Dtsch Med Wochenschr 2018; 143(07): 441
DOI: 10.1055/s-0044-100568
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Entschleunigung: ein wichtiger erster Schritt im Umgang mit multimorbiden Patienten

Deceleration: an Important First Step in Caring for Multimorbid Patients
Cornel Sieber
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 April 2018 (online)

„Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ ist Teil des Titels des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD im Februar 2018 [1]. Damit ist auch gemeint, den demografischen Veränderungen pro-aktiv und integrierend zu begegnen – dies kann zumindest so interpretiert werden. Unter Kapitel III – Familien und Kinder im Mittelpunkt – steht dann als Abschnitt 5: Seniorinnen und Senioren. Ja, auch betagte Menschen sind nicht nur Teil „unseres Landes“, sondern eben auch der Familien. Dies bedingt eine adäquate Inklusion in die gesundheitliche Versorgungslandschaft. Das Leitthema des diesjährigen Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin lautet denn auch: „Innere Medizin – Medizin für den ganzen Menschen“ (Zitat von Prof. Walter Siegenthaler).

Wir leben in einer Welt, die Akzeleration liebt. Gerade in der Inneren Medizin ist aber oft Entschleunigung erst zielführend. Dies bedeutet oft – besonders bei Multimorbidität und bei älteren Menschen – veränderte Ziel- und Zeitgrößen bezüglich Diagnostik und Therapie. Die Komplexität bei Multimorbidität zu lösen bedarf interdisziplinärer Teams. Dies ist nicht nur in der Ärzteschaft (zum Beispiel im Schulterschluss mit den Neurowissenschaften) wichtig, sondern auch in der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, exemplarisch die Pflege und damit die Pflegewissenschaften. Insgesamt gilt es, alle Domänen der evidenzbasierten Medizin gleichwertig einzusetzen. Dazu gehören nicht nur hochwertige klinische Studien, sondern auch die Erfahrung des Arztes und die Präferenzen des Patienten. „Patient-value care“ nennt man dies heute – eigentlich war es immer Teil der Arbeit von uns Internistinnen und Internisten und sollte es auch in Zeiten raschen bio-medizinischen Fortschrittes weiter sein. Hier zeigt sich einmal mehr die Relevanz der Initiative „Klug entscheiden“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Multimorbidität und die damit meist verbundene Polypharmazie, die Dualität Körper / Geist in Gesundheit und Krankheit, Versorgungsstrukturen, die Herausforderungen in Dienstleistung, Lehre und Forschung bleiben bestehen und fordern uns weiter.

Zurück zum Koalitionsvertrag, wo in Zeile 1006 steht (Zitat): „Wir lassen ältere Menschen bei der Digitalisierung nicht alleine“. Dies ist gut und wichtig, aber: Wir sollten in allen Lebensbereichen die älteren Menschen und ihre (betreuenden) Angehörigen nicht alleine lassen. Hier ist auch die Medizin gefordert! Ich freue mich als Geriater möglichst viele von Ihnen am Jahreskongress der DGIM vom 14 – 17. April 2018 in Mannheim begrüßen zu dürfen. Bei diesem Kongress werden viele Facetten der „transgenerationellen“ Inneren Medizin in allen ihren Schwerpunkten beleuchtet werden.

Zoom Image
Prof. Dr. med. Cornel Sieber