Diabetes aktuell 2017; 15(01): 14
DOI: 10.1055/s-0043-103051
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Urogenitale Komplikationen bei Diabetes mellitus – zu selten im Blick?

Johannes Kutzenberger
1   Bad Zwesten
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08 March 2017 (online)

Folgeerkrankungen, die durch die begleitende Mikro- und Makroangiopathie hervorgerufen werden - angefangen von kardiovaskulären Komplikationen bis hin zur diabetischen Gastroparese - sind bei vielen im Fokus. Aber auch im Bereich des Urogenitaltraktes kann eine Reihe von Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus auftreten. Trotz ihrer Prävalenz von bis zu 50–80 % [1] [3] bleibt jedoch zum Beispiel die diabetische Zystopathie, besser die diabetische neurogene Blasenfunktionsstörung, häufig unerkannt.

Diabetiker haben darüber hinaus per se ein erhöhtes Infektionsrisiko, insbesondere aber ein erhöhtes Risiko für Harnwegsinfektionen. Bleibt eine diabetische neurogene Blasenfunktionsstörung unbemerkt, sind gehäuft auftretende Harnwegsinfektionen nicht selten das hinweisende Symptom auf die beeinträchtigte Blasenfunktion. Die Diagnostik und Therapie der Harnwegsinfektionen ist eingedenk der sich rasant entwickelnden grampositiven, ganz besonders aber auch der gramnegativen multiresistenten Keime zu einer Herausforderung für alle beteiligten Fachdisziplinen geworden.

Zu wenig im Fokus sind auch andere wichtige Probleme, wie die diabetische Vasopathie und Neuropathie, die zu Störungen des Sexuallebens der Erkrankten beitragen. Die Grundbedürfnisse zu Nähe und Geborgenheit, die in ein erfülltes Sexualleben einmünden, bleiben bestehen, werden aber von der krankheitsbedingten Disziplinierung in der Lebensführung begleitet. Die Erlebnisfähigkeit kann bei Mann und Frau in unterschiedlicher Weise beeinträchtigt sein.

Für den Mann steht vielfach die erektile Dysfunktion im Vordergrund. Pathophysiologische Zusammenhänge sind gut erforscht, wenn auch noch nicht vollständig verstanden. Gegenstand der Forschung ist unter anderem die Dysregulation der RhoA-ROCK-Signalgebung (ROCK = „Rho-associated protein kinase") [4]. Bei Frauen ist die Forschung weniger fortgeschritten [5]. Erst in jüngster Zeit beginnt man diese bezüglich der Störungsmöglichkeiten zu intensivieren. Polyneuropathiebedingte Sensibilitätsstörungen, Beeinträchtigungen der Lubrikation und Dyspareunie sowie eine Störung der Orgasmusfähigkeit können das Sexualleben von Diabetikerinnen beeinträchtigen. Aber auch allein durch das Bestehen der diabetischen Erkrankung und die psychische Belastung kann das Sexualleben beeinflusst werden (z. B. Verlust der sexuellen Appetenz) [5].

Die Autoren dieser Ausgabe der Diabetes aktuell stellen in ihren Schwerpunktbeiträgen Aspekte zu urologischen Komplikationen des Diabetes mellitus zusammen. Ziel ist es, Hinweise zu geben, wann und wie der Urologe für die Diagnostik und Therapie zu Rate gezogen werden könnte bzw. sollte und welche Fragestellungen der Hausarzt mit einfachen Mitteln selbst angehen kann - bei einer bestehenden diabetischen neurogenen Blasenfunktionsstörung, beim Umgang mit (bakteriellen) Harnwegsinfektionen und beim prä- und perioperativen Management bei urologischen Operationen.

 
  • Literatur

  • 1 Goldman HB, Appel RA. Diabetic bladder dysfunction. In: Appell RA. Voiding dysfunction: diagnosis and treatment (1. Auflage). Totwa, New Jersey: Humana Press Inc.; 2000. S. 139-147
  • 2 Daneshgari F, Liu G, Birder L et al Diabetic bladder dysfunction: current translational knowledge. J Urol 2009; 182: S18-S26
  • 3 Wiedemann A, Füsgen I. Der Diabetiker in der urologischen Praxis - eine besondere Risikogruppe für LUTS? Ergebnisse der Wittener Diabeteserhebung an 4071 Typ-2-Diabetikern. Urologe 2010; 49: 238-244
  • 4 Sopko NA, Hannan JL, Bivalacqua TJ. Understanding and targeting the Rho kinase pathway in erectile dysfunction. Nat Rev 2014; 11: 622-628
  • 5 Krankheits- und behandlungsbedingte Sexualstörungen. In: Beier KM, Bosisnki H, Lowit K. et al Sexualmedizin (2. Auflage). München, Jena: Elsevier, Urban & Fischer; 2005. S. 549-642