Zeitschrift für Phytotherapie 2017; 38(05): 231-232
DOI: 10.1055/s-0043-121309
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

ZPT - Buchtipp

Bernhard Uehleke Dr.
1   Berlin
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Publication Date:
04 December 2017 (online)

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Für einen akademischen Naturheilkundler ist die erste Biographie eines Nachkriegsvertreters der 1. Generation quasi Pflichtlektüre. Der Titel mag natürlich Neugier auch weniger involvierter Leser wecken und steht in gewissem Kontrast zu der auf der Rückseite kurz angerissenen Vita von E. E. Intrigen sind demnach die Differenzen zwischen ihm als nach Wahrheit in der Medizin suchenden und den Enthusiasten bezüglich der alternativen Medizin und den entsprechenden Pseudowissenschaften. Nazis und Nadeln passen wohl gut phonetisch zusammen, wir kennen aber Ernst eigentlich weniger als Spezialisten der Akupunktur noch als Medizinhistoriker. Der Bezug zu Nazis muss im Buch gesucht werden. Der Originaltitel lautet „A Scientist in Wonderland. A Memoir of Searching for Truth and Finding Trouble“.

Die 216 Seiten umfassende Biografie beginnt mit Erinnerungen aus seiner Jugend im Nachkriegsdeutschland. In seinem persönlichen Umfeld einer Ärztefamilie findet man aber kaum mehr Bezüge zu Nazi-Persönlichkeiten als in anderen Akademikerfamilien. Als Kind wird er von der Trennung seiner Eltern getroffen, er muss aufs Internat und er beschreibt recht freimütig seinen Hang zu Kritik und Protest gegen manche vermeintliche Bevormundung und seine geringe Lust, sich Autoritäten unterzuordnen oder anzupassen. Eigentlich sucht er deshalb den Ausstieg als Jazz-Musiker, aber er kann dieses durchaus mit einem Medizinstudium verbinden. Eher zufällig landet er nach dem Studium zunächst für sehr kurze Zeit in der Klinik für Naturheilweisen in München-Harlaching und dann im krassen Gegensatz dazu in einer auf angiologische Forschung ausgerichteten Position in England. Er wechselt aus privaten und beruflichen Gründen mehrfach hin und her – als Grenzgänger zwischen England und Deutschland sowie zwischen dem damals wissenschaftsmethodisch noch hinterherhinkenden Fach Physikalische Medizin und der modernen Angiologie. In der Abteilung für Physikalische Medizin der LMU München konnte er sich mit etlichen Studien hauptsächlich über angiologische Thematik habilitieren. Dabei führt er auch erste Studien über Knoblauch durch. Aus dieser „Schule“ entwickelten sich etliche akademische Vertreter – E. E. geht allerdings weder auf diese Schule noch deren Entwicklung ein.

Seine weitere Karriere in der Physikalischen Medizin führte ihn zunächst als Leiter der Abteilung für Physikalische Medizin an die Medizinische Hochschule Hannover, von wo er nach kurzer Zeit als Chef einer viel größeren Abteilung nach Wien an das riesige Allgemeine Krankenhaus wechselte. Die österreichischen Kollegen beschreibt er als außerordentlich intrigenträchtig und er gräbt in der dortigen Medizingeschichte die wenig glorreiche Haltung der Fakultät während und nach der Nazi-Zeit aus, was er aber erst publiziert, nachdem er seine Stiftungs-Professur für Alternativmedizin in Exeter angetreten hatte. Ernst war somit inhaltlich – von ihm anders gesehen – einer von drei Lehrstuhlinhabern auf dem Gebiet der Naturheilkunde bzw. Alternativmedizin, zumindest wenn man die beiden ohnehin nur ungenau definierten Gebiete zusammenfasst. Zwei der drei Lehrstühle waren Stiftungs-Lehrstühle, der in Exeter am offensten von Anhängern gesponsert. Allen drei Lehrstuhlinhabern gemeinsam war ihr Hintergrund als Physikalische Mediziner, d. h. mit Phytotherapie hatten sie zunächst weniger Erfahrung; Physikalische Medizin überlappt ja in großem Umfang mit Naturheilverfahren mit Ausnahme der Phytotherapie.

Allerdings entwickelte sich die Situation in Exeter dann so, dass keinerlei Patientenversorgung möglich war – somit auch keine eigene klinische Forschung. Ernst beteiligte sich aber an mindestens einer großen Multi-Center-Studie über „Geistheilung“, sicherlich nicht sein favorisiertes Thema. Danach wendete er sich der Bewertung von bereits vorliegenden Studien zu und erstellte entsprechende Reviews, die meisten zunächst nicht einmal quantitativ – dazu fehlte ihm das statistische Know-how. Die meisten dieser Reviews hätte man sich sparen können, da schon beim Lesen der Abstrakts von nicht einmal einer Handvoll kontrollierter Studien klar sein musste, dass diese als kleine Pilotstudien mit diversen Mängeln niemals zu einem eindeutigen Nachweis der klinischen Evidenz führen konnten. Komplexer war die Situation bei Beurteilungen ganzer Therapiesysteme wie der Homöopathie, und hier zeigte Ernst Rückgrat bezüglich seiner Meinung, dass für diese kein wirklicher klinischer Wirksamkeitsnachweis vorliege. Entsprechende Auseinandersetzungen mit den „fundamentalistischen, aggressiven“ Anhängern wie beispielsweise Prinz Charles füllen denn auch fast die gesamte zweite Hälfte seines Buches. Mit der Aussetzung eines Preises für den Wirksamkeitsnachweis der Homöopathie dürfte E. E. seine Gegner schön geärgert haben – tatsächlich konnte das Preisgeld bis jetzt noch nicht beansprucht werden.

Im Abschlusskapitel „Coda“ kommt Ernst endlich auf den seiner Meinung nach engen Zusammenhang zwischen den Ansätzen der Nazi-Medizin und der „integrativen Medizin“. Wenngleich gewisse Parallelen in den politischen Wünschen durchaus auch anderen aufgefallen sind, sind diese für die internationalen Entwicklungen doch recht belanglos und bieten Anlass für nebensächliche Auseinandersetzungen. Gegen Begriff und Vorstellung einer „integrativen Medizin“ sprechen eine Reihe wichtigerer Argumente, diese werden leider nicht gebracht und für Begriff und Konzept gibt es – zumindest oberflächlich betrachtet – doch ganz gut erscheinende Begründungen, die man auch nicht komplett ignorieren sollte.

Im Addendum gibt er eine zusammenfassende Bewertung einzelner komplementärmedizinischer Methoden. Zur „Pflanzenheilkunde“ heißt es dort:

„Die Pflanzenheilkunde gehört zu den alternativen Behandlungsweisen mit der bei weitem besten Evidenz. Viele Pflanzenextrakte enthalten pharmakologisch wirksame Inhaltsstoffe, die ganz offensichtliche Auswirkungen auf den Gesundheitszustand haben – positive wie auch negative. Das bedeutet, dass manche Pflanzenpräparate bei manchen Erkrankungen wirksam sind – die Frage ist nur, welche? Ohne eine Instanz zur Überwachung und Durchsetzung von Standards in Bezug auf Reinheit, Konzentration und Grenzwerte können pflanzliche Heilmittel durchaus Schaden anrichten. Weil es tausende verschiedener Heilpflanzen gibt, ist es unmöglich, ein generelles Urteil über den Wert von pflanzlichen Präparaten zu fällen. Es ist daher ratsam, vorsichtig zu sein. Grundsätzlich ist es zu empfehlen, sich auf stichhaltige Beweise zu verlassen, die entweder von einem verantwortungsvollen, qualifizierten Therapeuten mit einem profunden Wissen über Drogenkunde oder aus einem fachlich gut recherchierten, wissenschaftlich korrekten Text stammen.“

Na – wer hätte diese verhältnismäßig freundliche Beurteilung erwartet? Aber immerhin wurde ja auch sein Lehrstuhl von deutschen Pharmafirmen finanziell unterstützt. Und eigentlich gibt es doch Überwachungs- und Zulassungsbehörden für pflanzliche Heilmittel – zumindest in Deutschland?

Die geschraubte Sprache des Buches lässt die Übersetzung aus dem Englischen durchscheinen, die egozentrische und wenig hinterfragende, damit oft einseitige Sicht der Dinge entspricht vielen anderen Autobiographien. Ich vermisse auch, dass Freunde, Chefs, Kollegen und Mitarbeiter überhaupt nicht nähergebracht werden, dabei waren darunter mir bekannte hochinteressante „Typen“. Aber vielleicht ist genau dies Ausdruck seiner Persönlichkeit, die sich im Umgang mit Menschen schwerer tut und stattdessen auf eine vermeintliche Realität und selbstbestimmte Wahrheit fokussiert – völlig außer Acht lassend, dass andere Menschen auch andere Sichtweisen und Meinungen haben können, auch und gerade in der Wissenschaft. Solange aber keine weiteren Biographien verfügbar sind, wird später der Historiker auf diese Autobiographie zurückgreifen und hoffentlich deren Unvollständigkeit erkennen. Sonst würde ich sagen: Lieber Edzard Ernst, investiere doch noch mehr Zeit und ergänze und erweitere Deine Biographie, reflektiere manche Darstellungen und Standpunkte! Im Alter soll man ja wirklich weiser (und milder) werden … (Sollte ich jemals eine Biographie zustande bringen, so werde ich jedenfalls Deiner Person wie den anderen interessanten Vertretern unseres Fachgebiets viel Raum einräumen.)