Z Gastroenterol 2016; 54(02): 190-191
DOI: 10.1055/s-0042-102112
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Krebsvorsorge in der gastroenterologischen Fachpraxis – Nützt ein Recall-System?

Dietrich Hüppe
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Publication Date:
15 February 2016 (online)

Zweifelsfrei stehen Vorsorge und Früherkennung des kolorektalen Karzinoms (KRK) im Mittelpunkt der gastroenterologische Fachpraxis. Zwar betreut die Fachpraxis keine primären, d. h. hausärztlichen Patienten, bei denen Risikoprofile anamnestisch zu erfassen sind und gesetzlich vorgegebene Vorsorgeprogramme beworben werden können. Aber der Gastroenterologe hat das Fachwissen, die Zulassung und Expertise, die Vorsorge durch endoskopische Leistungen zu erbringen und entsprechende Befunde zu bewerten.

Auch wenn sich in den letzten zwölf Jahren nur ca. 23 Prozent der Anspruchsberechtigten einer Vorsorgekoloskopie unterzogen haben, so führt doch diese Intervention in der Zusammenschau mit allen kurativen Koloskopien zu einem erkennbaren Rückgang der Morbidität und Mortalität des KRK. Statistiken des RKI sowie Studien aus dem deutschen Vorsorgeregister belegen dies. Dass sich dieser Trend trotz eines höheren demographischen Risikos (einer älter werdenden Bevölkerung) verstetigt, steigert die Aussagekraft zum tatsächlichen Nutzen der Prävention. Bei einer Indexkoloskopie findet sich je nach Anamnese in ein bis drei Prozent aller Untersuchten ein KRK, bei ca. 20 bis 30 Prozent werden Adenome entdeckt, die mittels Polypektomie oder Biopsie entfernt werden können. In einer eigenen Untersuchung konnten wir zeigen: Wird ein asymptomatisches KRK bei einer Vorsorgekoloskopie festgestellt, so ist die Prognose dieses Tumors signifikant besser als wenn ein symptomatisches KRK im Rahmen einer kurativen Koloskopie entdeckt wird.

Deshalb sollte es die Aufgabe der gastroenterologischen Praxis sein, Risikogruppen zu identifizieren und eine Überwachung zu organisieren. Zu den Risikogruppen für ein KRK gehören Patienten mit festgestellten Adenomen, einem familiären Darmkrebsrisiko oder nach erfolgter Darmkrebstherapie. Eine eigene Untersuchung an 1367 Patienten zeigt, dass ein entsprechendes praxisinternes Recallsystem eine hohe Akzeptanz erfährt, insbesondere auch bei Männern. Durch ein solches Erinnerungsschreiben konnten mehr als 60 Prozent der Patienten motiviert werden, sich einer koloskopischen Kontrolle nach drei bis fünf Jahren zu unterziehen. Bei fast 40 Prozent fanden sich bei der Untersuchung neue oder inkomplett entfernte Adenome. Immerhin bei 0.5 Prozent der Kohorte stellte sich nach drei bis fünf Jahren ein Intervallkarzinom ein und wurde frühzeitig erkannt. Genetisch begründete Patienten mit familiärem Darmkrebs (z. B. HNPCC, FAP) sind in der Fachpraxis selten, bedürfen jedoch besonderer Aufmerksamkeit.

Andere Risikofaktoren wie Adipositas, Diabetes mellitus, vermehrter Alkoholkonsum oder Schilddrüsenfunktionsstörungen können in der fachärztlichen Praxis nicht adressiert werden. Hier kommt der hausärztlichen Betreuung von Risikogruppen Priorität zu.

Im Rahmen der Abklärung von Oberbauchbeschwerden, Reflux oder gastrointestinalen Blutungen werden selten Karzinome im oberen Gastrointestinaltrakt in der Fachpraxis entdeckt. Nur bei 0.3 bis 0.4 Prozent aller Untersuchungen finden sich Ösophagus- oder Magenkarzinome. Ein Risikofaktor für die Entstehung eines Adenokarzinoms des Ösophagus ist das Vorliegen eines Barrett-Ösophagus. Leitlinien empfehlen hier regelmäßig Kontrollen. Auch hier hat unsere Praxis ein Recallsystem für entsprechende Patienten etabliert. Die Teilnahmerate in Folge des Recalls ist auch hier hoch, die Effizienz jedoch gering. Zumeist stellen sich Patienten mit einem schon manifesten Karzinom neu vor oder sind dem Recall nicht gefolgt.

Risikofaktoren für ein Karzinom im Magen stellen der Helicobacter pylorus, ein nicht abheilendes Ulcus ventriculi und ein familiäres Magenkrebsrisiko dar. Insbesondere bei Risikogruppen empfehlen wir die HP-Eradikation. Patienten mit einem Ulcus ventriculi, das nicht abheilt, und Personen mit familiärem Magenkrebsrisiko sollten regelmäßig überwacht werden.

Eine gastroenterologische Fachpraxis, soweit sie sich in der Betreuung von Patienten mit CED und chronischen Lebererkrankungen engagiert, wird weitere Patienten mit erhöhtem Krebsrisiko identifizieren. So bedürfen Patienten mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn mit hoher entzündlicher Aktivität im Langzeitverlauf nach aktuellen Leitlinien regelmäßiger endoskopischer Kontrollen. Nach eigenen Erfahrungen und aktuellen Untersuchungen sollten jährliche Kontrollen jedoch in Frage gestellt werden, insbesondere wenn es durch effektive Medikamente gelingt, eine Remission und Mucosaheilung der Erkrankung zu erzielen.

Die Leberzirrhose ist schon lange als Präkanzerose bekannt. Erschien die Zirrhose noch vor 25 Jahren als prognostisch „unumkehrbare“ Erkrankung, so kann heute oftmals der „Treiber“ der Leberentzündung (chron. Hepatitis C, chron. Hepatitis B, Alkohol, Eisen bei Hämocromatose, PBC, NASH) durch effektive Therapien gestoppt werden. Infolge dessen bilden sich bei einem Teil der Patienten nicht fortgeschrittene Leberzirrhosen zurück. Die Elastographie (Fibroscan®) ist eine exzellente Methode, einen solchen Bindegewebsrückbau zu überwachen. Dennoch bleibt das Risiko, insbesondere bei fortgeschrittenen Zirrhosen, dass ein Leberzellkrebs (HCC) oder cholangiozelluläres Karzinom (CCC) in der zirrhotischen Leber entsteht. In einem eigenen Zirrhosekollektiv von mittlerweile fast 400 Patienten hat sich in den letzten acht Jahren bei fast 20 Prozent ein HCC oder CCC entwickelt. Durch Früherkennung kann die Prognose durch effektivere Behandlungsmöglichkeiten einschließlich LTX deutlich verbessert werden. Dies begründet eine sorgfältige Überwachung dieser Patienten durch Ausschaltung oder Kontrolle des „Entzündungstreibers“, Sonographie und AFP-Bestimmung und lässt ein Recallsystem auch hier sinnvoll erscheinen. Denn in einer auch hepatologischen ausgerichteten Fachpraxis wird der Anteil dieser Tumorpatienten aufgrund der verbesserten Therapie der Grunderkrankung und dem damit einhergehenden längeren Überleben eindeutig zunehmen.

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