Hebamme 2017; 30(05): 306-307
DOI: 10.1055/s-0043-108888
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2017

Menschenrechte in der Geburtshilfe

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Publication Date:
15 November 2017 (online)

Fragt man Menschen in Deutschland, ob sie die Einhaltung der Menschenrechte und einen gewaltfreien Umgang miteinander für wesentlich halten, so werden die meisten wohl mit Ja antworten. Umso irritierender ist, dass Frauen gerade in der sensiblen Zeit von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett häufig Gewalterfahrungen und Verletzungen ihrer Integrität beklagen. Diese beeinträchtigen nachfolgend weite Bereiche ihres Lebens. Sie verändern das Verhältnis zum eigenen Körper, den Umgang mit Partner und Kindern, die Einstellung gegenüber der weiteren Familienplanung und das künftige Erleben von Sexualität. Auf dem diesjährigen Internationalen Hebammenkongress in Toronto wurde das Thema „Human Rights in Childbirth“ in vielen Vorträgen thematisiert.

In den nachfolgenden Artikeln dieser Ausgabe finden Sie dazu eindringliche Zitate von betroffenen Müttern, aber auch von Kolleginnen. So hat Christina Mundlos mit Frauen gesprochen, die ihre Geburt als Vergewaltigung erlebt haben (Seite 312). Anna Domanig zitiert angehende Hebammen, die mit ansehen mussten, wie Gebärende ignoriert und wie mit schmerzhaften Untersuchungen einfach fortgefahren wurde (Seite 320). Und im Schwerpunkt haben Christina Karin Enz und Nora Katja Rutishauser wissenschaftlich aufbereitet, welche körperlichen und psychischen Folgen Erfahrungen wie diese für das weitere Leben der Frauen haben können (Seite 364).

Die Kernfrage lautet: Wie können wir die Rechte der Frau, ihre Würde, Präferenzen und Selbstbestimmung in Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit wahren? Für mich als Hebamme gehört dazu auch ein reflektierter Umgang mit jeder Art von Berührung im professionellen Kontext. Als Hebammen können wir mit unserer Betreuung beeinflussen, ob sich Frauen in ihrer Selbstwahrnehmung und Selbstbestimmung gestärkt fühlen oder ob sie ihre Grenzen verletzt sehen und sie die Geburt als traumatisches Erlebnis erfahren. Einige Vorschläge für das Gelingen von professioneller Berührung, Nähe und Distanz in der Hebammenarbeit mache ich in meinem Schwerpunktbeitrag (Seite 356).

Doch klar ist auch: Grenzverletzungen in der Geburtshilfe dürfen keinesfalls allein auf die individuelle Ebene der Hebamme projiziert werden. Um Gewalt und übergriffiges Verhalten in der Geburtshilfe zu verhindern, bedarf es einer Analyse und Veränderung der Strukturen, in denen Geburtshilfe heute stattfindet. Gerne bleiben wir dazu mit Ihnen im Dialog.

Lassen Sie mich schließen mit Kate Gilmore, UN-Menschenrechtsbeauftragte, die beim Kongress in Toronto einen Vortrag hielt und sagte:

„Stand up for rights! Use our rights to defend their rights. Be midwives who provide dignified access to care, regardless of a patient’s identity or social status (…).“

Fordern Sie Hebammen auf, die eigenen Rechte zu nutzen, um die Rechte der Frauen zu verteidigen! Seien Sie Hebammen, die einen menschenwürdigen Zugang zur Betreuung bieten, unabhängig von der Identität einer Klientin oder ihrem sozialen Status.

Falls Sie mehr von Kate Gilmore zu dem Thema von Hebammenarbeit und Menschenrechten lesen wollen, finden Sie ihre inspirierende Rede auf der Internetseite der Vereinten Nationen zu Menschenrechten [1].

Ute Lange

[1] http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=21788&LangID=E