neuroreha 2017; 09(01): 7
DOI: 10.1055/s-0043-101204
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einsatz non-immersiver virtueller Realität zur Verbesserung der oberen Extremität von Patienten nach Schlaganfall

Jan Mehrholz
1   Private Europäische Medizinische Akademie der Klinik Bavaria in Kreischa GmbH, An der Wolfsschlucht 1–2; 01731 Kreischa
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Publication History

Publication Date:
13 March 2017 (online)

Zusammenfassung der Studie

Ziele

Ziel der Studie war es, die Sicherheit und die Effekte einer sog. nicht immersiven virtuellen Realität (also ohne allzu tief in die virtuelle Umgebung einzutauchen) auf die motorische Erholung von Patienten nach akutem Schlaganfall zu evaluieren.


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Methodik

Design Randomisierte kontrollierte Studie.

Ein- und Ausschlusskriterien Eingeschlossen wurden Patienten nach erstem akutem ischämischem Schlaganfall mit einem motorischen Defizit der oberen Extremität von mindestens drei Punkten auf der Chedoke-McMaster Scale. Die Patienten wurden aus 14 stationären Rehabilitationskliniken aus Kanada, Argentinien, Peru und Thailand rekrutiert. Die Patienten durften keine schweren Einschränkungen der oberen Extremität haben (z. B. auf der Chedoke-McMaster Scale = 7 Punkte). Die Patienten sollten verbalen Aufforderungen folgen können und medizinisch stabil sein. Patienten mit palliativer Zielstellung, instabiler Angina pectoris, Herzinfarkten oder Krampfanfällen in den letzten drei Monaten wurden nicht eingeschlossen.

Interventionen Die eingeschlossenen Patienten wurden mittels computergenerierter Zufallssequenz in eine von zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt Übungen in einer virtuellen Realität (VR) mittels Nintendo Wii Spielsystem (VRWii), die andere Gruppe erhielt im gleichen Umfang eine Art Beschäftigungstherapie. Für die VRWii wurden kommerziell erhältliche Spiele genutzt, z. B. Wii Sports und Game Party 3. So wurde Tennis, Ping Cup, Darts und Bocce Ball mit einem Gamecontroller in der betroffenen Hand gespielt. Eine Steigerung der Übung wurde, nach Angaben der Autoren, anhand der Möglichkeiten der Patienten und deren Interessen vorgenommen. Die Kontrollgruppe erhielt Freizeitbeschäftigungen mit ähnlicher Intensität und Komplexität wie in der VRWii-Gruppe. Geübte Aktivitäten in der Kontrollgruppe waren z. B. Kartenspielen, Bingo und Jenga oder einfache Ballspiele. Das Studienprogramm umfasste insgesamt zehn 60-minütige Therapiesitzungen und dauerte zwei Wochen.

Messungen Gemessen wurde zu Beginn, nach zwei und nach vier Wochen. Primärer Messparameter war die motorische Funktion nach zwei Wochen, die mit der Bewegungszeit in einer gekürzten Version des Wolf Motor Function Test (WMFT) gemessen wurde. Die sechs Aufgaben der Kurzversion des WMFT beinhalteten Handablegen auf den Tisch, mit der Hand auf eine Box greifen und heranführen, eine Kanne und einen Bleistift anheben sowie ein Handtuch zusammenfalten. Außerdem wurden die Griffkraft und das Umdrehen von Karten gemessen.

Sekundäre Endpunkte beinhalteten nach zwei Wochen Intervention grobe Geschicklichkeit, gemessen mit dem Box and Block Test (BBT), Lebensqualität nach Schlaganfall und Handfunktion, beides gemessen mit der Stroke Impact Scale (SIS). Ebenfalls wurden Alltagsaktivitäten mit dem Functional Independence Measure (FIM) und dem Barthel-Index gemessen und die Modified Rankin Scale genutzt; die Griffkraft wurde mit einem Dynamometer gemessen. Skalen zum bimanuellen Einsatz der Hände wurden dagegen nicht genutzt. In einem der Zentren in Toronto wurden darüber hinaus kinematische Bewegungsanalysen mit der Reaching Performance Scale (RPS) durchgeführt. Nebenwirkungen wurden ebenfalls aufgelistet und das Anstrengungsempfinden und die Erschöpfung im Anschluss an jede Therapie mittels der Borg-Skala erhoben.


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Ergebnisse

Insgesamt wurden 141 Patienten, 71 in die VRWii-Gruppe und 70 in die Kontrollgruppe, in die Studie eingeschlossen. Zu Beginn waren prognostisch wichtige Variablen in beiden Gruppen in etwa gleich verteilt bzw. gleichmäßig ausgeprägt.

Die Patienten verbesserten sich in allen Messungen im Vorher-nachher-Vergleich. Hinsichtlich des primären abhängigen Parameters Zeit im WMFT und auch hinsichtlich aller anderen sekundären abhängigen Parameter gab es jedoch keine Gruppenunterschiede.

Lediglich in einem Parameter, der Anzahl an Klötzchen im BBT, gab es nach zwei Wochen ein signifikantes Ergebnis zugunsten der VRWii-Gruppe (knapp 31 Klötzchen versus 27 Klötzchen), das jedoch in der Nachbeobachtung keinen Bestand hatte.

In einer Gruppenanalyse zeigten sich keine eindeutigen Hinweise auf Patienten, die besonders von einer der beiden angebotenen Therapien profitierten. In der VRWii-Gruppe beendeten vier Patienten vorzeitig das Training. In der Kontrollgruppe schlossen alle Patienten die zehn Therapiesitzungen ab.


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Schlussfolgerung

Die Autoren schlussfolgern, dass kein zusätzlicher Effekt durch die Nutzung kommerziell erhältlicher VR in dieser Studie nachweisbar war. Sie schlussfolgern ebenfalls, dass die Art der Übung weniger relevant ist, solange die Intensität und die Aufgabenspezifität beim Üben der oberen Extremität nach Schlaganfall hoch (genug) sind.


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  • Saposnik G, Cohen LG, Mamdani Mamdani. et al. Stroke Outcomes Research Canada. Efficacy and safety of non-immersive virtual reality exercising in stroke rehabilitation (EVREST): A randomised, multicentre, single-blind, controlled trial. Lancet Neurol 2016; 15 (10) 1019-1027