Gesundheitswesen 2016; 78(10): 628
DOI: 10.1055/s-0042-118890
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stellungnahme zum Artikel

D. Kreye
,
B. John
,
J.-F. Chenot
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 October 2016 (online)

Juristische Analyse der Umsetzungsregelungen der Delegation vertragsärztlicher Hausbesuche an nicht-ärzt-liche Gesundheitsberufe – ist die Umsetzung in Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers? Gesundheitswesen 2016; 78: 622–627

Die Delegation von ärztlichen Leistungen in Hausarztpraxen an nicht ärztliches Personal erscheint als eine relativ zeitnah zur Verfügung stehende Möglichkeit, den Hausarztmangel in ländlichen Regionen teilweise abzumildern. Der Verdienst des AGnES-Projekts liegt darin, schon frühzeitig die Weichen für die ersten notwendigen Änderungen im Sozialgesetzbuch gestellt zu haben.

In dem Artikel wird der Eindruck erweckt, dass aus juristischer Sicht nur an AGnES angelehnte Delegationsmodelle dem eigentlichen gesetzgeberischen Willen entsprechen, weil AGnES einzig den hohen gesetzlichen Anforderungen im Gesundheitsbereich genügen würde. Nur dieses Modellprojekt sei positiv evaluiert und keines der anderen Modelle, wie z. B. VERAH (VERsorgungsAssistentin in der Hausarztpraxis) könne darum gesetzeskonform sein. Es wird sogar insinuiert, dass billigere Alternativkonzepte (VERAH 200 h Weiterbildung, NäPA (NichtÄrztliche PraxisAssistentin) 170–220 h, versus AGnES 622 h [4]) Patienten gefährden könnten und unwirtschaftlich seien. Es lohnt sich daher die Veröffentlichung zur Evaluation von Delegationsmodellen etwas genauer anzuschauen: Zunächst lässt sich feststellen, dass es für keines der Delegationsmodelle eine publizierte kontrollierte Studie gibt, die auf einen patientenrelevanten Endpunkt einen Zusatznutzen nachweist oder verschiedene Delegationsmodelle miteinander vergleicht. Es handelt sich bei denen zu AGnES [1] [2] [3] und VERAH [5] [6] publizierten Studien um Veröffentlichung zum Curriculum, Machbarkeitsstudien mit Akzeptanzmessung durch Ärzte und Patienten und um Daten zu im Rahmen der Projekte behandelten Patienten. Diese Studien sind methodisch nicht geeignet, den Nutzen dieser Delegationsmodelle zu belegen. Das ist den Protagonisten dieser Modelle nicht anzulasten, da sie Neuland betreten haben und Machbarkeitsstudien der erste Schritt sind. Aber wieso nur AGnES gesetzeskonform sein soll, lässt sich zumindest aus wissenschaftlich methodischer Sicht nicht nachvollziehen.

In dem Artikel wird Delegation als Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Nichtärzte unter Beibehaltung der ärztlichen Gesamtverantwortung und Leitung definiert. Genau deswegen stößt das AGnES-Projekt bei Hausärzten, die daran nur als Studienobjekte und nicht gestaltend eingebunden waren, auf Ablehnung. Im Gegensatz dazu hat sich das von Hausätzen gemeinsam mit dem Verband der medizinischen Fachangestellten aktiv selbst entwickelte VERAH Konzept mit nach Angaben des Hausärzteverbands 9000 geschulten medizinischen Fachangestellten (MFA) flächendeckend durchgesetzt. Die AGnES war anders als die VERAH und jetzt die NäPA keine Angestellte der Praxis und meist keine MFA und damit entstand eine Grauzone bezüglich von Weisungsberechtigung, Verantwortung und Einbindung in die Praxisabläufe. Die VERAH als Teil des Praxisteams und mit einer Einsetzbarkeit jenseits von Hausbesuchen ist daher aus hausärztlicher Sicht das attraktivere Modell. Die Autoren lassen offen, unter welcher anderen rechtlichen Konstellation als der Anstellung eine Weisungsberechtigung durch den veranlassenden Arzt und damit Verantwortungs- und Haftungsübernahme überhaupt funktionieren soll. Allein aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber die Vergütung im EBM geregelt haben wollte, ergibt sich, dass die Delegation der Leistungen nur auf Angestellte der jeweiligen Praxis erfolgen kann, da anders eine Abrechnungsmöglichkeit gar nicht gegeben ist.

Dass die gegenwärtigen Rahmenbedingungen zur Delegation von ärztlichen Tätigkeiten mit der Praxisrealität an verschiedenen Stellen kollidieren und die flächendeckende Etablierung dieser Betreuungsform eher behindern, wird auch von breiten Kreisen in der Hausärzteschaft gesehen und dringender Änderungsbedarf auf Bundesebene eingefordert.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass es wenig glaubhaft erscheint, wenn die Co-Autoren des Beitrages als maßgebliche Entwickler des AGnES-Konzeptes tatsächlich keine Interessenskonflikte angeben.

Dr. med. Dieter Kreye Stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Mecklenburg-Vorpommern Interessenkonflikt: Studienarzt in der AGnES-Pilotstudie, Mitentwickler des VERAH-Konzeptes und Referent und Prüfer in der VERAH-Qualifikation

Dr. med. Burkhard John Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt und Mitglied des Vorstandes des Hausärzteverbandes Sachsen-Anhalt Interessenkonflikt: Mitentwickler des VERAH Konzeptes, KVSA hat an einer AGnES Studie mitgewirkt, in meiner Hausarztpraxis sind mehrere VERAHs tätig.

Prof. Dr. med. Jean-François Chenot, MPH Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin, Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald
jchenot@uni-greifswald.de