ergopraxis 2017; 10(06): 51
DOI: 10.1055/s-0043-103388
Rezensionen
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Autismus – An der Zielgruppe vorbei

Contributor(s):
Marlies Hübner

Subject Editor:
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Publication History

Publication Date:
09 June 2017 (online)

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Ausmalbücher für Erwachsene unterschiedlichster Art sind schon länger auf dem Markt. „Das Ausmalbuch für Autisten“ greift den Trend auf und bietet auf 80 Seiten kleinteilige, detailreiche Vorlagen zum Kolorieren. Der Autor, Peter Myers, ist ein ehemaliger Maschinen- und Modellbauer und selber Autist.

Das Buch verspricht dem Anwender, durch das Ausmalen Fokussierung und Gelassenheit zu finden. Das Konzept orientiert sich am „Stimming“, einer autistischen Verhaltensweise, bei der repetitive Bewegungen wie Händeflattern und Wippen, Entspannung und Konzentration bringen. Autisten zeigen aber oft geringe Frustrationstoleranz und motorische Schwierigkeiten, was das Buch für sie wenig geeignet erscheinen lässt. Die Fixierung auf Mustererkennung und Detailverliebtheit empfinde ich als kategorisierend. Der Untertitel „Für Autisten“ ist deshalb eine unnötige Separation und nicht im Sinne der Inklusion. Er lässt den Verdacht der besseren Vermarktbarkeit aufkommen. Bedauerlich ist auch, dass im Vorwort wiederholt vom „Asperger-Syndrom“ gesprochen wird und dass die Bezeichnung „hochfunktional“ auftaucht. Viele Autisten und Fachärzte weltweit lehnen beide Begriffe ab, da sie werten. Heute spricht man vom Autismusspektrum, in dem sich alle Autisten verschiedener Auffälligkeiten wiederfinden.

Menschen mit Autismus sollten ermutigt werden, sich mit allem zu beschäftigen, was sie interessiert. Speziell auf sie ausgerichtete Produkte arbeiten leider gegen diesen empowernden Schritt, sodass sie für diese Zielgruppe unnötig sind.

Marlies Hübner, Autistin, Buchautorin und Aktivistin in der autistischen Selbstvertretung aus Wien