Rofo 2017; 189(05): 398-404
DOI: 10.1055/s-0042-123411
Bildessay
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ursachen und Bedeutung intramuraler und intravaskulärer Luft

Causes and Relevance of Intramural and Intravascular Air
Marius Horger
,
Reimer Riessen
,
Michael Haap
,
Bernhard Klumpp
,
Manuel Kolb
Further Information

Publication History

Publication Date:
27 April 2017 (online)

Einleitung

Intravaskuläre Luft

Intravaskuläre Luft ist kein seltener Befund. In den meisten Fällen kommt es dazu durch medizinische Fehlhandlungen im Zusammenhang mit Katheteruntersuchungen, insuffizient entlüfteten Kontrastmittelpumpen z. B. bei CT-Untersuchungen ([Abb. 1]) oder bei Zentralvenenkatheteranlagen wobei in diesen Fällen die Luft meistens intravenös liegt [Lee WJ et al. Thorax 2007; 62: 1017 – 1018]. In kleineren Mengen und vorausgesetzt da kein rechts zu links Shunt (z. B. bei offenem Foramen ovale) vorliegt, kommt es in der Regel zu keinen Komplikationen wobei die Luft in der Lunge resorbiert wird [Yeddula K et al. Int J Cardiovasc Imaging 2012; 28: 2085 – 2090]. Selten kommt es dabei jedoch auch zur Lungeninfarzierungen. Auch andere Verfahren die zunehmend im klinischen Alltag eingesetzt werden wie z. B. die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) ([Abb. 2]) führen manchmal zu intravaskulärer Luftansammlung z. B. in den Hohlvenen oder der Lebervenen [Verelst W et al. Respiratory care 2015; 60: e6 – e10]. Eine Luftembolie kann in seltenen Fällen Folge einer Lungenbiopsie sein.

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Abb. 1 Intravasale Luft (Pfeil) in der Vena anonyma, iatrogen bei Kontrastmittelgabe im CT. In geringen Mengen stellt intravasale Luft keine Bedrohung dar.
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Abb. 2 Luft-Blut-Spiegel in der linken Lebervene (Pfeil), iatrogen bei Zustand nach ECMO-Anlage bei kritischem Patienten.

Nicht iatrogene Ursachen sind ebenfalls zahlreich. Intravaskuläre Luftembolien sind z. B. bei Patienten mit COPD und Lungenkavernen verschiedenster Art berichtet worden. Dabei können größere Luftmengen in die obere Hohlvene gelangen mit oft letalen Folgen. Luft kann auch im Falle einer Caisson-Krankheit durch zu rasche Dekompression ins Gefäßlumen gelangen und dabei das Leben der Betroffenen gefährden. In seltenen Fällen kann die Luft z. B. bei Dissektion der Darmwand infolge eines intestinalen pathologischen Prozesses nach intravaskulär gelangen. Eine Luftansammlung in den Mesenterialvenen sowie der Pfortader hat in der Regel eine mesenteriale Ischämie ([Abb. 3], [4]) als Ursache und gilt deswegen als prognostisch äußerst ungünstig. Noch seltener sind intravaskuläre Infektionen z. B. sekundär einer Venenthrombose wobei gasbildende Keime Gas im Gefäßlumen entstehen lassen ([Abb. 5]). Luftembolien sind in all diesen Fällen möglich. Die CT ist die Methode der Wahl zum Nachweis intravaskulärer Luft selbst bei geringsten Mengen.

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Abb. 3 Typische Verteilung intravaskulärer Luft in Pfortaderästen der linken Leberhälfte (Pfeil). Im Gegensatz zur Aerobilie verteilt sich die Luft lagerungsabhängig.
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Abb. 4 Langstreckige intravaskuläre Luftsäulen (Pfeil) bei ausgeprägter Pneumatosis intestinalis, und sekundärer intravaskulärer Luft.
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Abb. 5 Infizierter Thrombus in der V. brachiocephalica rechts nach Entfernung eines ZVK mit sekundärer Gasbildung (Pfeil).

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Intramurale Luft

Emphysematöse Infektionen des Abdomens und Beckens werden meist in der Computertomografie, seltener im konventionellen Röntgen oder Ultraschall diagnostiziert. Für die behandelnden Ärzte sind Diagnosen, wie Pneumatosis intestinalis, deutliche Warnsignale und führen häufig zu primär chirurgischem Vorgehen. Dies macht deutlich, wie wichtig eine eindeutige Nomenklatur, Beschreibung und Wertung von Luftnachweisen außerhalb des Darmlumens ist.

Darm

Luftansammlung in der der Darmwand (Pneumatosis intestinalis, PI) wurde 1730 zum 1. Mal von DeVerni in einer Kadaverstudie beschrieben [DuVernoi J. Phys Med Abbhand Acad Wissensch in Petersb 1783; 2: 182]. Zusammen mit Luft im portalvenösen System (Portal Gas, PG) oder separat haben sie eine große und heterogene Menge an möglichen Ursachen. Die häufigste Ursache ist die mesenteriale Ischämie, wobei Patienten mit dem zusätzlichen Vorliegen von PG eine schlechtere Prognose haben [Liebman PR et al. Ann Surg 1978; 187: 281 – 287]. Zur Genese der intramuralen Luft gibt es mehrere Theorien. Eine wichtige Quelle ist das bakterielle Gas, welches auf unterschiedliche Arten in die Darmwand gelangt. Zum einen können gasbildenden Keime transmural wandern und in der Wand Gas produzieren. Falls diese Keime bis intravaskulär vordringen kann es somit auch zu PG ohne PI kommen [St Peter SD et al. Arch Surg 2003; 138: 68 – 75]. Die andere Möglichkeit ist, dass die Bakterien intraluminal Gas produziert und dieses durch Diffusion auf Grund des entstehenden Druckgradientens die Darmwand passiert ([Abb. 6], [7]) [St Peter SD et al. Arch Surg 2003; 138: 68 – 75]. Eine weitere Theorie ist, dass ein erhöhter intraluminaler Druck Gas unabhängig von der Intaktheit der Mukosa in die Darmwand drückt. Der Druckgradient selbst kann jedoch auch zu Mikrotraumata in der Mukosa führen. Gründe hierfür können iatrogen, z. B. durch Endoskopien, oder durch Passagestörungen sein. Wahrscheinlicher scheint jedoch eine Störung der Peyerschen Plaques, welche sowohl eine immunologische, als auch mechanische Barrierefunktion haben, in Kombination mit einem normalen Druckgradienten. Bisher noch kontrovers diskutierte Theorien über Patienten mit pulmonalen Erkrankungen, wie z. B. COPD, und pulmonalem Gas im Gastrointestinaltrakt haben verschiedene Ansätze. Teils wird vermutet, dass durch alveoläre Rupturen Gas intravesikal bis in das Abdomen gelangt [Keyting WS et al. Radiology 1961; 76: 733 – 741]. Eine wichtige Rolle bei diesen Patienten spielt jedoch sicherlich die Rolle der Kortison-Therapien, welche die immunologische Barriere der Mukosa stören [Khalil PN et al. Eur J Med Res 2009; 14: 231-239; Keyting WS et al. Radiology 1961; 76: 733-741; St Peter SD et al. Arch Surg 2003; 138: 68 – 75].

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Abb. 6 Milde Form der Pneumatosis coli (Coecum) bei Darmischämie (Pfeil).
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Abb. 7 Ausgeprägte Form der Pneumatosis coli (Hemicolon rechts) bei Mesenterialischämie.

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Magen

Die emphysematöse Gastritis wurde 1889 von Fraenkel erstbeschrieben und ist eine schwere und oft letale Form der phlegmonösen Gastritis mit schwersten Gastritis-typischen Beschwerden [Fraenkel E. Virchows Arch Pathol Anat 1889; 118: 526-535]. Die Erkrankten haben meist eine eingeschränkte Immunlage (z. B. durch Diabetes), jedoch liegen auch häufig Schädigungen der Mukosa, z. B. durch Säure und Alkoholabusus oder iatrogener Genese, vor. Die häufigsten Pathogene sind Candida, gefolgt von E. coli, K. pneumoniae und S. aureus [Huang CT, Liao WY. Scand J Infect Dis. 2009; 41: 317-319]. Differenzialdiagnostisch ist an das gastrale Emphysem oder gastrale Pneumatose mit weniger schwerer klinischer Beschwerdesymptomatik zu denken, in welchem Fall intraluminale Luft in die Wand gelangt. Dies geschieht entweder über eine Mukosaschädigung oder durch erhöhten intraluminalen Druck durch Passagehindernisse, wie z. B. in Kleinkindern bei Pylorusstenose [Lim RK et al. CMAJ 2010; 182: E227-E227]. Ischämien des Gastrointenstinaltraktes treffen sehr selten isoliert den Magen, da dieser über ausgedehnte Kollateralen verfügt, hier ist die Beurteilung der Arterien entscheidend. CT-morphologisch lässt sich in allen Fällen eine fokal bis ausgedehnt Perlschnur-artige Auftreibung der Magenwand sehen. Die emphysematöse Gastritis zeigt zudem eine ödematöse Verdickung der Wandstrukturen und eine begleitende Umgebungsreaktion.


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Gallenblase

Emphysematöse Cholecystits hat eine andere Genese als die akute und chronische Cholezystitis und führt häufiger in bis zu 15 % zu letalen Verläufen [Sunnapwar A et al. Indian J Radiol Imaging 2011; 21: 142-146]. Sie wird unterteilt in Gasansammlungen im Gallenblasenlumen mit Spiegelbildung (Stadium 1; [Abb. 8]), der Gallenblasenwand mit Perlschnur-artiger Auftreibung der Wand (Stadium 2; [Abb. 9]) und dem umliegenden Gewebe mit diffusen Luftkollektionen (Stadium 3) [Grayson DE et al. Radiographics 2002; 22: 543-561]. Grund hierfür ist meist eine Ischämie der Gallenblase durch Beeinträchtigung der A. cystica und sekundäre Translokation von Keimen, wie z. B. Clostridien, E. coli oder Streptokokken, oder ein Aufsteigen der Keime von einer emphysematösen Pankreatitis ausgehend. Differenzialdiagnostisch sind Leberabszesse, freie retroperitoneale Luft, enterobiliäre Fisteln oder eine insuffizienter M. sphincter Oddi zu beachten.

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Abb. 8 Stadium 1 einer emphysematösen Cholezystitis mit Luft-Flüssigkeits-Spiegel (Pfeil) innerhalb der Gallenblase.
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Abb. 9 Stadium 2 einer emphysematösen Cholezystitis mit intramuraler Luftansammlung (Pfeil) im Bereich des Fundus.

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Pankreas

Die emphysematöse Pankreatitis ist als infizierte akute nekrotische Kollektion (acute necrotic collection) einer akuten Pankreatitis nach der Revised Atlanta Classification klassifiziert [Thoeni RF. Radiology 2012; 262: 751-764]. In der Computertomografie zeigen sich diffuse bis hin zu raumfordernden Luftkollektionen im Pankreasbett ([Abb. 10]) mit ausgeprägten Umgebungsreaktionen, wobei das Pankreasparenchym teils nicht mehr abgrenzbar ist. Die betroffenen Patienten haben meist eine eingeschränkte Immunlage, z. B. durch Diabetes oder bei systemischer Sklerose. Typische nachweisbare Keime sind E. coli, aber auch K. pneumophila, Enterococcen und seltener Clostridium perfringens über hämatologische und lymphatische Streuung, gastro- oder kolopankreatische Fisteln, transmurale Passage oder bei inkompetenter Ampulla vateri [Nadkarni N et al. Indian J Gastroenterol. 2013; 32: 242-245; Wig JD et al. JOP 2008; 9: 160-166].

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Abb. 10A, B Emphysematöse Pankreatitis axial und koronar. Die Luft befindet sich typischerweise retroperitoneal und weißt die lobulierte Organbegrenzung des Pankreas nach.

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Harnblase

Die emphysematöse Cystits ist eine seltene und schwerwiegende Komplikation einer akuten komplizierten Harnwegsentzündung mit einer Letalität von bis zu 13 % [Amano M, Shimizu T. Intern Med 2014; 53: 79-82]. Die Patienten zeigen nur unspezifische Symptome, so dass die radiologische Diagnostik entscheidend ist. Zur Beurteilung ist die Unterteilung in intraluminale, welche sich mit Spiegelbildung innerhalb der Harnblase zeigt, und intramurale Luft wichtig, welche sich durch eine Perlschnur-artige Auftreibung der Harnblasenwand zeigt [Thomas AA et al. BJU international 2007; 100: 17-20]. Typische Keime sind E. coli, E. aerogens, Clostridien oder Pilze [Grayson DE et al. Radiographics 2002; 22: 543-561; Sunnapwar A et al. Indian J Radiol Imaging 2011; 21: 142-146; Lim RK et al. CMAJ 2010; 182: E227-E227]. Suffiziente klinische Angaben sind zur Unterscheidung von iatrogen verursachten Lufteinschlüssen, z. B. durch Dissektion der Harnblasenwand durch Dauer-Katheteranlage, oder Lufttransport via rectovesicaler und vaginovesicaler Fisteln wichtig ([Abb. 11], [12]). Die Beurteilung von möglichen Fisteln erleichtern sagittale Weichteilrekontruktionen der Becken-CTs oder Wiederholungen der Bildgebung mit rektaler bzw. vaginaler Kontrastmittelfüllung. Luft im Nierebenbeckenkelchsystem wird oft sekundär nach Ureterschienung oder externer Ableitung (Nephrostomie) beobachtet und sollte nicht automatisch mit einem Infekt verwechselt werden wobei diese Interventionen häufig damit behaftet sind.

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Abb. 11 Intrakavitäre und intramurale Luftansammlung bei emphysematöser Zystitis.
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Abb. 12AC Koronare CT-Rekonstruktionen A, B und konventionelle Übersichtsaufnahme C bei emphysematöser Zystitis und Pyelitis. Letztere sekundär nach Doppel-J-Anlage.

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