Gesundheitswesen 2016; 78(02): 130
DOI: 10.1055/s-0042-100777
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stellungnahme zum Artikel

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Publication History

Publication Date:
23 February 2016 (online)

Gostomzyk JG, Simoes E, v. Mittelstaedt G
Entwurf eines Curriculums Klinische Sozialmedizin
Gesundheitswesen 2015; 77: 590–592

Gostomzyk, Simoes und v. Mittelstaedt legen einen Entwurf für ein Curriculum Klinische Sozialmedizin vor. Für die Einführung eines solchen Curriculums spricht aus Sicht der Autoren v. a. die Herausforderung, trotz der erwarteten demografischen Entwicklung in Deutschland den Versorgungsbedarf der Bürger und dessen Finanzierung zu sichern, und im Zusammenhang damit die Notwendigkeit, Sozialmedizin zu stärken.

Was wird gefordert?

Die Autoren betonen sehr richtig die Notwendigkeit, die Systemwelt des SGB mit seinen 12 Gesetzbüchern mit der Lebenswelt von Patienten zusammenzuführen. Das ist eine originäre Aufgabe eines jeden Sozialmediziners; denn genau das wird von ihm erwartet: rechtzeitig die richtige Weichenstellung für den Patienten vorzunehmen, um diesen durch den „Dschungel“ der Sozialgesetzgebung kompetent und effizient zu leiten. Die Autoren beziehen dies allerdings im Weiteren fast ausschließlich auf den Bereich des SGB V – die Gesetzliche Krankenversicherung – und leiten daraus die Notwendigkeit ab, ein gesondertes Curriculum Klinische Sozialmedizin zu entwickeln.


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Warum halten Sozialmediziner der Rentenversicherung das für zu kurz gegriffen?

In diesem Artikel werden Aufgaben der klinischen Sozialmedizin zunächst ganz allgemein und dann im Kontext der Versorgung gemäß SGB V diskutiert. Die genannten Aufgaben obliegen jedoch nicht ausschließlich Ärzten im Bereich der akutmedizinischen Versorgung; sie betreffen vielmehr alle Ärzte, einerlei, ob sie in Einrichtungen der Akutversorgung, der Rehabilitation oder in den sozialmedizinischen Diensten der Leistungsträger tätig sind, um nur einige Beispiele zu nennen. Gleiches gilt für die unter Teilhabe formulierten Belastungen; auch dies ist Aufgabengebiet eines jeden Sozialmediziners.

Ärzte aus dem Bereich der Akutversorgung – sei es in Krankenhäusern, sei es aber auch v. a. im ambulanten Bereich – nehmen diese Weiterbildungsmöglichkeit sehr oft nicht wahr. Zu den Gründen gehört hier sicher die Schwierigkeit, das geforderte Jahr praktischer sozialmedizinischer Weiterbildung nachweisen zu können (es mangelt in diesem Bereich ganz schlicht an Vorgesetzten mit der Befugnis bzw. Ermächtigung zur Weiterbildung), es mag aber mitunter auch an einem Bewusstsein für die Notwendigkeit zur entsprechenden Weiterbildung fehlen. Das ist besonders bedeutungsvoll angesichts der Lotsenfunktion, die Ärzte bereits am Anfang der medizinischen Versorgungskette zum Wohle der Patienten und der Versichertengemeinschaft ausfüllen sollten.


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Und nun?

Den Autoren gebührt zunächst einmal Dank für die Formulierung von Missständen und die Forderung, diese zu beheben. Das kann nur unterstützt werden. Gleichwohl halten wir den Ansatz für problematisch: Die Autoren sehen eine Lösung nämlich darin, ein neues Curriculum für einen ganz speziellen Kreis von Ärzten zu entwickeln, Ärzte der akutmedizinischen Versorgung. Aus den Argumenten, die hierzu aufgeführt werden, lässt sich allerdings aus unserer Sicht der Bedarf für eine weitere Spezialisierung der Sozialmedizin nicht erkennen. Zu befürchten wäre dabei eher ihre Aufsplitterung in womöglich viele „Unterspezialisierungen“, die dem übergreifenden Charakter der Sozialmedizin widersprechen. Alle angesprochenen Punkte werden durch die Sozialmedizin in ihrer jetzigen Form ja bereits abgedeckt. Dieses wichtige Brückenfach, das immer auch einen Facharzttitel voraussetzt, sollte genau die fachübergreifende Klammer bleiben, als die es konzipiert wurde.

Unser Ziel ist es, sozialmedizinische Kompetenz breiter zu verankern und auch in den Bereich der Akutversorgung zu tragen. Um dies zu erreichen, ist aus unserer Sicht folgendes erforderlich:

  • eine Überarbeitung der Weiterbildungsordnung, die es auch Kolleginnen und Kollegen ohne Weiterbildungsbefugten bzw. – ermächtigten ermöglicht, die Weiterbildung Sozialmedizin ohne qualitative Abstriche zu absolvieren. Hier ist auf das berufsbegleitende Modell in Niedersachsen als Beispiel zu verweisen.

  • eine Überarbeitung des Kursbuches Sozialmedizin, die der Weiterentwicklung der Sozialmedizin und unseres Gesundheitssystems, aber auch den geänderten Anforderungen gerecht wird und neu entstandene Fragestellungen in den Weiterbildungskanon aufnimmt.

Ärztinnen und Ärzte der gesetzlichen Rentenversicherung sind gern bereit, sich an einer entsprechenden Überarbeitung zu beteiligen und sich für eine Stärkung der Sozialmedizin einzusetzen.


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