Aktuelle Ernährungsmedizin 2016; 41(02): 118-119
DOI: 10.1055/s-0042-103449
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Schwache Evidenz für Ernährungstherapie bei stationären Patienten

P. E. Ballmer
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Publication Date:
11 April 2016 (online)

Referat

Hintergrund Bei einer akuten Erkrankung mangelernährter Patienten oder solchen mit hohem Risiko für eine Mangelernährung kommt häufig eine gezielte Ernährungstherapie zum Einsatz. Martina Bally et al. prüften die Evidenzbasis für die Wirksamkeit dieses Vorgehens insbesondere in Hinblick auf klinisch relevante Endpunkte.

Methoden Sie führten eine systematische Analyse randomisiert-kontrollierter Studien (RCT) zur Ernährungsunterstützung von stationären Patienten mit einer Fehlernährung oder einem hohen Risiko für eine Fehlernährung durch. In den Datenbanken der Cochrane Library, in MEDLINE und EMBASE identifizierten sie 22 RCT mit insgesamt 3736 Teilnehmern, die zwischen dem 5. Oktober 1982 und dem 30. April 2014 in verschiedenen, meist europäischen Ländern durchgeführt wurden. Der primäre Endpunkt der Analyse war die Mortalität, als sekundäre Endpunkte definierten die Autoren im Krankenhaus erworbene Infektionen, nichtelektive stationäre Wiederaufnahmen, das funktionelle Ergebnis der Behandlung, die stationäre Behandlungsdauer, die tägliche Kalorien- und Proteinaufnahme und die Gewichtsveränderung.

Ergebnisse Die Analyse der Daten zeigte, dass Patienten mit einer ernährungsfördernden Maßnahme signifikant mehr an Gewicht zunahmen als die Kontrollen, im Mittel 0,72 kg (95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,23 – 1,21 kg). Auch die Kalorienaufnahme (Differenz im Mittel 397 kcal; 95 %-KI 279 – 515 kcal) und die Proteinaufnahme (mittlere Differenz 20,0 g/d; 95 %-KI 12,5 – 27,1 g/d) konnten durch die Interventionen im Vergleich zu den Kontrollen signifikant gesteigert werden.

Dies hatte aber hinsichtlich des primären Endpunkts keinen Effekt: Die Mortalität lag in der Interventionsgruppe bei 9,8 und in den Kontrollgruppen bei 10,3 % (Odds Ratio [OR] 0,96; 95 %-KI 0,72 – 1,27). Das galt auch für im Krankenhaus erworbenen Infektionen (betroffen waren 6,0 vs. 7,6 %; OR 0,75; 95 %-KI 0,50 – 1,11), die Funktion nach Entlassung (mittlerer Unterschied im Barthel-Index 0,33 Punkte; 95 %-KI – 0,88 – 1,55 Punkte) sowie die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus (mittlere Differenz zwischen Interventions- und Kontrollgruppe: – 0,42 Tage; 95 %-KI – 1,09 bis 0,24 Tage). Nur nichtelektive Wiederaufnahmen ins Krankenhaus kamen bei Ernährungsintervention seltener vor als bei den Kontrollen (20,5 % vs. 29,6 %; Risikoverhältnis 0,71; 95 %-KI 0,57 – 0,87). Bei Patienten mit bereits etablierter Fehlernährung zeigte sich zusätzlich noch ein Trend hin zu einer Verringerung der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus durch die Ernährungsintervention (mittlere Differenz – 2,08; 95 %-KI – 4,19 bis 0,02).

Die Autoren betonen, dass die Heterogenität der Studien hinsichtlich der Patientenpopulationen und der Interventionen bzw. Kontrollbedingungen groß war und die Studienqualität oft zu wünschen übrig blieb. Die Populationen waren meist klein – das Fehlerrisiko konnte oft kaum abgeschätzt werden.

Fazit Mangelernährte stationäre Patienten nehmen bei Ernährungsunterstützung mehr Kalorien und Proteine zu sich und können etwas an Gewicht zulegen. Der bisherigen Datenlage zufolge hat das aber kaum Effekte auf klinisch relevante Endpunkte. Nur nichtelektive stationäre Wiederaufnahmen scheinen nach diesen Daten etwas verringert zu werden. Die Autoren der Metaanalyse fordern dringend RCT guter Qualität, um die Wirksamkeit der ernährungsunterstützenden Maßnahmen hinsichtlich klinisch relevanter Endpunkte zu belegen.

Friederike Klein, München

 
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