Zeitschrift für Palliativmedizin 2017; 18(01): 21-22
DOI: 10.1055/s-0042-122834
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Doppelkopf: Franziska Kopitzsch und Dr. Birgit Weihrauch

Franziska Kopitzsch
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Publication Date:
25 January 2017 (online)

Wie kamen Sie zu Ihrer jetzigen Tätigkeit?

Herr Prof. Hubert Knoblauch hat mich an Texte zur Thanatosoziologie herangeführt. In seinen Seminaren wurde viel über Tod, Sterben und die verschiedenen Versorgungssettings gesprochen und diskutiert. Er ermutigte mich heraus zu finden, wie die SAPV „wirkt“ und in der Praxis funktioniert. Daraufhin habe ich im Rahmen meiner Diplomarbeit bei einer SAPV-Pflegefirma hospitiert. Ich durfte bei einer SAPV-Patientin über einen längeren Zeitraum eine teilnehmende Beobachtung machen, SAPV-Patienten und viele Experten interviewen.In dieser Zeit habe ich verstanden, dass durch Soziologie in der palliativmedizinischen Forschung empirisches Wissen, Reflexionswissen zum Menschen als soziales Wesen, zur Vergesellschaftung des Patienten über Themen der Interaktion bis zu Problemen der Institutionalisierung sowie Handlungs- und Organisationswissen zur Rationalität in den vielfältigen Handlungsfeldern der Gesundheitsorganisation zum Tragen kommen.Später hat Herr Prof. Knoblauch mich dann nach Augsburg zu Herrn Prof. Werner Schneider empfohlen. Dieser suchte für seine zweite bayernweite SAPV-Studie noch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter. In der Zeit habe ich dann auch Kontakt zum DHPV und zur DGP bekommen und wurde über die Ausschreibung zur Leiterin der Charta-Geschäftsstelle informiert. Anschließend habe ich die letzten drei Jahre die Projektund Geschäftsstellenleitung für die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland übernommen.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Kriminalistin

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Ich stelle mir den Wecker viel zu früh, trinke meinen Kaffee im Bett und schaue mir die Morgennachrichten an. Anschließend jogge ich im Park und versuche mich nicht von Herrn Dr. Thomas Schindler überholen zu lassen… zum Glück läuft er neuerdings in entgegen gesetzter Richtung.

Leben bedeutet für mich?

Herr Prof. Radbruch hat in einem Doppelkopf erwähnt, dass Anästhesie aus 95 % Langeweile und 5 % blinder Panik besteht. Mein Leben ist es genau umgekehrt.

Sterben bedeutet für mich?

Als ich in Augsburg für die SAPV-Studie tätig war, haben wir alle bayerischen SAPVTeams und deren Patienten interviewt. Also auf die Frage, „was“ sterben für mich bedeutet, habe ich noch keine Antwort, aber beim „wo“ liegt Bayern ganz weit vorne…

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Bei meiner geplanten Dissertation über das Deckblatt mit meinen Namen hinaus zu kommen.

Meine bisher wichtigsten Lernerfahrungen sind...

In der SAPV-Studie haben meine Kollegin Frau Ursula Thoms und ich viele schwerstkranke und sterbende Menschen und ihre Angehörige interviewt. Diese Arbeit hat mich Demut gelehrt und gezeigt, dass „glücklich sein“ manchmal gar nicht so schwer ist. Durch diese Arbeit habe ich auch gelernt, was großartige Teamarbeit ist. Danke, Ursel!Im Rahmen des Charta-Prozesses habe ich in den letzten drei Jahren lernen können, dass der Konsens sicher hart erarbeitet ist, aber dass man auf diesen Austausch nicht verzichten kann, wenn man stetig vorankommen möchte. Es reichen bei großen Veränderungen keine schnellen Entscheidungen. Es ist wichtig, alle Teilnehmer eines Prozesses mitzunehmen, damit auch alle Entscheidungen langfristig mitgetragen werden können.

Was würden Sie gerne noch lernen?

Nervige Eigenheiten ablegen, wie zum Beispiel mich nicht immer wie Klaus Kinski aufzuregen und Standardtänze tanzen, ohne jemanden zu verletzen. Klavier spielen… ach, und Sprachen. Vor allem die Sprachen (Russisch und Spanisch), welche ich schon in der Schule als Fächer hatte und dann leider aufgrund pubertärer Verpflichtungen (rauchen, trinken und Jungs) nicht ernsthaft gelernt habe.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus Humor. Ich bin beglückt über jede Gelegenheit, die mich zum Lachen bringt. Daraus schöpfe ich viel Kraft. Darüber hinaus ist es für mich ganz persönlich ein sehr schönes Gefühl, für die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland zu arbeiten. Es ist eine Arbeit, die sehr auf Langfristigkeit angelegt ist und sicherlich vielen Praktikern auf den ersten Blick nicht effizient erscheint, weil der Mehrwert nicht erkennbar ist. Aber es ist wesentlich, dass man Politik und die Bevölkerung weiter darüber aufklärt, was Hospiz- und Palliativversorgung vermag. Die Charta ist das Werkzeug dafür, es vermag Politiker einzubinden und die Bevölkerung zu sensibilisieren hinsichtlich den Themen Sterben, Tod und Trauer. Im Eckpunktepapier zum späteren Referentenentwurf schrieben die Verfasser: „Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Hospiz- und Palliativversorgung. Hierzu bedarf es auch geeigneter Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, um Ängste zu nehmen und die vielfältigen Versorgungs-, Betreuungs- und Hilfsangebote ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. […] Parallel dazu tagen regelmäßig Arbeitsgruppen des „Runden Tisches“ der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“, der sich seit Herbst 2010 eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen, Bund und Länder sowie viele Einzelpersonen angeschlossen haben. Auf Grundlage der Diskussionen im “Forum Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland“ sowie bei der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ und unter Berücksichtigung der zahlreichen Gespräche […]. Diese Sätze waren die Begründung zum Referentenentwurf des späteren HPG. Dadurch konnte ich viel Kraft schöpfen für die weitere Arbeit – das Wissen darum, dass die Charta politisch viel bewegen kann. Und wenn mehr Menschen die Charta zeichnen und die Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Nationalen Strategie umsetzen, könnten zukünftig noch mehr Entwicklungen entstehen.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gerne einmal einen Abend verbringen?

Mit Helmut Schmidt hätte ich sooooo gern viele Mentholzigaretten geraucht und aus der Medizingeschichte fällt mir keiner ein. Aus der aktuellen Medizin kann ich nur sagen, dass es sich lohnt, beim DGP-Kongress die Abendveranstaltung zu besuchen. Da habe ich Saskia Jünger, Farina Hodiamont und Henrikje Stanze kennen gelernt. Mehr geht nicht!

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich…

… also ein bisschen unsichtbar bin ich schon wegen meiner Körpergröße. Ich bin 1,58 m klein und werde daher sehr oft angerempelt oder übersehen (aber nie überhört). Darüber hinaus bin ich mit drei Brüdern aufgewachsen, d. h. ich bin darauf konditioniert, ständig auf mich aufmerksam zu machen. Daher behagt mir der Gedanke, unsichtbar zu sein, nicht ganz so stark. Aber wenn ich so darüber nachdenke, würde ich in jeder deutschen Tageszeitung einen Artikel über die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland lancieren und darin auffordern, die Charta zu zeichnen. Zudem würde ich auf den Websiten aller Krankenhäuser das Logo installieren „Wir unterstützen die Charta“.

Wie können Sie Birgit Weihrauch beschreiben?

Das Besondere an Frau Dr.Weihrauch ist die große Souveränität und Besonnenheit, mit der sie die teilweise schwierigen Situationen im Chartaprozess gemeistert hat. Auch bei manchen schwierigen Diskussionen konnte sie die verschiedenen und mitunter gegensätzlichen Positionen der Akteure so zusammenführen, dass ein Konsens möglich wurde. Sie verfügt neben großer politischer Erfahrung über ein enormes strategisches Geschick, mit dem sie ihrem Anliegen großen Raum verschaffen kann, und weiß stets, wie sie Personen und Situationen zielführend begegnen kann. Dabei habe ich sie immer als ausgesprochen freundlich und wertschätzend erlebt, gepaart mit einem Optimismus, von dem ich mir manches Mal ein Stückchen gewünscht hätte. Schlechte Laune scheint sie nicht zu kennen oder besonders gut verbergen zu können. Ich habe sie als sehr intensiv, zielstrebig und absolut zuverlässig erlebt. Dabei war sie auch zu den unmöglichsten Zeiten für mich zu erreichen und ich hatte nie das Gefühl, sie mit einer Frage zu stören. Es gab Telefonkonferenzen mit ihr, die fanden so früh statt, dass ich nicht nur vor Müdigkeit so wenig reden konnte, sondern auch, weil ich immer wieder verblüfft war, wie schnell und geordnet sie die Sachen anging. Ich habe von ihr in den letzten drei Jahren viel lernen können. Wenn man mit ihr auf längere Zeit eng zusammen arbeitet, versäumt sie es nicht auch darüber hinaus persönlichen Kontakt zu halten. Die Charta hat uns zusammen geführt, aber auch einander näher gebracht.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Na, klar bietet es sich hier an zu schreiben, „mit einem guten Buch und einem Glas Wein“. Aber meistens sind es zwei Gläser Wein bei schlechtem Fernsehprogramm und dem Gefühl zu wenig geschafft zu haben.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt wurden?

Was kann ich für die Charta tun?Was kann ich für die Charta tun, damit der politische Druck wächst für weitere Entwicklungen und Veränderungen?Was kann ich für die Charta tun, damit sich mehr Menschen für die Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung interessieren?

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Zur Person

Franziska Kopitzsch

Studium der Soziologie mit technikwissenschaftlicher Richtung an der TU Berlin mit Schwerpunkt in Technik- und Medizinsoziologie und Psychologie. Nach Tätigkeiten im Marketing und in der Öffentlichkeitsarbeit in Berlin hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Augsburg bei Prof. Werner Schneider an der bayernweiten SAPV-Studie gearbeitet und anschließend die Geschäftsstellen- und Projektleitung der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland übernommen.