Z Gastroenterol 2018; 56(01): 79-80
DOI: 10.1055/s-0043-124856
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Editorial - Was kommt in der Gesundheitspolitik auf uns zu?

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Publication Date:
09 January 2018 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

während ich diesen Artikel schreibe, ist alles noch offen. Sondierungsgespräche zwischen der Union und FDP (und Grünen) sind gescheitert. Eine liberale Gesundheitspolitik mit Betonung der Bedeutung der Freiberuflichkeit (im Sinne des § 18 Einkommensteuergesetzes) der niedergelassenen Ärzte wird es also nicht geben, da die FDP offensichtlich noch nicht fähig war, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sondierungs- und vielleicht auch Koalitionsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD werden nun geführt. Gesundheitspolitisch verheißt eine Fortsetzung der großen Koalition aber nichts Gutes.

Die SPD singt bereits so laut wie nie zuvor das Loblied auf die „Bürgerversicherung“, obwohl inzwischen immer mehr Beteiligte bis hin zu den Gesetzlichen Krankenversicherungen verstehen, dass an diesem Konzept nur der Name gut ist. Hinter der „Bürgerversicherung“ steht aber mehr als die doppelzüngige Jammerei über zu lange Wartezeiten oder eine angeblich „ungerechte“ 2-Klassen-Medizin. Wir alle wissen, dass sich in den meisten Situationen der Unterschied zwischen GKV und PKV auf ein wenig mehr Komfort für die Privatversicherten beschränkt. Allerdings ermöglicht die Freiheit der „privaten“ Behandlung (nach GOÄ) auch eine Medizin, die über staatlich geregelte Begrenzungen der immer mehr gegängelten „Selbstverwaltung“ hinausgeht.

Hier liegt eines der wirklichen Probleme: Wenn neue Methoden nur mit jahrelanger Verzögerung oder gar nicht in der GKV-Praxis angeboten werden dürfen, dann öffnet sich ein staatlich gewolltes System einer unterschiedlichen Qualität der medizinischen Versorgung für GKV-Mitglieder im Vergleich zu den Selbstzahlern bzw. PKV-versicherten Patienten. Unser medizinisch gut begründeter Katalog „Neue Leistungen im EBM“ liegt der KBV seit über zweieinhalb Jahren vor. Eingeführt wurde bisher keine einzige neue Methode. Die Äußerung von Karl Lauterbach, MdB, „Es gibt keine medizinische Innovation, die über die PKV ins System gekommen wäre“ (aus: Karl Lauterbach, Informationspapier zur Bürgerversicherung, 12.12.2017) ist einfach falsch. In unseren Praxen können wir alle von uns zur Aufnahme in den EBM vorgeschlagenen medizinischen Behandlungen unseren Privatpatienten seit Jahren anbieten, aber GKV-Patienten erhalten sie nicht. Nur ein Beispiel: Kapselendoskopie bei M. Crohn, wie im nachfolgenden Artikel von Jochen Purrman dargestellt wird.

Tatsächlich geht es aber gar nicht um gute Medizin. Vielmehr steht hinter dem Lauterbach’schen Konzept der Einheitsversicherung eine Ideologie, die vor allem die Arzthonorare im Visier hat: „Damit [mit der Bürgerversicherung] endet die Zwei-Klassen-Medizin. Jeder Patient bringt dem Arzt das gleiche Einkommen.“ (Aus: Karl Lauterbach, s. o.)

Mit der Bürgerversicherung und der dazu notwendigen „Einheitlichen Gebührenordnung (EGO)“ verbunden ist also der Verlust an Freiberuflichkeit für die Ärzte und die Freiheit der medizinischen Behandlung unserer Patienten: Angeboten und erbracht werden dürfen nur noch die Leistungen, die in der neuen EGO enthalten sind. Das wird dann auch in Zukunft in jahrelangen Diskussionen im G-BA entschieden. Alles, was drüber hinausgeht, wird vermutlich nur noch Paramedizinern und Heilpraktikern erlaubt sein. Ganz sicher aber auch den Krankenhäusern, die nicht dem Erlaubnisvorbehalt unterliegen und deren wirtschaftliche Förderung allen politischen Parteien am Herzen liegt.

Wird es von der CDU/CSU langfristig Widerstand gegen die Bürger-Einheitsversicherung geben? Ich glaube nicht. Jeder, der den Vortrag von Michael Hennrich, MdB, auf unserer Jahrestagung am 13.5.2017 gehört hat, weiß, dass auch die CDU auf eine EGO hinsteuert. Die Differenzen zwischen dem CDU-Konzept und der SPD-Bürgerversicherung werden – so meine Einschätzung – politisch „überwindbar“ sein. Die Öffnung der GKV für Beamte ist in diesem Zusammenhang ein logischer Schritt.

Trotz aller Lippenbekenntnisse steht der Selbstständige und Freiberufler nicht im Fokus der CDU/CSU-Wirtschaftspolitik. Zumindest gab es in der letzten Legislaturperiode kein Gesetz, das dem freiberuflichen Unternehmer oder dem Handwerker die Arbeit erleichtert und seine wirtschaftliche Situation verbessert hat. Die steuerliche Ungleichbehandlung zwischen Selbstständigen und Kapitalgesellschaften besteht unverändert. Unsinnige Regelungen wie z. B. die Arbeitszeiterfassung bei der Einführung des Mindestlohnes erhöhen die Bürokratie. Gleichzeitig drängen sich Gewerkschaften wie der Marburger Bund massiv hinein in die Vertragsverhältnisse von angestellten Ärzten in Arztpraxen. Angeführt wird der MB von einem CDU-MdB.

Der Trend zur Übernahme von Einrichtungen der ambulanten Versorgung durch Gesellschaften wie Medizinkonzernen, Krankenhäusern oder auch Kommunen wird zunehmen. Eine faire Konkurrenz zu solchen Strukturen wird für uns immer schwerer, denn die Wirtschaftlichkeit solcher MVZ z. B. durch öffentlichen Ausgleich von Verlusten oder durch Quersubventionierung innerhalb der Gesellschaft ist in vielen Fällen nicht mehr notwendig. Außerdem ist zu beobachten, dass die nicht-inhabergeführten MVZ sich immer straffer auf wirtschaftlich lohnende Versorgungsbereiche beschränken.

Ambulante Kardiologie ist als Zuweisung für die Herzkatheterlabore offensichtlich lohnend: Wir beobachten, dass fachinternistische Zulassungen überall von kardiologisch ausgerichteten Kliniken aufgekauft und umgewidmet werden. Die gezahlten Preise sind mitunter horrend, sodass der abgabewillige Arzt gegen seine Überzeugung einknickt und ein interessierter Praxisübernehmer abwinken muss. Dass über solche Strukturen die Breite der medizinischen Versorgung verlorengeht, scheint keine Rolle zu spielen und kaum jemanden zu interessieren, ist aber längst Realität.

Wenn ich mir in der Rückschau ansehe, was vier Jahre Große Koalition im Gesundheitssystem verändert haben, dann ging der Trend eindeutig weg von der fachärztlichen Medizin in inhabergeführten Arztpraxen. Gibt es ein Überleben für uns selbstständige Freiberufler? Ich bin skeptisch und suche bisher vergeblich nach Unterstützung im politischen Raum. Einer unserer Vorteile ist, dass wir seit Jahrzehnten eine sehr hohe Patientenanerkennung genießen und konkurrenzlos preiswert hochwertige Medizin anbieten. Damit sichern wir eines der besten oder das beste ambulante Gesundheitssystem der Welt. Das sind hohe Güter, die wir in die Diskussion um die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems aktiv und immer wieder einbringen müssen.

Ich wiederhole, was ich zu Beginn der letzten Legislaturperiode an dieser Stelle schon einmal schrieb: Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Arbeit in der Praxis den Ärzten/Ärztinnen und ihren Mitarbeitern/-innen heute und in Zukunft Freude macht, was natürlich den Patienten zugutekommt! Nur dann wird die nachwachsende Ärztegeneration den Weg in die Praxis gehen wollen.