Der Klinikarzt 2016; 45(S 01): 3-5
DOI: 10.1055/s-0042-104542
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Update Antikoagulation 2016

Matthias Leschke
,
Johannes Brachmann
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Publication Date:
03 May 2016 (online)

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, liebe Leserin, lieber Leser, anlässlich der 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim freuen wir uns, dass wir Ihnen zum fünften Mal ein aktuelles Supplementheft des klinikarzt zur Antikoagulation präsentieren dürfen.

Die Kardiologie ist eine spannende, dynamische Disziplin. Ein guter Kardiologe kann sich nicht mehr auf seinem Wissen vor 5 Jahren ausruhen. So stehen im interventionellen Bereich innovative, neue Therapiestrategien in der Behandlung der Aortenstenose und der Mitralinsuffizienz zur Verfügung.

Darüber hinaus hat die medikamentös-konservative Therapie dramatische Fortschritte in den letzten Jahren errungen. Neben den PCSK9-Antikörpern in der Behandlung der therapierefraktären Hypercholesterinämie und dem LCZ696, einem Komplex aus Valsartan als AT1-Rezeptorblocker und Sacubitril, einem Prodrug zur Neprilysininhibiton bei der Herzinsuffizienz haben in den letzten Jahren die neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) zur medikamentösen Revolution der Antikoagulation beim Vorhofflimmern und bei der Thrombose und Lungenembolie beigetragen.

In dem vorliegenden Supplementheft wollen wir uns auf wichtige klinische Fragestellungen, aber auch kontroverse Themenkomplexe zur Antikoagulation beim Vorhofflimmern konzentrieren. Die neuen oralen Antikoagulantien haben nach dem GARFIELD-Register eine zunehmende Verbreitung gefunden. So werden in diesem europäischen Register mittlerweile 37 % der Patienten mit Vorhofflimmern mit den neuen oralen Antikoagulantien therapiert. Der Anteil der mit Vitamin-K-Antagonisten antikoagulierten Patienten nimmt kontinuierlich ab. Andererseits werden noch immer viele Patienten mit einem Vorhofflimmern inadäquat antithrombotisch therapiert. Nach diesem Register werden andererseits Patienten mit vergleichsweise geringem thromboembolischen Risiko antikoaguliert, also übertherapiert, wohingegen Patienten mit einem hohen thromboembolischen Schlaganfallrisiko inadäquat antikoaguliert, demnach untertherapiert werden.

In dem vorliegenden Supplementband des klinikarzt haben wir namhafte Meinungsbildner zur Antikoagulation bei Vorhofflimmern gewonnen. Wir dürfen bei dieser Gelegenheit unseren Autoren für die rechtzeitige Fertigstellung ihrer Beiträge herzlich danken. So kann dieses Supplementheft wirklich allen Teilnehmern zur 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim zur Verfügung gestellt werden. Wenn Sie an unserem Supplementband Gefallen finden, dann haben alle Autoren diese große Herausforderung nicht nur zeitlich, sondern insbesondere auch inhaltlich bestanden.

In dem ersten Beitrag von Herrn Prof. Bernd-Dieter Gonska, Karlsruhe, werden „die wesentlichen Kriterien zur Diagnostik des Vorhofflimmerns und Beurteilung des Schlaganfallrisikos“ angeführt. So beträgt die Häufigkeit des Vorhofflimmerns bis zu 10 % bei den 70-Jährigen sowie ca. 20 % und mehr bei den über 75-Jährigen. Elementar ist die Definition des Vorhofflimmerns, wonach Vorhofflimmern als eine Vorhofrhythmusstörung definiert ist, die durch ein EKG dokumentiert worden ist und mindestens eine Dauer von 30 Sekunden aufweist. Schon bei diesen kurzen Episoden des Vorhofflimmerns besteht ein erhöhtes thromboembolisches Schlaganfallrisiko.

Herr Privatdozent Dr. Oliver Grottke geht auf die ganz „aktuelle Entwicklung NOAK-spezifischer Antidote“ ein. Schließlich können wir uns alle noch an eine Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft in dem Leitfaden zur „oralen Antikoagulation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern“ erinnern, wonach aus der Sicht der Arzneimittelkommission „Patienten in Deutschland, zur Prophylaxe kardio-embolischer Erkrankungen bei Vorhofflimmern mit Vitamin-K-Antagonisten gut zu behandeln sind und sich kein Vorteil aus einer Therapie mit Dabigatran oder Rivaroxaban ergibt“. Diese Aussage war schon damals absolut widersprüchlich zu allen nationalen und internationalen Leitlinien zur Antikoagulation bei Vorhofflimmern. Mit der Markteinführung von Idarucizumab als spezifisches und rasch wirksames Antidot gegen den direkten Thrombininhibitor Dabigatran wurde diese Aussage endgültig ad absurdum geführt. Zur Wirkungsaufhebung der Faktor-Xa-Inhibitoren ist Andexanet Alfa in Phase III der klinischen Entwicklung und damit kurz vor der Zulassung.

Welche Sicherheiten und aktuellen Daten zur Effektivität des Einsatzes der neuen oralen Antikoagulantien liegen aus dem Alltagsleben bzw. in der „real life“-Situation vor? Im Beitrag von Herrn Prof. Matthias Leschke werden die aktuellen Studienregister und „real life“-Daten zur Antikoagulation mit neuen oralen Antikoagulantien, auch im Vergleich zu den Vitamin-K-Antagonisten bei Vorhofflimmern, vorgestellt. Erfreulicherweise zeigen die Ergebnisse aus den aktuellen Registern, dass die in den Zulassungsstudien gewonnenen Ergebnisse einer höheren Sicherheit im Vergleich zur Vitamin-K-Antagonistentherapie bei mindestens so effizienter Wirksamkeit bestätigt werden können.

Frau Prof. Cornelia Pieper und Herr Prof. Dieter Horstkotte gehen auf den „aktuellen Stand der Antikoagulation bei mechanischen und biologischen Klappen und interventioneller Klappentherapie“ ein. Insbesondere das Kapitel zur Antikoagulation bei interventioneller Klappentherapie (TAVI, MitraClip) ist hoch aktuell und von großer klinischer Relevanz. Dieser Beitrag stammt aus einem der international erfahrensten kardiologischen Zentren in der Therapie angeborener und erworbener Herzklappenfehler.

Eine besonders große Herausforderung stellt das Thema „Antikoagulation beim nicht-valvulären Vorhofflimmern und koronarer Herzerkrankung, insbesondere nach Koronarintervention“ dar. Hier sind wir Herrn Dr. Christian Widera und Prof. Albrecht Elsässer von der Universität Oldenburg dankbar, dass sie sich dieser schwierigen Thematik angenommen haben. Eine duale Thrombozytenaggregationshemmung mit Antikoagulation mittels eines NOAKs oder eines Vitamin-K-Antagonisten bewirkt insbesondere bei älteren Patienten über 75 Jahren ein eindeutig erhöhtes Blutungsrisiko. Aktuelle Studien, deren Ergebnisse leider noch nicht vorliegen, gehen der Frage nach, inwieweit nicht bereits eine Kombination aus einem NOAK/Vitamin-K-Antagonisten und einem Thrombozytenaggregationshemmer wie Clopidogrel, aber auch den Substanzen, wie Ticagrelor und Prasugrel schon einen ausreichenden Schutz vor Schlaganfall und Stentthrombosen geben. Die Entscheidung, eine Triple-Therapie oder eine duale Therapie aus Antikoagulanz und Thrombozytenaggregationshemmer vorzunehmen, fällt deutschlandweit sehr unterschiedlich aus. Wir dürfen auf neue Daten sehr gespannt sein und freuen uns, dass die Autoren eindeutige Therapierichtlinien in Abhängigkeit des Schlaganfall- und Blutungsrisiko festlegen.

Herr Prof. Ulf Ziemann, einer der führenden Schlaganfallforscher, nimmt sich der spannenden Thematik „ESUS: Diagnostik und aktuelle klinische Therapiestrategien“ an. Mit ESUS wird nach einem aktuellen Hypothesenpapier ein embolischer Schlaganfall ungeklärter Ursache („Embolic-Stroke of undetermined Source“) verstanden. Bei diesem Konzept wird unterstellt, dass kryptogene Schlaganfälle ganz überwiegend thromboembolischer Genese sind, mit Quellen im Herz, venösen System und arteriosklerotischen Plaques im Aortenbogen und in den Hirn-versorgenden Arterien. Hierbei handelt es sich um ein absolut innovatives und hoch spannendes Konzept, das langfristig zu neuen therapeutischen Konzepten in der Behandlung des früher als kryptogenen Schlaganfalls definierten Schlaganfalls führen wird.

Herr Prof. Jai-Wun Park und Prof. Johannes Brachmann präsentieren den „aktuellen Stand der Indikation zur Implantation eines Vorhofohroccluders“. Insbesondere für Vorhofflimmerpatienten, bei denen Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation vorliegen, die darüber hinaus ein hohes Risiko für einen Schlaganfall und/ oder Blutung haben sowie für Patienten, die unter einer oralen Antikoagulation einen Schlaganfall erlitten oder eine schwerwiegende Blutungskomplikation durchgemacht haben, stellt die Implantation eines Vorhofohroccluders eine gute Alternative dar. In diesem hoch aktuellen Beitrag wird gezeigt, dass der Verschluss des linken Vorhofohrs eine gute Alternative zur oralen Antikoagulation bei Hochrisiko-Patienten darstellt, die aufgrund von Blutungen oder Ineffektivität der oralen Antikoagulation als fragwürdige Kandidaten für eine orale Antikoagulation gelten.

Nochmals dürfen wir den Dank an alle Mitautoren für die Fertigstellung dieses Supplementbandes richten. Wir haben von der Idee bis zur Realisierung weniger als 3–4 Monate benötigt. Selbst bei der Schnelllebigkeit medizinischer Entwicklungen ist dies eine enorme Leistung aller Beteiligten, die schließlich auch ihrem Tagesgeschäft nachgehen müssen. Darüber hinaus danken wir dem THIEME-Verlag, der verantwortlichen Redaktion und allen Mitautoren, aber auch Ihnen als Leser. Wenn Sie an dieser Lektüre Ihren Gefallen finden, dann hat sich der Einsatz in jeder Hinsicht gelohnt.

Ihre

Prof. Dr. med. Matthias Leschke, Esslingen

Prof. Dr. med. Johannes Brachmann, Coburg