Diabetes aktuell 2016; 14(02): 57
DOI: 10.1055/s-0042-105787
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetes und Chancengleichheit

Antje Bergmann
,
Peter E. H Schwarz
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Publication Date:
26 April 2016 (online)

In unserem vorliegenden Heft geht es um Urlaub, Reisen für Diabetiker – das ist ein Thema bei welchem wir besonders an die Unterschiede in den dafür pro Familie zur Verfügung stehenden Mittel denken. Im Gesundheitsbericht der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Diabetes-Hilfe wurden aktuell und umfassend nationale Daten und ein internationaler Vergleich zu Herausforderungen und zum aktuellen Stand bei Diagnostik, Therapie und Prävention des Diabetes zusammengetragen (http://www.diabetesde.org/fileadmin/users/Patientenseite/PDFs_und_TEXTE/ Infomaterial/Gesundheitsbericht_2016.pdf). Im „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2016 – Die Bestandsaufnahme“ herausgegeben von der DDG und der Deutsche Diabetes-Hilfe hat uns unter anderem das Kapitel „Chancengleichheit“ beschäftigt.

Chancengleichheit umfasst in unserer Gesellschaft vor allem das Recht auf eine gerechte „Verteilung von Zugangs- und Lebenschancen“. Dazu gehört ebenso die Chancengleichheit in Bezug auf die eigene Gesundheit, d.h. Zugang zum Gesundheitssystem, zu Präventionsmaßnahmen, zu Therapieoptionen. Fakt ist jedoch, dass die Menschen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status (Einkommen, nachgewiesener Bildungsabschluss, Beruf) eine niedrigere Lebenserwartung als Besserverdienende und Besserausgebildete haben. Dieser Unterschied beträgt in Deutschland 8–10 Jahre! Mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ist ein erhöhtes Typ-2-Diabetes-Risiko verknüpft. Hierbei spielen in den niedrigeren sozialen Schichten ein höheres Vorkommen von Adipositas, deutlich mehr körperliche Inaktivität und ein vermehrter Tabakkonsum eine entscheidende Rolle. Dies ist nicht nur in Deutschland so, sondern wird weltweit zum Problem. Wie sieht es nun innerhalb Deutschlands aus? Die „führenden“ Bundesländer bei der Diabetesprävalenz sind Sachsen (10,4 %), Sachsen-Anhalt (10,1 %) und Brandenburg (9,9 %) – ausnahmslos neue Bundesländer, die Prävalenz in sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten ist noch höher.

Bereits im Kindesalter beginnen die Unterschiede bei der Ernährung, bei Sportangeboten, bei der Aufklärung zu Risiken und im Gegensteuern. Kinder mit Migrationshintergrund sind ebenfalls häufiger betroffen und weisen einen höheren Konsum von Süßem und Fertigprodukten auf. Welche Auswirkungen diese Entwicklung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf unser Gesundheitssystem hat, mögen selbst optimistisch rechnende Gesundheitsökonomen kaum vorhersagen. Aktives Gegenhalten ist gefragt:

  1. Eine nationale Diabetesstrategie wird seit 2014 national beworben und umgesetzt, basierend auf der bereits 2012 vom EU-Parlament beschlossenen und seit 2013 von der EU-Kommission empfohlenen Strategie.

  2. Es sind, so beschreibt das Gutachten, „ganzheitliche Präventionsstrategien (Health-in-all-policies)“ gefragt. Prävention und Gesundheitsförderung, Selbstfürsorge und Übernehmen von Verantwortung durch jeden einzelnen sind hierbei Bausteine.

  3. Ein drittes wichtiges Arbeitspaket in diesem Zusammenhang ist die „Verringerung sozialer Deprivation“ und der Ausgleich der sozialen Ungerechtigkeit. Gerade dieses dritte Ziel ist am schwersten zu erreichen. Hierfür sind „eine effektive Armutsbekämpfung und Stärkung der sozialen Integration (gefragt)" und „gezielte Maßnahmen der Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Sozial-, Familien-, Gesundheits- und Steuerpolitik müssen Bildungs- und Einkommensungleichheiten (mindern)".

Große Ziele, aber gemeinsam mit den Akteuren im Gesundheitssystem, den Patienten und Angehörigen selbst, mit politischen Entscheidungsträgern kann dies gelingen.

Optimistisch in die Zukunft blicken

Ihre Antje Bergmann und Ihr Peter Schwarz