Der Klinikarzt 2016; 45(07/08): 331
DOI: 10.1055/s-0042-111869
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ein Schock auch für Nichtraucher

Winfried Hardinghaus
Osnabrück
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Publication Date:
17 August 2016 (online)

Um es gleich voranzustellen: Allein, dass von meinen 4 erwachsenen Kindern 2 Söhne rauchen, stimmt mich als Vater und Arzt bedenklich. Immerhin, da sage ich Ihnen nichts Neues, stirbt jeder zehnte Raucher an Lungenkrebs. Jahrzehntelanger Konsum von Tabak und Teer sind Hauptverursa cher für kardiovaskuläre Erkrankungen.

Die Nichtraucherschutzgesetze ab 2005, die stetigen Erhöhungen der Zigarettensteuer und das allgemein gesellschaftlich gewachsene Gesundheitsbewusstsein haben sicherlich zum Rückgang des Raucheranteils in der Bevölkerung geführt. Von den 18- bis 25-Jährigen rauchte Ende der 1990er Jahre etwa jeder Zweite, heute nur noch jeder Dritte. Noch deutlicher zurückgegangen ist der Anteil der jugendlichen Raucher. Hier rauchten Ende der 1990er Jahre knapp 30 % der 12- bis 17-Jährigen, heute sind es nur noch 10 %.

Weniger glaube ich daran, dass die EU-einheitlichen Warnhinweise, die sich seit 2003 auf Zigarettenschachteln befinden, zum Raucherrückgang beigetragen haben. Dort liest man – wenn man denn lesen will – mal ganz knapp „Rauchen tötet“, mal etwas ausführlicher „Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“ oder auch mal ziemlich detailliert „Rauchen kann die Spermatozoen schädigen und schränkt die Fruchtbarkeit ein“. Ich glaube, wer rauchen will, raucht trotzdem.

Und, wer rauchen will, der raucht auch trotz der seit Ende Mai auf deutschen Zigarettenschachteln abgebildeten „Schockbilder“, die bewusst Ekel erzeugen sollen. Bundestag und Bundesrat haben im Rahmen der neuen EU-Tabakrichtline beschlossen, dass ab sofort Warnbilder und aufklärende Texte zwei Drittel der Vorder- und Rückseite von Zigaretten- und Drehtabakverpackungen bedecken müssen. So dürfen wir in Zukunft beim Betreten von Kiosken oder Supermärkten Schachteln mit bunten Bildern von schwarzen Lungen, verfaulten Füßen, offenen Raucherbeinen und vergammelten Zähnen erwarten. Kein schöner Anblick! Für Raucher nicht, aber eben auch für Nichtraucher nicht. Schon gar nicht für Kinder.

Spätestens hier kommen wir nun aus der gesundheitlichen Ebene hinaus auf eine ethische Diskussionsebene.

Geschockt hat mich eine aktuelle Nachricht darüber, dass eine Österreicherin auf einem dieser neuen Abschreckfotos ihren kürzlich verstorbenen Ehemann erkannt haben will. Auf dem Bild liegt ein Mann in einem Krankenhausbett an einem Beatmungsgerät. Darunter der schriftliche Warnhinweis: Rauchen verursacht Schlaganfälle und Behinderungen. Insgesamt 130 Familienangehörige, Freunde und Bekannte des Verstorbenen sollen sich sicher sein, dass es sich um diesen, an einem Hirntumor verstorbenen Mann handelt. Die Europäische Kommission weist die Vorwürfe zurück. Der Abgebildete sei ein Schauspieler aus Deutschland, dessen Namen man aus Datenschutzgründen jedoch nicht nennen dürfe. Merkwürdig, aber auch so etwas kann dabei herauskommen. Klar ist, man darf sterbende Menschen und ihr Leiden nicht auf diese Weise bloßstellen, sicher nicht ohne irgendein Einverständnis, auch nicht auf Zigarettenschachteln.

Und ich möchte auch gerne einkaufen gehen, ohne den Appetit zu verlieren. Ich kann Raucher verstehen, die sich nun fragen, warum die EU-Kommission nicht kaputte Lebern auf Weinflaschen, Autounfallopfer auf Whiskeyflaschen, adipöse Menschen auf Pizzaschachteln oder diabetische Füße auf Schokoladenverpackungen abbilden.

Wir sollen über Risiken aufklären und reden. Wir sind aber immer noch selbstständig denkende Wesen mit eigenem Willen und Verstand. Wir brauchen nicht geschockt zu werden!

Im Übrigen wer`s wissen möchte: Ich bin Nichtraucher.