Diabetes aktuell 2016; 14(04): 153
DOI: 10.1055/s-0042-110516
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

TTIP und Essen – Wer haftet, wenn ich esse?

Antje Bergmann
,
Peter E. H. Schwarz
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Publication Date:
29 June 2016 (online)

Im ersten Moment scheint die Frage sehr abstrakt zu klingen, weil man spontan antworten würde – „Natürlich Ich, derjenige, der isst!“. Wenn Sie sich einen Apfel vom Baum nehmen oder ein Stück Fleisch vom Fleischer kaufen, mag das sicherlich völlig korrekt sein. Überlegt man aber weiter und stellt sich vor, dass es heute Nahrungsmittel gibt, die zum Teil komplett technisch hergestellt sind, oder über ein Nahrungsmittel 80–100 industrielle Fertigungsschritte hinweggegangen sind, oder auch Nanotechnologien es ermöglichen, völlig neuartige Nahrung herzustellen, würden wir die Frage noch genauso beantworten?

Betrachten wir das vom gesundheitlichen und medizinischen Aspekt, gibt es eine klare Regelung, dass Medikamente im einfachsten annehmbaren Fall nicht schaden dürfen. Der Hersteller eines Medikamentes muss nachweisen, welche Wirkungen und Nebenwirkungen ein Medikament hat. Die Nebenwirkungen müssen klar deklariert sein. Für unerwünschte gesundheitliche Nebenwirkungen, die nicht deklariert sind, haftet der Hersteller und muss beim Auftreten das Produkt in der Regel vom Markt nehmen. Wie ist das bei Nahrungsmitteln? Hier haftet kaum jemand, oder? Verkaufen wir ein Essen als Gastronom und unser Gast wird krank, haften wir kurzfristig dafür. Verkaufen wir aber ein Nahrungsmittelprodukt und der Konsument isst das über ein Jahr (in vielen Fällen selbst in viel kürzeren Zeiträumen) und der Kunde wird krank, gibt es keine direkte Herstellerhaftung mehr. Stellen wir beides gegeneinander und 1000 Menschen würden ein Medikament nehmen und einer stirbt innerhalb eines Jahres aufgrund der Einnahme des Medikamentes, muss es vom Markt genommen werden. Trinken diese gleichen 1000 Menschen ein Jahr lang täglich eine Dose Cola, steigt ihr Diabetesrisiko um 60 %, ohne dass etwas vom Markt genommen werden muss. Ist das fair? Das ist schwer zu beantworten, weil es letztendlich unsere Kultur und Tradition widerspiegelt. Ist das aber vielleicht ein Ansatzpunkt, um als Public Health Maßnahme die Gesundheit in der Bevölkerung zu beeinflussen? Wie wäre es, wenn man die Hersteller von Nahrungsmitteln ähnlich den pharmazeutischen Herstellern haftbar machen würde für unerwünschte gesundheitliche Nebenwirkungen ihrer Nahrungsmittelprodukte. Sie hätten die gleiche Chance mit einem Beipackzettel auf unerwünschte Wirkungen hinzuweisen und sind dann von der jeweiligen Haftung befreit oder müssen für unerwünschte gesundheitliche Nebenwirkungen eben haften.

Schauen wir uns mal TTIP an, was in den Unterlagen zur Herstellerhaftung gesagt wird. Es ist erschreckend, da hier die Hersteller von Nahrungsmitteln von fast jeder Haftung freigesprochen werden und erst dann, wenn mehrere Studien einen eindeutigen Hinweis auf eine gesundheitsschädigende Wirkung zeigen, ein Nahrungsmittel vom Markt genommen werden muss. Wir glauben, es liegt auf der Hand, hier durchaus zu argumentieren, dass Verbraucher mit zweierlei Maß gemessen werden. Bei einer unerwünschten Nebenwirkung eines Medikaments haftet der Hersteller, bei einem Nahrungsmittel eigentlich die gesamte Zeit der Verbraucher und damit die Gesellschaft. Wir denken, das ist ein Ansatzpunkt, der zum Nachdenken anregen sollte. Dieses Statement sollte nicht als Statement pro oder contra TTIP verstanden werden. Wir denken nur, dass es gerecht wäre die industriellen Hersteller, die heute „Food“ produzieren, das in den allermeisten Fällen nicht mehr viel mit „Nahrungsmitteln“ gemein hat und in ganz vielen Fällen ein „Toxic Food Environment“ erzeugt, für die Wirkung dieser Produkte haftbar zu machen.

Als wir die Idee bei Vertretern des Gesundheitsausschusses im Bundestag vorgestellt haben, erntete sie erst Ablehnung. Denkt man aber zwei Gedanken weiter – was würde passieren, wenn eine solche Haftung existiert? Juristisch ist das nicht so schwierig, es müsste nur eine gesetzliche Grundlage erweitert und vermutlich kein neues Gesetz geschaffen werden. Die Industrie würde sich vehement dagegen wehren, aber, sobald das Gesetz existiert, das Haftungsrisiko einpreisen. Das würde zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise führen bei den Produkten, bei denen die Industrie ein potenzielles Haftungsrisiko sieht. Damit würden diese Produkte teurer und es ist genau das erreicht, was wir aus gesundheitlichen Gründen erreichen wollen. An dem Punkt fanden auch Politiker die Idee attraktiv, weil höhere Nahrungsmittelpreise in vielen Fällen auch höhere Steuereinnahmen bedeuten. Man könnte also hier eine Gesundheitsstrategie gleichzeitig mit höheren Steuereinnahmen für den Staat kombinieren und damit eine Gesundheitsstrategie etablieren, die nicht erst einmal gleich nur Geld kostet. Letztendlich wäre eine gesetzliche Regelung für eine Haftung für unerwünschte gesundheitliche Nebenwirkungen für Nahrungsmittelprodukte das gleiche wie eine Steuer auf alle krank machenden Lebensmittel – wäre das nicht wünschenswert?

Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz