Diabetes aktuell 2016; 14(04): 167
DOI: 10.1055/s-0042-110050
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gestationsdiabetes – es geht um Zwei

Michael Hummel
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Publication Date:
29 June 2016 (online)

Der Gestationsdiabetes (GDM) weißt einige Besonderheiten auf: Die Erkrankung betrifft zumindest zwei Personen, außerdem „verschwindet“ sie in der Regel wieder. Während der kurzen Dauer der Schwangerschaft werden beim Fetus aber viele wichtige Determinanten für die Zukunft festgelegt. Neue Forschungsergebnisse zeigen wie mütterliche Adipositas, starke Gewichtszunahme und erhöhte Blutglukose in der Schwangerschaft auf verschiedene Organsysteme wie Pankreas und Gehirn des Kindes einwirken und die Zukunft des Ungeborenen in Richtung Übergewicht und möglichen Diabetes vorprogrammieren. So hat die Frau mit GDM ein 7-fach erhöhtes Risiko nach der Schwangerschaft einen Typ-2-Diabetes (T2D) zu entwickeln, das Diabetesrisiko des Kindes nach GDM-Schwangerschaft ist 8-fach erhöht. Dank dieser Besonderheiten bietet der Gestationsdiabetes aber auch außergewöhnliche präventive Chancen.

Wegen seiner Bedeutung für zu mindestens zwei Menschen und der nur temporären Erscheinung der Blutglukose-Erhöhung gibt dieses Krankheitsbild uns die einmalige Chance einer frühen, zielgerichteten, zeitlich kurzen, hoch effektiven, umfassenden und sinnvollen Prävention von Diabetes bei (zwei) Personen mit sehr hohem Risiko für Typ-2-Diabetes. So wird bei einer gelungenen Prävention neben der Mutter das Kind profitieren, oft durch einen veränderten Lebensstil vermutlich auch weitere Familienmitglieder in einem oft sozial schwächeren, adipösen Milieu. Hier kann die Spirale Makrosomie → Übergewicht in Kindheit und Jugend → Schwangerschaft mit Übergewicht → Gestationsdiabetes → Makrosomie unterbrochen werden. Der Gestationsdiabetes offenbart zudem schon im frühen Erwachsenenalter, was womöglich viele Jahre später auf die Betroffene zukommt. In diesem Alter ist eine Veränderung des Verhaltens bezüglich der Lebensstilfaktoren Ernährung und Bewegung deutlich realistischer und effektiver als im höheren Alter. Außerdem zeigt die in der Regel gelungene Lebensstil modifikation während der Schwangerschaft der Betroffenen, dass bessere Ernährungsgewohnheiten nicht unangenehm sein müssen, praktikabel sind und zum Erfolg führen. Wir brauchen also neben einer optimalen Behandlung während der Schwangerschaft strukturierte Konzepte für die Betreuung für Frauen und Familien nach GDM, die über die reinen Screening-OGTT nach Entbindung hinausgehen. Gute Daten zu präventiven Erfolgen durch verbesserte Stillraten, Ernährung und Bewegung nach Entbindung sind vorhanden. Eine weitere, noch schwierigere und umfassendere, aber auch besonders wirkungsvolle Aufgabe ist die Prävention bereits vor der Schwangerschaft: Hier muss vor allem die Adipositas adressiert werden, eine medizinische und gesamtgesellschaftliche Herausforderung.