exponenten der biologischen Psychiatrie für die Psychiatrische Klinik in Düsseldorf gewonnen. Ich durfte Prof. Heinrich kennenlernen als Persönlichkeit mit beneidenswerter Menschenkenntnis und der Fähigkeit zu überzeugen. Er war für seine exzellenten rhetorischen Fähigkeiten bekannt, die ergänzt wurden durch seine Gabe, komplexe gruppendynamische Zusammenhänge rasch zu durchschauen und nachhaltig zu beeinflussen.

Mit Prof. Kurt Heinrich verliert die deutsche Psychiatrie einen herausragenden akademischen Lehrer, Kliniker und beeindruckenden Menschen, der zur Weiterentwicklung unseres Fachs über schwierige Zeiten hinweg maßgeblich beigetragen hat.

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Prof. Dr. Kurt Heinrich