Z Gastroenterol 2017; 55(06): 596-597
DOI: 10.1055/s-0043-111185
Mitteilungen der DGVS
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Weißbuch Gastroenterologische Erkrankungen 2017

Gegenwart und Zukunft der Versorgung von Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, der Leber und der Bauchspeicheldrüse in Deutschland
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Publication Date:
07 June 2017 (online)

Wie gut ist die Versorgung gastroenterologischer Erkrankungen? Wohin entwickelt sich das Fach? Ist die Gastroenterologie auf die Zukunft vorbereitet? Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen, welche Fragen beantwortet werden, um auch zukünftig eine optimale und ökonomische Versorgung sicherzustellen? Diese und viele weitere relevante Fragen standen am Anfang der Initiative ein Weißbuch zu schreiben, um eine Basis für die Entscheidungsfindung in den verschiedenen ärztlichen und politischen Bereichen zu schaffen.

Die nichtmalignen Erkrankungen der Verdauungsorgane sind nach den Herz-Kreislaufstörungen die mit Abstand häufigsten Krankheiten der Deutschen. Auch die bösartigen Erkrankungen von Magen-Darm-Trakt, Leber und Pankreas sind deutlich häufiger als der Lungenkrebs, der Brustkrebs der Frau oder die hämatoonkologischen Malignome des Blutes und der Lymphdrüsen.

Jährlich werden rund 2 Millionen Menschen mit Krankheiten der Verdauungsorgane im Krankenhaus behandelt. Mehr als 37 000 Menschen sterben jährlich an den Krankheiten daran.

Diese Zahlen und damit die medizinische, wissenschaftliche und epidemiologische Bedeutung des Faches werden aber in ihrer Gesamtheit von der Gesundheitspolitik nicht ausreichend wahrgenommen. Ein Grund mag sein, dass die Gastroenterologie im Gegensatz zu vielen anderen Fächern eine Vielzahl von Erkrankungen an verschiedenen Organen zu versorgen hat.

Bösartige Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, der Leber und des Pankreas führen in deutschen Krankenhäusern zu 320 000 Behandlungsfällen mit 3,3 Millionen Behandlungstagen und fordern 24 000 Todesfälle.

Das Weißbuch soll die weitreichenden Aufgaben und Tätigkeitsfelder der Gastroenterologie sichtbar machen. Ziel ist eine Bestandsaufnahme der gastroenterologischen Versorgung, der Forschung und der Situation in Aus- und Weiterbildung. Es verschafft einen Überblick über die wichtigsten versorgungsrelevanten gastroenterologischen Erkrankungen. Mit der Unterstützung des Center for Health Economics Research Hannover (CHERH) werden deren Kosten und Folgekosten dargestellt. Jedes Kapitel enthält einen Unterpunkt offene Fragen, die wichtige Versorgungslücken und den Forschungsbedarf aufzeigen sollen.

Die direkten Kosten der Behandlung von Krankheiten der Verdauungsorgane belaufen sich auf 34,8 Milliarden Euro.

Das Weißbuch illustriert deutlich, dass die Zahl der zu versorgenden Patienten in Praxis und Krankenhaus steigt und auch in Zukunft kontinuierlich steigen wird. Im Zeitraum 2012 bis 2014 hat allein die Zahl der nicht-malignen Behandlungsfälle um ca. 5 % zugenommen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass zwischen 1996 und 2011 die Zahl der gastroenterologischen Fachabteilungen an deutschen Krankenhäusern um 70 % und die Zahl der stationär tätigen Gastroenterologen um 130 % gestiegen ist. Die Zahl der Krankenhäuser insgesamt nahm dagegen im gleichen Zeitraum um 10 % ab. Bis zum Jahr 2032 wird die Zahl der Patienten insgesamt durch demografische Faktoren voraussichtlich um 9 % steigen, die der gastroenterologischen Fälle dagegen um 22 %. Entsprechend hoch sind auch die direkten und indirekten Kosten. Hinzu kommt, dass die chronischen gastroenterologischen Erkrankungen nicht nur mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität belastet sind – alleine diese Erkrankungen verursachen eine halbe Million Krankenhausbehandlungen jährlich –, sie steigern darüber hinaus das Risiko der Karzinomentstehung. Somit muss von einem Mehrbedarf an Gastroenterologen sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich mit Sicherheit ausgegangen werden.

"Die Erkrankungen der Verdauungsorgane sind die vergessenen Volkskrankheiten."

Warum die Krankheiten der Verdauungsorgane bisher weder von der Laienöffentlichkeit noch von der Forschungs- oder Gesundheitspolitik als Volkskrankheiten angesehen werden, ist in Anbetracht dieser Zahlen kaum nachvollziehbar.

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Absolute Fallzahlen stationärer Behandlungsfälle 2015 (Eigene Darstellung in Anlehnung an das statistische Bundesamt)

Die Gastroenterologie ist mit Hochschulprofessuren an allen 36 staatlichen Universitäten mit einer medizinischen Fakultät in Deutschland vertreten. Das Weißbuch demonstriert auch die exzellente Forschungsleistung der Gastroenterologie an eindeutigen Zahlen: Gemessen am seit 1996 erfassten h-index steht die deutsche Gastroenterologie auf Platz 3, bei einzelnen Erkrankungen, wie z. B. der Hepatitis und der Pankreatitis liegt sie bei der Anzahl der Publikationen und den Zitierungen sogar auf Platz zwei hinter den USA. Auch die Daten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zeigen, dass die Gastroenterologie bei der Zahl der positiv entschiedenen Einzelförderungsanträge aber auch bei den koordinierten Projekten (Forschergruppen, Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereiche und Schwerpunktprogramme) und den klinischen Studien weit vorne liegen.

Die Gastroenterologie gehört international als auch in Deutschland zu den aktivsten medizinischen Wissenschaftsgebieten mit hoher Translationsrate.

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DFG-Bewilligungsquote klinischer Studien 2013 – 2014

Angesicht des wissenschaftlichen Profils der Gastroenterologie und ihrer großen Bedeutung in der Krankenversorgung soll das Weißbuch ein Plädoyer für eine Förderung durch koordinierte Projekte der Wissenschaftsförderung des Bundes (z. B. Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung oder Integrierte Forschungs- und Behandlungszentren) sein.

Das von der DGVS für ihre 5500 Mitglieder veröffentlichte Weißbuch schafft eine validierte Zahlengrundlage, auf deren Basis Diskussionen über die Gegenwart und Zukunft der Versorgung der Volkskrankheiten der Verdauungsorgane in Deutschland geführt werden können. Unter dem Titel „Wie versorgen wir Erkrankungen der Verdauungsorgane heute und in der Zukunft?“ wurde das Weißbuch bereits auf der Jahrespressekonferenz der DGVS vorgestellt und mit großem Interesse aufgenommen. Besonderer Dank gilt allen Autoren, die an der Realisierung dieses Buches mitgewirkt haben.

Die Herausgeber

Markus M. Lerch

Frank Lammert

Das Buch ist unter der ISBN 978 – 3-933 059 -59- 8 im Frischtexteverlag erschienen und steht als E-Book auf der Homepage der DGVS zur Verfügung.